Rathaus in Großkarolinenfeld

Neu definierte Ortsmitte

In Großkarolinenfeld, gelegen bei Rosenheim ganz im Südosten Bayerns, fehlte bislang ein klar definiertes Ortszentrum. Das Areal mit Gemeindehaus, Kirche sowie kleinem Volksfestplatz, außerdem Apotheke, Bäckerei, Metzgerei und Wirtshaus, entsprach städtebaulich einer scheinbar wahllos verstreuten Ansammlung einzelner Bauten. Durch den von Behnisch Architekten entworfenen, mittig platzierten Rathausneubau erscheint das Konglomerat jetzt neu geordnet. Zwischen diesem und dem bestehenden Gemeindehaus spannt sich nun ein kleiner Platz auf, der eine organisatorische Anlaufstelle in der Ortschaft definiert. Es entstand eine Folge von neu angelegten bzw. gestalteten Grünflächen, Plätzen und Wegen, die zu einem städtebaulich wirksamen Geflecht verbunden sind. Die Haustechnik nach Plänen des Büros IB Hausladen folgt dem Konzept möglichst geringer technischer Ausstattung ohne Komforteinbußen und verzichtet dabei vollständig auf fossile Brennstoffe.

Auffällig ist die Zweiteilung des Baukörpers in ein organisch geformtes Erdgeschoss mit Durchgang vom Vorplatz zu den rückwärtigen Grünanlagen und ein formal strenges, rechteckiges Obergeschoss.
Der Sitzungs- und Veranstaltungssaal schiebt sich merklich über die Gebäudekanten des Obergeschosses hinaus …
… in Richtung der 1851 erbauten katholischen Kirche „Kostbares Blut Christi“.

Zweiteilung des Baukörpers

Das Erdgeschoss besteht aus zwei großteils verglasten Volumina mit unregelmäßig polygonalen Grundrissen und abgerundeten Ecken, deren Gestalt sich am umgebenden öffentlichen Raum orientiert. Zwischen beiden entsteht ein Durchgang, der die südwestlich gelegenen Freiflächen mit dem Rathausplatz im Osten und dem weiteren Ortsgeflecht verbindet. Im Parterre befinden sich die öffentlichen Bereiche mit Bürgerbüro, Sitzungssaal und Trauzimmer. Die 51 und 123 Quadratmeter großen Säle können für Veranstaltungen zu einem großen Raum zusammengelegt werden und sind über einen separaten Eingang mit Foyer zugänglich.

Streng und formal geordnet, fast wie ein eigenständiger Baukörper erscheint demgegenüber das rechteckige Obergeschoss. Hier befinden sich die weniger öffentlichen Büros der Verwaltung. Die Abteilungen Hauptamt, Bauamt und Kämmerei gruppieren sich jeweils über Eck entlang der Außenwände und umschließen zwei kleine Lichthöfe, von denen einer bis ins Erdgeschoss führt und der andere einen Lichthof für die Mitarbeitenden bildet. Das Tragwerk besteht aus Stahlbetonstützen und -decken, die Außenwände des Obergeschosses sind in Holzständerbauweise mit Holzfaserdämmung errichtet. Zurückversetzte, verputzte Fassadenflächen wechseln sich mit mit Holzlatten verkleideten Bereichen ab. Geschosshohe, lamellenartige Sonnenschutzelemente aus Holz können vor die Fenster geschoben werden.

An vielen Stellen kragt das Obergeschoss deutlich über das Erdgeschoss hinaus und wird von hellen Rundpfeilern gestützt. An der südlichen Gebäudeecke jedoch schiebt sich der Sitzungssaal im Parterre fast gänzlich aus der Flucht des Obergeschosses hervor. Diese eigenwillige Kubatur unterstreicht die optische Zweiteilung des Baukörpers.

Individuelle Belüftung

Das Büro IB Hausladen hat ein Gebäudetechnikkonzept entwickelt, das gänzlich auf fossile Brennstoffe verzichtet und auch die Nutzer einbezieht. Der hygienisch notwendige Luftaustausch der Büroflächen erfolgt über natürliche Fensterlüftung. Lediglich die öffentlichen Bereiche werden über dezentrale Lüftungsgeräte automatisch mit Frischluft versorgt. Die Kompaktlüftungsgeräte im Trau- und Sitzungssaal können nach Bedarf über einen Taster eingeschaltet werden, das Lüftungsgerät im Bürgerbüro wird über ein Zeitschaltprogramm geregelt und ist nur während der Nutzungszeiten in Betrieb. Die Fortluft wird über das Dach abgeleitet (Deflektor-/Lamellenhaube).

Regenerative Beheizung

Zwei modulierende Luft/Wasser-Wärmepumpen mit je rund 40 kW Leistung, die größtenteils mit selbst erzeugtem Strom der Photovoltaikanlage auf dem Dach betrieben werden, beheizen bzw. kühlen das Gebäude. Spitzenlasten werden über ein elektrisches Heizschwert mit 15 kW gedeckt. Da es kein Untergeschoss gibt, sind die Technikzentralen im Erdgeschoss angeordnet. Die Außenverdampfer der Wärmepumpen befinden sich in einer Fassadennische. Die Wärmepumpen laden außerdem einen 1.500 Liter großen Pufferspeicher, der im Winter als Heizungs- und im Sommer als Kältepuffer fungiert. Die Vorlauftemperatur ist witterungsgeführt geregelt. Übergeben wird die Wärme schließlich durch eine Fußbodenheizung, wobei die Wärmeverteilung mit einem geschlossenen Zweirohr-System erfolgt. Das System ist in Zonen aufgeteilt, die Umschaltung von Heiz- auf Kühlbetrieb erfolgt zentral.

Bedarfsgerechtes Warmwasser und stimmungsvolles Licht

Eine zentrale Warmwasserbereitung mit Zirkulation ist nicht vorhanden. Das Trinkkaltwasser wird in den Sanitärbereichen und den Teeküchen über dezentrale elektrische Durchlauferhitzer nach Bedarf erwärmt. Die auf die Architektur und Wegeführung abgestimmte Beleuchtung von Bartenbach Lichtplanung ist komplett in LED-Technologie ausgeführt. In allen Bereichen mit Zugang zu Tageslicht – also den Büros, Erschließungszonen und den Sälen – sind Leuchten mit Lichtfarbenwechsel eingebaut, wodurch bspw. in den Abend- und Nachtstunden eine angenehme bzw. wahlweise auch festliche Lichtstimmung erzeugt werden kann. Ebenfalls beleuchtet ist die Landschaftsmöblierung auf dem Vorplatz, wodurch eine hochwertige Außen- und Fernwirkung erzeugt wird. -tg

Bautafel

Architektur: Behnisch Architekten, München
Fachplaner: adlerolesch Landschaftsarchitekten, München (Landschaftsplanung); Köppl Ingenieure, Rosenheim (Tragwerk); Ingenieurbüro Hausladen, Kirchheim (HLS); elo plan engineering, Rosenheim (Elektroplanung); Bartenbach, Tirol (Lichtplanung); Brandschutz Consulting, München (Brandschutz)
Bauherr/in: Gemeinde Großkarolinenfeld
Fertigstellung: 2020
Standort: Karolinenplatz 12, 83109 Großkarolinenfeld
Bildnachweis: David Matthiessen, Stuttgart; Behnisch Architekten, München


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