Narrow House in Brooklyn

Maximale Fensterflächen und Verzicht auf Innentüren

Die Suche nach einem Baugrundstück für ein Einfamilienhaus in einer Metropole ist keine leichte Aufgabe. Entweder sind die Grundstücke unerschwinglich teuer, zu klein oder derart ungünstig geschnitten, dass eine Bebauung unmöglich erscheint. Das Grundstück, auf dem sich das Narrow House, zu Deutsch: Schmales Haus, nach Plänen des New Yorker Büros Only If befindet, ist beides – sowohl sehr klein als auch ungünstig geschnitten.

Die beiden Architekturschaffenden begreifen das Haus als Low-Cost-Prototypen, der Potentiale für architektonischen Einfallsreichtum gerade bei schwierigen Platzverhältnissen aufzeigen soll.
Eine großformatige Pivot-Tür öffnet sich hinten zum Garten.
Der hintere Teil des Hauses mündet in einer nach Süden ausgerichteten Dachterrasse.

Recherchen und Ausgangslage

Only If wurde gegründet von Adam Frampton und Karolina Czeczek, die sich als Mitarbeitende von Rem Koolhaas/OMA in Asien kennengelernt und anschließend in New York selbständig gemacht haben. Aufbauend auf städtebaulichen Studien in Hongkong recherchierte das Paar leere Grundstücke, Lücken und Restflächen in New York City und identifizierte dabei mehr als 3.000 derartiger Parzellen zur möglichen Nachverdichtung mit Wohnungen. Darunter befand sich auch das nur knapp vier Meter breite Grundstück in Bedford-Stuyvesant, einem Stadtteil von Brooklyn. Das Paar kaufte kurzerhand die Parzelle, obwohl die baurechtliche Situation unklar war. 

Zoning und Dimensionierung

Für Brooklyn gelten seit den 1960er-Jahren Zoning Regulations, vergleichbar mit den deutschen Flächennutzungs- und Bebauungsplänen. Sie definieren Vorgaben beispielsweise für Nutzungen, Gebäudehöhen und Abstandsflächen, sollen aber auch Wachstum regulieren und historische Strukturen bewahren. Für bestimmte Quartiere wird auch eine Floor Area Ratio (FAR) festgelegt, vergleichbar mit GFZ und GRZ. Eine diese Bauvorschriften besagt, dass eine zu bebauende Parzelle mindestens eine Breite von umgerechnet 5,50 Metern aufweisen muss. Die Dimensionierung der Parzellen resultiert aus den 1880er-Jahren, als Brooklyn durch die Eröffnung der Brooklyn Bridge und damit einer guten schnellen Verbindung nach Manhattan städtebaulich entwickelt und zu einer begehrten Mittelklasse-Wohngegend wurde. Drei- bis viergeschossige Backsteinbauten mit viktorianischen Merkmalen wie Erkern, Bay Windows und Vortreppen bildeten in Zeilenbauweise Blöcke in einem orthogonalen Straßenraster. Jeder Block setzte sich üblicherweise aus zwei Reihen von jeweils 30 bis 40 Parzellen zusammen und ist etwa 230 Meter lang und um die 60 Meter breit. Eine typische Parzelle ist zwischen sieben bis acht Meter breit und um die 30 Meter tief. Die schmalen Stirnseiten zur Straße waren repräsentativ gestaltet, die nach hinten in das Blockinnere gerichteten Fassaden wesentlich schlichter, die Längswände als Brandwände konstruiert, also ohne Fensteröffnungen.

Nach der Weltwirtschaftskrise ab den 1920er-Jahren setzte in Bedford-Styvesant ein dramatischer sozialer sowie architektonisch-urbaner Verfall ein. Leere und vernachlässigte Backsteinhäuser wurden abgerissen und Baulücken verwilderten. Der Stadtteil, aus dem die Rapper Jay-Z und Lil'Kim stammen, galt als kriminelle No-Go-Area. Seit mehreren Jahren arbeiten Quartiersmanagement und Renovierungsprogramme an einer Revitalisierung des Stadtteils, der sich mittlerweile zu einer Hipstertown wandelt. Auch die zuvor strengen Zoning Regulations werden überarbeitet, um das Schließen von Baulücken zu erleichtern.

Prototyp und Modellierung

Die Parzelle von Frampton und Czeczek ist nur vier Meter breit bei einer Tiefe von etwa 30 Metern. Sie experimentierten mit einem Modell, um die Modellierung des Volumens, die innere Erschließung und vor allem die natürliche Belichtung mit der Sonne zu überprüfen, denn Fenster sind nur an den sehr schmalen Stirnseiten möglich. Das Modell ähnelt konzeptionell als auch optisch den Grachtenhäusern in Amsterdam-Borneo aus den 1990er-Jahren beispielsweise von MVRDV im Masterplan von West8.

Die beiden Architekturschaffenden begreifen das Haus, das sie zusammen mit ihrem Hund selbst bewohnen, als Low-Cost-Prototypen, der Potentiale für architektonischen Einfallsreichtum gerade bei schwierigen Platzverhältnissen aufzeigen soll.

Haustür und Pivot-Tür

Die Haustür ist über eine kleine Vortreppe zu erreichen, also genau wie bei den historischen Nachbargebäuden. Diese Anhebung der Eingangsebene um vier Stufen bewirkt einen diskret wirksamen Niveau-Unterschied zum Bürgersteig. Die Hauseingangstür und eine großformatige gläserne Pivot-Tür, die sich an der hinteren Stirnseite zum Garten öffnen lässt, sind bis auf einige Schrank- und Einschubtüren die einzigen Türen im ganzen Haus. Das Gebäude ist nämlich in Split-Level gegliedert, wobei jede Ebene quasi einen Raum mit einer bestimmten Funktion umfasst. Lediglich der Keller ist als Zweckraum abgetrennt.

Treppe, Kern und Einschubtüren

Auf der Eingangsebene wird gewohnt, gekocht und gegessen, und zwar organisiert entlang einer mehr als acht Meter langen durchgehenden Küchenzeile. Das Möbel mit Fronten aus schwarz gebeizter Eiche und schwarzer Terrazzoarbeitsplatte bildet einen starken Kontrast zu dem ansonsten völlig weiß gehaltenen Raum. Eine Treppe aus weiß lackiertem Stahllochblech wird um einen vertikalen Luftraum geführt und mündet ganz oben auf einer nach Süden ausgerichteten Dachterrasse. Die Podeste der Treppe bilden Ebenen für Schlaf- und Arbeitsbereiche. Ein eingestellter Kern aus Sperrholz – Ludwig Mies van der Rohes Farnsworth Haus lässt als Urahn für diese Art Funktionsraummöbel grüßen – enthält minimierte Bäder, WCs und Stauraum. In den Kern integriert sind Futterale für Einschubtüren, die bei Bedarf eine Abtrennung und damit einen Rückzug ermöglichen.

Farbe, Fassade, Fenster

Das Farbschema, ein Kontrast aus weißen und schwarzen Farbtönen, wird konsequent an der Fassade fortgeführt, sogar an der noch freistehenden Brandwand. An den Stirnseiten rahmen schwarz verputzte Streifen festverglaste Fenster, die jeweils die gesamte Raumhöhe und -breite einnehmen und so eine maximal mögliche Transparenz erzeugen. In diese Glasfelder sind Öffnungsflügel mit schwarzen Profilen eingefügt. Dahinterliegende Diagonalstreben aus weiß lackiertem Stahl blieben unverkleidet sichtbar.

Konstruktion und Reduktion

Die Konstruktion des Hauses entspricht der logischen Reduktion auf wesentliche Elemente. Die beiden Seitenwände, die als Brandwände dienen, sind aus CMU-Betonsteinen (Concrete Masonry Unit) gebaut. Sie werden lediglich durch die Diagonalstreben an den Stirnseiten ausgesteift. Die Decken sind aus Verbundbeton und Wellblech mit gegossenem Polyurethan-Belag gefertigt. Die Spannweite der Decken ist aufgrund der sehr geringen Hausbreite noch innerhalb des maximal Möglichen. Auf zusätzliche Stützen und Wände konnte deshalb verzichtet werden. Das Wellblech an den Deckenunterseiten wurde nicht mit Abhängungen à la Gipskarton oder ähnlichem verkleidet, sondern als Teil der puristischen Gestaltung sichtbar gelassen und weiß lackiert.

Das Narrow House wurde 2022 für den Mies Crown Hall Americas Prize nominiert. - sj

Bautafel

Architektur: Only If, New York; Karolina Czeczek, Matthew Davis, Adam Frampton, Jedy Lau, Francesca Pagliaro, Jon Siani, Yue Zhang (Team)
Projektbeteiligte: Reuther+Bowen PC, New York (Tragwerksplanung); PlusGroup Consulting Engineering PLLC, New York (Gebäudetechnik); Dot Dash, New York (Lichtplanung)
Bauherr/in: Karolina Czeczek und Adam Frampton
Fertigstellung: 2021
Standort:
Bedford Stuyvesant, Brooklyn, New York, USA
Bildnachweis: Iwan Baan, Alkmaar, Niederland; Naho Kubota, New York, beide über Only If, NY

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Festverglaste Fenster haben die gleichen bauphysikalischen Eigenschaften wie Fenster mit Öffnungsflügeln. Im Bild: festverglaste bodentiefe Fenster mit grau verputzten Belüftungsklappen, die als anleiterbare Rettungsöffnungen dienen (Block + Void House, Bundschuh Architekten, 2016).

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Fensterarten

Festverglaste Fenster

Pivot-Türen sind eine besondere Form der Drehtür. Die Bezeichnung leitet sich vom französischen Verb pivoter (= schwenken, schwingen) her (im Bild: geöffneter Zustand einer Aluminium-Holz-Pivot-Tür in einem Atrium in Amsterdam).

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Türarten

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