Modernisierung der Fondazione Agnelli in Turin

Büro 3.0 – Sensortechnik und per App steuerbare Raumfunktionen

Eine klassizistische Villa und ein brutalistischer Bau aus den späten 1960er-Jahren mit einer geschwungenen Betonscheibe als Nahtstelle bilden ein ungleiches Gebäudepaar mitten in Turin. Hier hat die Stiftung Agnelli ihren Sitz. Das einstige Wohnhaus von Giovanni Agnelli, einer der Erschaffer des Automobilkonzerns „Fabbrica Italiana Automobili Torino", kurz: Fiat, und der von dessen Enkel und Stiftungsgründer Gianni initiierte voluminöse Anbau bilden ein auffälliges Ensemble. Nach jahrzehntelanger Nutzung stand eine Runderneuerung an, die vom Büro Carlo Ratti Associati geplant worden ist. Neben der behutsamen Renovierung umfassten die Maßnahmen auch das Hinzufügen eines gläsernen Pavillons, mit dem das Erdgeschoss des massiven Baus zur Straße geöffnet wird. Der bis zur Grundstücksgrenze vorspringende und scheinbar schwebende Glasanbau beherbergt ein öffentliches Café.

Der ältere Teil ist das einstige Wohnhaus von Giovanni Agnelli, einer der Gründer des Automobilkonzerns „Fabbrica Italiana Automobili Torino", kurz: Fiat
Der voluminöse Anbau wurde von Enkel und Stiftungsgründer Gianni Agnelli 1966 iniitiert
Nach jahrzehntelanger Nutzung stand eine Runderneuerung an, die vom Büro Carlo Ratti Associati geplant worden ist

Offenheit, Leichtigkeit, Transparenz, das Verbinden von Räumen und der Einsatz von Glas sind die zentralen Themen der Modernisierung, die sich im Inneren fortsetzen. Der Eingang befindet sich im viergeschossigen Betonbau und leitet in das großzügige Foyer, das vertikal geöffnet wurde: Begehbare Netze ersetzen die Decken und geben den Blick über mehrere Geschosse frei. Von hier gelangt man auch in die dreigeschossige Villa. Die Schnittstelle der beiden Gebäudeteile ist das historische Treppenhaus. Es erhielt Oberlichter, sodass viel natürliches Licht einfallen kann. Dieses bringt auch das Kunstwerk von Olafur Eliasson zum Leuchten: In der Wand zwischen Alt- und Neubau befindet sich die kaleidoskopische, farbenfroh schimmernde Installation „La congiuntura del tempo (Tempo junction)".

Verteilt auf die beiden Baukörper stehen insgesamt 6.625 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Sie werden in der Villa genutzt als Büros des Stiftungshauptsitzes und als repräsentative Veranstaltungsräume. Auf allen Etagen des Erweiterungsbaus sind Büroflächen für Coworking und Besprechungsräume des sogenannten Talent Garden der Fondazione Agnelli untergebracht. Open Space sowie mit Glaswänden abgetrennte Bereiche sind nach dem Umbau allgegenwärtig. Einem multidisziplinären Ansatz folgend, arbeiten hier sowohl kreative und digitale Fachleute als auch Risikokapitalinvestoren, Forscher für eine philanthropische Institution und Lehrer, die an experimentellen Programmen beteiligt sind.

Elektro
Die neu gestalteten Coworking-Bereiche erstrecken sich über eine Gesamtfläche von rund 3.000 Quadratmetern und stellen ein digital erweitertes, per App gesteuertes „Büro 3.0" dar. Interaktion anstatt verfremdender Isolation der Telearbeit ist die Grundidee. Die Vernetzung von Internet of Things (IoT)-Technologien mit dem physischen Raum soll die gemeinschaftliche Büronutzung attraktiver als Homeoffice machen. Dafür hat Carlo Ratti Associati eigens ein Heiz-, Kühl- und Beleuchtungssystem entwickelt, das die Mitarbeiter wie eine individuell zugeschnittene virtuelle Blase durch das Gebäude begleitet. Es beruht darauf, dass mittlerweile eigentlich jeder ein Smartphone bei sich trägt, und dass diese Geräte eine Vielzahl an Informationen liefern. Mit den geeigneten digitalen Werkzeugen können die Daten dazu genutzt werden, um den Arbeitsplatz und die Haustechnik in Echtzeit nuanciert auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter abzustimmen. Zugleich wird die Raumnutzung optimiert und der Energieverbrauch des Gebäudes reduziert – um bis zu 40 Prozent, hoffen die Planer.

Voraussetzung ist die App auf den Smartphones der berechtigten Nutzer. Wer kein Smartphone besitzt oder die App nicht installieren möchte, kann einen tragbaren Bluetooth-Anhänger verwenden. Das System von Ratti ermittelt per Geolokalisierung und Low-Energy-Bluetooth stetig den Aufenthaltsort der Smartphoneträger. Dafür ist das Gebäude mit Hunderten von Sensoren ausgestattet, die ständig die Gebäudedaten, darunter die Temperatur und die CO2-Konzentration, messen. Auch die Verfügbarkeit von Besprechungsräumen wird kontrolliert. Ein auf Smartphones und angepassten Tags basierendes Drei-Achsen-Indoor-Positioning-System (IPS) erfasst und überträgt die Präsenz- und Standortdaten der Nutzer – jedoch ohne persönliche Identifizierung, wie der Hersteller verspricht. Auf Basis dieser Daten und in Abhängigkeit von der insgesamt anwesenden Personenzahl werden die Gebäudesysteme ohne zeitliche Verzögerung gesteuert. Dafür ist das Positionsbestimmungssystem in das Gebäudemanagementsystem (Building-Management-System, kurz: BMS) integriert. Die App ermöglicht den Nutzern, sich ins Gebäude einzuchecken, mit Kollegen zu interagieren, Besprechungsräume und Gemeinschaftsarbeitsplätze zu buchen sowie die Funktionen ihrer Arbeitsplatzumgebung zu regulieren. Verlässt der Mitarbeiter den Raum, schaltet die App in einen sparsamen Stand-by-Modus. Der digitale Ausbau zeigt, dass das IoT-Paradigma nicht nur auf Neubauten, sondern auch auf den Bestand erfolgreich angewendet werden kann.

Licht

Über die Raumtemperatur einzelner Bereiche hinaus kann über die App auch die Beleuchtung gesteuert werden. Drei Meter über den Schreibtischen hängen schwarze Metallplatten von der ansonsten unverkleideten Decke. In jedes dieser flachen Rechtecke sind zwei DALI-gesteuerte LED-Bänder eingebaut, insgesamt 220 Stück für das ganze Projekt. Mittig in den metallenen Platten findet sich zudem jeweils ein integrierter Gebläsekonvektor zum Kühlen und Heizen. Jeder Mitarbeiter kann so den Lichtwirkungs- und den Wärmegrad für seinen Arbeitsplatz individuell steuern. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die hohe Lichtqualität gelegt. Ein geringer Blendgrad (Unified Glare Rating, kurz UGR) von unter 19 war angestrebt und wurde mit Hilfe der gewählten Abdeckung erzielt. Die Lichtstromstärke von 3.660 Lumen bei einem Ausstrahlungswinkel von 65 Grad und einem Farbwiedergabeindex von über 80 sorgen des Weiteren für bestmögliche, konzentrationsfördernde Bedingungen. Für eine freundlich-warme Atmosphäre wählten die Lichtplaner eine Farbtemperatur von 3.000 Kelvin.-jb

Bautafel

Architekten: Carlo Ratti Associati, Turin
Projektbeteiligte: Siemens, München (Technische Entwicklung, Sensoren, IPS); Louis Benech, Paris (Gartenarchitektur); Studio Ferraresi, Pavia (Bauausführung); Natalia Bianchi Studio, Mailand (Innenarchitektur Büros der Agnelli Fondazione); Ice Clima, Turin (Mechanische und hydraulische Systeme); Surina, Turin (Elektrisches System); Davide Groppi, Piacenza (Beleuchtung); Roberto Pomè/Tech System, Turin (Lichtplanung); Studio Olafur Eliasson, Berlin (IKunstinstallation)
Bauherr:
Agnelli Foundation, Turin
Fertigstellung: 2017
Standort: Via Giuseppe Giacosa 36–38, 10125 Turin/Italien
Bildnachweis: Beppe Giardino, Turin

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