Messenachbericht Cersaie 2021 - Teil II

Im ersten Teil berichtete unser Autor Michael Spohr vom veränderten Messeerlebnis unter Coronabedingungen und den neuen Trendfarben im Keramikbereich. Im zweiten Teil lesen Sie von vermeintlichen und wirklichen Innovationen, der Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit für die Branche und aktuellen Marktentwicklungen.

Im Gegensatz dazu schwelgen die großformatigen floralen Dekore geradezu in Form und Farbe – wie im Bild die von handgefertigten botanischen Zeichnungen inspirierte Kollektion „Fio. Clorofilla“ mit dem Motiv Primavera von Fioranese.
Auch beim Dekor „Tropicalia“ aus der Kollektion „Crea-La“ von La Faenza floral zeigt sich das Bestreben der Aussteller, besonders dekorative Wandfliesen-Lösungen anzubieten.
Fondovalle hingegen zeichnete Blumenmotive dezent auf sanft nuancierte Farbhintergründe: Am Maison D’Art-Messestand des italienischen Herstellers sollte man sich in das Atelier eines französischen Künstlers hineinversetzt fühlen.

Mix-n-Match

Um den Verkaufsverfolg des großformatigen Marmors zu fördern, haben sich die Anbieter betont ruhige, meist unifarbene Ergänzungen ausgedacht, die sich stimmig mit den auffälligen Dekoren kombinieren lassen. Gleiches gilt für die großformatigen Wandfliesen mit ineinander übergehenden floralen Motiven oder die Keramiktapeten mit ihren opulenten Barockornamenten, moderne Grafikdesigns und Comicdarstellungen, zu denen die Hersteller passende neutral gehaltene Kollektionen in Grau-, Beige- oder Brauntönen bereit halten, meist als Betonanmutung, Holzoptik oder Steininterpretation.

Hinsichtlich neuartiger Wandfliesen war es schon immer schwierig, Porcelanosa etwas vorzumachen. Und so hat der spanische Hersteller auch dieses Jahr wieder eine Kollektion vorgestellt, die Maßstäbe setzt: Bei Linz hat man sich von der Ikat-Technik des 13. Jahrhunderts inspirieren lassen. Bei dieser werden die Garne auf einem vertikalen Webstuhl gewebt und abschnittsweis ein Pigment getaucht. Dadurch kann auf beiden Seiten des Stoffes ein identischer Druck erzeugt werden. Das Verfahren gelangte im Laufe des 13. Jahrhunderts von Malaysia über die Seidenstraße nach Spanien und ist ein Symbol für die goldene Ära des Textilhandels und der asiatischen Stoffimporte, die die wirtschaftliche Entwicklung des Landes beschleunigten. Die neue Linz-Kollektion von Porcelanosa lässt nach diesem Vorbild geometrische Wandfliesen entstehen, die erst beim direkten Fingerkontakt erfühlen lassen, dass es sich hier nicht um eine Textilie handelt.

Vermeintliche und wirkliche Innovationen

Wie immer darf nicht von den auf der Messe vorgestellten Neuheiten auf das kommende Verkaufsprogramm geschlossen werden. Zu häufig zeigen die Hersteller Labormuster – einerseits um ihre Innovationskraft zu demonstrieren und andererseits um ihren Kunden Statements hinsichtlich der Markteinschätzung für neue Produkte zu entlocken. Der größte Teil dieser vermeintlichen Messehighlights verschwindet dann wieder in den Schubladen der Produktentwickler, was manchmal auch ganz gut so ist. Dies gilt beispielsweise für Produkte, bei denen Steininterpretationen mitten auf der Fläche allmählich in Harzanmutungen übergehen. Möglicherweise hat man sich hier an rustikalen Holztischen orientiert, die mit Harz ausgegossen werden. Eine derartige neue Kollektion war etwa bei den Level-Materialien am Stand der Emil Ceramica-Gruppe ausgestellt.

Wie zu erwarten war, haben sich die überstarken Terrassenfliesen in den vergangenen zwei Jahren noch einmal deutlich vermehrt. Kein Hersteller, der auf sich hält, verzichtet mehr auf Platten für den Außenbereich. Der ohnehin boomende Markt für Garten- und Landschaftsbau erhielt durch die pandemiebedingten Freizügigkeitseinschränkungen einen zusätzlichen Schub, weil private Bauherren nicht nur Renovierungen vorzogen, sondern auch ihre Pools, Gärten, Terrassen und Balkone zu Arealen mit Urlaubsflair ausbauten. Zwei und drei Zentimeter starke Fliesen in allen Formaten, insbesondere im derzeit angesagten Meter-mal-Meter-Format, profitierten massiv davon – aber ebenso der Möbelbau mit dünner Keramik: Outdoor-Keramikküchen, keramische Gas-Feuerstätten und Keramiktische haben derzeit Konjunktur wie nie zuvor.

Im Gegensatz dazu steht der Trend zur Nachhaltigkeit. Die Fliesenhersteller geben sich alle Mühe, ihr grünes Image aufzupolieren. Teile der spanischen und italienischen Industrie setzen verstärkt auf die Karte Recycling sowie – auch den steigenden Gas- und Strompreisen geschuldet – auf energieeffiziente Produktionsanlagen und ressourcenschonende Verfahren. Investiert wird ebenso in Prozesswärme-Rückgewinnungsanlagen wie in Closed-Loop-Prozesse. Dahinter steckt auch das Begehren der Hersteller die immer wichtiger werdenden Umweltsiegel und -zertifikate – von DGNB über Green Building bis zu Cradle to Cradle zu erhalten. Verglichen mit anderen Wand- und Bodenbelägen profilieren sich keramische Fliesen als die saubersten und nachhaltigsten Baustoffe für nachhaltiges Bauen. Die Iris-Ceramica-Gruppe gilt als Vorreiter dieses neuen Weges, veröffentlicht sie doch als bisher einziger Hersteller jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht.

Der Umweltschutzgedanke gipfelt in Produkten mit photokatalytischen Oberflächen, die in der Lage sind, ihren bei der Produktion gefüllten Schadstoff-Rucksack während der Lebenszeit nicht nur komplett loszuwerden, sondern danach sogar die Umwelt zu entlasten. Derartig ausgestattete keramische Materialien sind beispielsweise in der Lage, Stickoxide abbauen. Mindestens ebenso wichtig dürfte es aber sein, dass die mit Titandioxid beschichteten Oberflächen auch antibakteriell und antiviral wirken. Multiresistente Krankenhauskeime haben sich zu einem besorgniserregenden Problem entwickelt. Und Corona hat die Notwendigkeit des Schutzes vor Viren ins Bewusstsein nahezu der gesamten Bevölkerung geführt. Selbstdesinfizierende Fliesen, die nachweislich hierbei behilflich sein können, sind also hochwillkommen. Daher ist es von unschätzbarem Wert, dass die Herstelleranzahl kontinuierlich wächst, die basierend auf den Toto-Patenten ihre Fliesen photokatalytisch wirksam ausstattet. Ein besonderes Lob geht auch hier an die Iris Ceramica-Gruppe, die mit eigenen Patenten nach einem eigenständigen Verfahren Titandioxid in die Oberflächen einbrennt und damit Ihre oben bereits erwähnten Active-Keramik herstellt. Der Vorteil: Die Wirkung – selbst gegen die gefährlichsten Krankenhauskeime, Grippeviren und eben auch SARS-CoV 2 – tritt auch bei LED-Beleuchtung auf und der bakterizide Effekt bleibt sogar noch im Dunkeln erhalten.

Positive und negative Marktentwicklungen

Die in die Jahre gekommene Messehalle 18 nutzten die Ausstellungsplaner zur Ausweitung eines bereits in 2019 neu gestarteten Konzepts, der „Archincont(r)act“. Das Wortspiel soll andeuten, dass es um das globale Objektgeschäft, den Kontakt zwischen Architekturschaffenden und Bauträgern sowie den „act“, also die Rolle der Messe dabei geht. Die Messe möchte den Ausstellern damit signalisieren, dass sie ihnen die Tür zu international tätigen Planungsbüros ebenso wie zu Immobilienentwicklern zu öffnen versucht. Derartige Messekonzepte haben sich bei anderen Veranstaltungen bereits seit langem bewährt: Seit etlichen Jahren veranstaltet etwa die Weltleitmesse für Bodenbeläge Domotex in Hannover ihre „Contractworld“ in einer Messehalle und verschafft den Ausstellern damit einen Zugang zum lukrativen weltweiten Objektgeschäft. In Bologna stand dieses Jahr ebenfalls eine komplette Cersaie-Halle mit einer Fläche von etwa 2.000 Quadratmetern zur Verfügung, auf der sich zehn renommierte Architekturbüros mit selbst entworfenen Installationen präsentierten, bei denen sie keramische Oberflächen und zum Teil auch Badausstattungsprodukte integriert hatten. Die Fläche mit einem Mittelteil für Konferenzen und Begegnungen wurde umrahmt von kleinen, an eine Westernstadt erinnernden Buden von Ausstellern.  

Die Fliesenindustrie hatte nach überschaubaren Umsatzrückgängen und leicht gefallenen Produktionsmengen in 2020 im ersten Quartal dieses Jahres eine durchaus positive Absatz- und Umsatzentwicklung verzeichnen können, musste dann aber erstmalig auf breiter Front Preiserhöhungen verkünden, weil die Kosten für Gas sowie Strom explodierten. Neben den für die Keramiköfen erforderlichen Brennstoffen verteuerten sich zudem die Fliesenrohstoffe sowie die Holzpaletten und schließlich die Container zum Überseeversand. Vor dem Hintergrund hinzukommender Lieferzeitenverlängerungen dürfte von dem neunprozentigen Umsatzplus des ersten Quartals (Binnenmarkt +18,9%, Export +7%) gegenüber dem Vorjahr nichts übrigbleiben.

Text: Michael Spohr, Essen

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