Messenachbericht Cersaie 2019 - Teil II

Im ersten Teil unseres Messenachberichts berichtete unser Autor Michael Spohr von der neuen Rolle der Fliese im Bad und neuen Marmorinterpretationen. Im zweiten Teil lesen Sie, wie die Branche mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht und welche Neuheiten es über Fliesen und Badeinrichtungen hinaus zu entdecken gab.

Zielgruppe Natursteinverarbeiter und Möbelindustrie: Fondovalle stellt in der Infinito 2.0-Kollektion 20 Millimeter starke Platten im Format 163 x 324 cm her.
Frische Farben und Dekore auch für die Terrasse: „Cementine Open Air“ von Fioranese vermittelt Wohlfühlatmosphäre im Außenbereich.
Möbel und Platten aus zwei Zentimeter starkem Feinsteinzeug: An einem eigenen Messestand nur für die Außenanwendungen präsentierte Novabell seine Outwalk 20-Multifunktionsplatten.

Formate und Stärken

Hinsichtlich der Formate brachte die diesjährige Cersaie – zum Glück – keine Überraschungen. Die Standards der Boden- wie der Wandfliesen bewegen sich hauptsächlich im 60er-Raster, während es große Platten zumeist in einem Maximalformat und in einer für den Wohnungsbau in der Länge gekappten Variante zwischen 240 und 280 cm gibt. Je nach Serie dominieren mal rechteckige, mal quadratische Formate. Lediglich bei den Mosaiken ist der Ideenreichtum noch ungebrochen, Es bleibt kaum mehr eine Form, die noch nicht erfunden worden wäre.

Eine Neuigkeit gab es in puncto Material: Mit Ductile offeriert der spanische Fliesenanbieter Living Ceramics seit neuestem eine sechs Millimeter dünne und drei Meter lange Wandplatte aus Steingut – mit einer Wasseraufnahmefähigkeit von 15 %. Dank der neuen chemischen Formulierung können die Platten leichter geschnitten – zum Beispiel auch auf Gehrung – und gebohrt werden. Außerdem sollen einfachere Klebstoffe zur Verlegung ausreichen. Living Ceramics verspricht sich von der Werkstoffvariante eine bessere Akzeptanz der Fliesenleger für die großen Platten.

Was die Stärken angeht, sind nur noch Dickenzuwächse möglich, was aber wegen des zunehmenden Gewichts sowie der Unhandlichkeit und höherer Kosten durch mehr Materialeinsatz kaum eine Option darstellt. Eine Ausnahme stellen hier Fliesen und Platten dar, die für die Zielgruppe der Natursteinverarbeiter gedacht sind. Steinmetze sind es gewohnt, große und schwere Platten zu transportieren und zu bearbeiten. Laminam und Fondovalle etwa stellten mit Blick auf diese Zielgruppe ihre neuen Serien In-Side und Infinito 2.0 vor, 1.620 bzw. 1.630 mal 3.240 Millimeter große und 20 Millimeter starke Platten, für den klassischen Fliesenleger nicht zu bewältigen.

Die Außenbereichsfliesen stellen das vielleicht noch größte Wachstumsfeld dar, weil der Garten- und Landschaftsbau nach wie vor zweistellige Zuwachsraten möglich macht. Entsprechend dehnen sich die Programme der Hersteller im Segment der zwei und drei Zentimeter starken Fliesen immer weiter aus und enthalten inzwischen auch ansprechende Texturen. Pflicht hingegen scheint es mittlerweile zu sein, stimmige Inside-Out-Programme anzubieten. Die Outdoor-Fliesen müssen also in Dekor und Oberfläche zu den für den Inneneinsatz geschaffenen Serien passen.

Thema Nachhaltigkeit

Wie schon im letzten Jahr angesprochen, hat das Thema Nachhaltigkeit die Fliesenbranche erreicht. So bemühte sich beispielsweise der Verband der italienischen Fliesenindustrie, Confindustria Ceramica, die positiven Umweltaspekte der Keramik herauszustellen. Zudem betonten die Fliesenhersteller, dass ihre Natursteinimitationen dem Schutz der Natur und ihrer Ressourcen förderlich sind, da Keramik heute umweltschonender hergestellt wird, als viele Natursteine abgebaut werden können.

In Richtung Natürlichkeit geht auch die Idee, Fliesenoberflächen zu bemalen und anschließend zu brennen. Die Target-Gruppe zeigte wie schon erwähnt derartige gebrannte Kunstwerke. Aber auch an anderen Messeständen waren große Platten zu sehen, die aussahen wie gemalte Bilder, etwa bei Marazzi, ABK, Ragno, Terratinta und auch bei Villeroy & Boch. Und wer sich den Messestand von Vorlieferant Torrecid genau anschaute, konnte auch dort die Fliesenkunstwerke als Vorschlag für eine neue Ausdrucksform an die Keramikindustrie finden. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich dieses Verfahren durchsetzt. Hier von einem wirklichen Trend zu sprechen, wäre sicher noch verfrüht.

Als Oberflächen sind bei Wandfliesen nach wie vor seidenmatte Haptiken und 3D-Effekte gefragt. Vielfach werden diese mit eher kleineren Formaten realisiert. Der italienische Aussteller Novabell kreierte hingegen auch anmutig geschwungene Wellen auf verhältnismäßig großformatigen Fliesen.

Die deutschen Aussteller

In einer Zeit, in der Fliesen jede beliebige Oberflächengestalt annehmen können, hat sich Agrob Buchtal darauf besonnen, wieder unmittelbar als Keramik erkennbare Fliesen herzustellen. Die nach ihrem Schöpfer Karl Weber benannte neue Mosaikkollektion Karl stellt eine Hommage an ursprüngliche Keramikfliesen dar. Weber, Keramikingenieur bei der Deutschen Steinzeug mit mehr als vierzig Jahren Erfahrung, beschäftigt sich leidenschaftlich mit der Wirkung unterschiedlicher Glasuren und Texturen. Die von ihm gestaltete Feinsteinzeugkollektion, bestehend aus einer glänzend glasierten und einer matten, unglasierten Variante, wird Anfang 2020 in den Markt eingeführt und innerhalb des ersten Jahresquartals flächendeckend verfügbar sein, so Pressechef Werner Ziegelmeier. Je nach Art des Glasurauftrages beziehungsweise der Rohstoffrezeptur (bei unglasierten Oberflächen) entstehen beim anschließenden Brennvorgang unterschiedliche Ergebnisse. „Diese Unikate und ‚Solisten‘ vereinen sich dann in der Fläche zu einem harmonisch-lebendigen Orchester“, so der Agrob Buchtal-Pressetext. Über Karl hinaus präsentierte der Schwarzenfelder Hersteller noch die beiden neuen Serien Stories und Timeless, eine abstrakte Zementanmutung sowie eine Schieferinterpretation mit keramischer Handschrift.

Villeroy & Boch stellte unter der Überschrift „The Art of Simplicity“ (dt.: „Kunst der Einfachheit“) zwar sechs neue Kollektionen vor, allesamt aber eher leise und zurückhaltend. Entsprechend herrschen bei den Grundfliesen die Farbtöne Beige, Grau und Creme vor, während Dekorelemente und Schnittbordüren Individualität verleihen. Drei neue Serien bestehen aus Steingut und Feinsteinzeug; die Steinstruktur-Anmutung Alta ebenso wie die technisch-kreative Betonmischung Falconar und die natürliche Steinoptik Rockyart. Letztgenannte lässt sich effektvoll mit ausdrucksstarken, floralen Dekoren akzentuieren. In diesen Kollektionen steht bei den Bodenfliesen die neue softe Oberfläche Vilbotouch zur Verfügung, die die Rutschhemmklasse R 10 erreicht, sich aber dennoch angenehm glatt anfühlt.

Bei der Kollektion Metalyn handelt es sich um eine reine Feinsteinzeugserie im Metall- und Betonlook in einem besonders umfangreichen Formatspektrum bis zu den bei V & B Optima genannten XXL-Platten. Die fünfte neue Kollektion Nocturne interpretiert drei verschiedene Marmorarten in Feinsteinzeug, mit geläppter und polierter Oberfläche. Ombra schließlich stellt ein reines Steingutkonzept dar, bei dem technische und natürliche Aspekte kombiniert wurden. Aus dem Rahmen der gesamten Messepräsentation fiel eine rund 1.500 Euro teure Sonderanfertigung auf Optima-Basis. Die 260 x 120 cm große handgemalte und mit Partiallack beschichtete Platte zeigt ein Individualdekor. Kunden können sich künftig eine solche individuelle Keramikplatte anfertigen lassen.

Während die Steuler-Gruppe entschieden hatte, der Cersaie fernzubleiben und sich stattdessen lieber auf die Bau 2021 zu konzentrieren, kehrte die Ströher-Gruppe in diesem Jahr auf die Cersaie zurück. Steuler-Geschäftsführer Peter Wilson zufolge würden auf der Cersaie für den deutschen Markt kaum noch Entscheidungen hinsichtlich der Lagersortimente getroffen und die entsandten Händlerdelegationen immer kleiner. Ströher-Geschäftsführer Patrick Schneider hingegen erklärte, dass die Cersaie – neben der Bau – wieder zum festen Messekalender der Dillenburger Unternehmensgruppe gehören würde, da sie „für den deutschen Fachhandel und international die Leitmesse“ sei und bleibe. Nach dreijähriger Abstinenz präsentierten die Gruppenmarken Ströher, Gepardi und Ströher Living daher in Bologna ausdrucksstarke Fliesen- und insbesondere auch Klinkerneuheiten.

Neuheiten über Fliesen und Badeinrichtung hinaus

Auch 2019 war die Cersaie nicht ausschließlich den keramischen Fliesen und Badausstattungsprodukten vorbehalten. Parketthersteller präsentierten ihre Neuheiten ebenso wie Natursteinanbieter und Tapetenfabrikanten. Dank der neuen Digitaldrucktechniken sowie der Dekorindividualisierung kann heutzutage jedes Tapetenmotiv auf eine Fliese und jede Fliesenoptik auf eine Tapete projiziert werden. Letztlich bleibt dann nur die Frage, welches Material für den jeweiligen Einsatzbereich das geeignetere ist.

Hinzu kamen in den Hallen 31 und 32 Werkzeuge, bauchemische und Reinigungsprodukte. Und schließlich bot Halle 33 den Fliesenherstellern einen Einblick in die neuesten Rohstoffe, Zusatzmittel und Produktionstechniken. Da in diesem Jahr die Maschinenmesse Technargilla pausierte, tummelten sich die Fabrikanten digitaler Dekorationsverfahren sowie von Farben und Glasuren in der Halle. Sie zeigten einen randvollen Baukasten technischer Möglichkeiten, sodass wir gespannt auf weitere Innovationen hoffen dürfen.

Messe zufrieden, Fliesenindustrie nicht

In ihrer Abschlusspressemitteilung verkündet die Messeleitung für 2019 gegenüber dem Vorjahr nahezu gleichbleibende Besucherzahlen – ein minimaler Anstieg von 0,2 % auf 112.340 ist den italienischen Besuchern geschuldet, da sich der Anteil ausländischer Besucher mit -1,9 % leicht rückläufig entwickelte.

Insgesamt 889 Messestände bedeuteten ein Plus von 49 gegenüber dem Vorjahr, wie oben schon erwähnt hauptsächlich dank der um 30 Aussteller angewachsenen Schar der Badeinrichter. Ausländische Aussteller aus 40 Ländern zeigten Präsenz an 342 Ständen – damit 18 mehr als noch 2018. Dennoch machen italienische Aussteller mit 61,5 % immer noch den Löwenanteil aus.

Die italienische Fliesenindustrie hatte indes kein leichtes Jahr: Sie musste von 2017 auf 2018 rückläufige Produktionszahlen und rückläufige Umsätze hinnehmen, was nach siebenmaligen Wertsteigerungen und sechsmaligen Absatzsteigerungen in Folge besonders schmerzt. Ein Plus von 4,7 % auf dem wichtigen deutschen Markt im ersten Quartal 2019 ist da Balsam für die Seele. 2018 wurden von den 137 in Italien ansässigen Unternehmen 415 Millionen Quadratmeter Fliesen (-1,6 % im Vergleich zum Vorjahr) produziert. Verkauft wurden davon insgesamt 401,1 Millionen Quadratmeter (-2,8 %). Dies entspricht einem Wert von 5,4 Milliarden Euro (-3,0 %). Nach wie vor lebt die italienische Fliesenindustrie zu 85 % vom Export, wobei dieser nicht ganz so stark wie der Inlandsabsatz, aber mit 4,5 Milliarden Euro doch um -3,3 % verlor.

Von den stabilen baukonjunkturellen Rahmenbedingungen hierzulande konnte die keramische Fliese in Deutschland trotz großer Nachfrage leider nicht profitieren. Der Absatz keramischer Fliesen war auch im Jahr 2018 rückläufig (-3,3 %). Zwar konnten die im Bundesverband Keramische Fliesen (BKF) zusammengeschlossenen deutschen Fliesenwerke im 1. Quartal 2019 ein leichtes Plus von 1,6 % um 7,1 Millionen Quadratmeter erzielen, dafür müssen sie aber seit 2006 einen kontinuierlichen Umsatz- und Absatzrückgang von 365,5 Mio. Euro (bei 43,1 qm) auf 293,4 Mio. Euro (bei 25,4 Mio. qm) in 2018 hinnehmen. Zwischen 2017 und 2018 war diese Negativentwicklung mit einem Rückgang um 13,1 Mio. Euro (bei -1,6 Mio. qm) besonders gravierend. Dabei hat der Anteil keramischer Fliesen an den Bodenbelägen in Deutschland seit 2008 von 14 auf 24 % im Jahr 2018 beachtlich zugelegt.

Gewinner auf dem deutschen Markt waren 2018 sowie im ersten Quartal 2019 insbesondere die türkischen und die besonders preisaggressiven polnischen Werke. Über positive Bilanzen berichten diejenigen Fliesenwerke, die XXL-Fliesen herstellen. Etwaige Schwierigkeiten in diesem Bereich seien nicht mehr produktionsbedingter Natur, sondern auf Transport und Verlegung sowie insbesondere auf die fehlenden Fachverleger in Deutschland und anderen Ländern zurückzuführen.

Text: Michael Spohr, Essen

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