Katholische Pfarrkirche in Poing

Skulpturale Dachlandschaft mit 15.000 dreidimensionalen Fliesen

Der goldene Hahn ganz oben auf dem Turmkreuz der neuen katholischen Pfarrkirche in Poing kündet vom Ende der Nacht. Im übrigen hat das kantig-skulpturale Gotteshaus an traditioneller christlicher Symbolik allerdings wenig zu bieten. Zunächst war sogar auf ein Kreuz im Innern verzichtet worden – dagegen wehrten sich jedoch empörte Gemeindemitglieder und drohten mit einem Kirchenaustritt.

Große Verglasungen markieren den Eingang im Südosten; der Sockel ist mit dem Naturstein Nagelfluh bekleidet
Oberhalb des geschosshohen Sockels sind die Fassaden und Dächer mit dreidimensionalen Fliesen ausgestattet
Die glänzend weiß glasierte Keramik reflektiert das Sonnenlicht in alle Richtungen

Der Sakralbau nach Plänen von Meck Architekten trägt den Namen Seliger Pater Rupert Mayer. In der stetig wachsenden Gemeinde östlich von München besetzt er eine städtebaulich prominente Stelle zwischen geplantem Rathaus, Bürgerhaus und evangelischer Kirche. Das neue Zentrum soll den nördlichen und den südlichen Ortsteil künftig besser verknüpfen.

Über quadratischem Grundriss (30 x 30 m) erhebt sich ein geschosshoher Sockel aus Nagelfluh, einem grobkörnigen Sedimentgestein der oberbayerischen Schotterebene. Dieser grauen Basis aufgesetzt ist eine strahlend weiße asymmetrische Dachlandschaft, deren Erhebungen an drei Ecken wie Segmente einer Pyramide geformt sind. Die höchste davon weist zwei geneigte Seiten auf und endet als Stumpf: Dort steht das goldene Kreuz mit dem gen Osten weisenden Hahn. Diese kaminähnliche Form wiederholt sich, deutlich verkleinert, noch einmal oberhalb des Kirchensaals. Die dritte Erhebung ist ein steiles Pultdach über einer Fassadenöffnung, die zur Gruber Straße im Südosten gerichtet ist. Im Erdgeschoss links daneben befindet sich der Haupteingang, über dem das Dach mit einer flachen Neigung endet. Zum Blickfang wird die allseitige Bekleidung mit einer schimmernden, markant profilierten Keramik. Große Verglasungen innerhalb der Natursteinbasis markieren die Eingänge im Südosten und Südwesten.

Zum Altar, der mit dem Haupteingang auf einer Achse liegt, fällt der Kirchenraum leicht ab. Im Anschluss an ein kurzes Entrée öffnet sich der Saal in die Höhe und scheint zum Himmel zu streben. Verstärkt wird dieser Eindruck durch drei große Öffnungen des Dachraumes. Durch eine Verglasung der höchsten Erhebung fällt Zenitlicht auf den Altarraum. Die beiden anderen Erhebungen sind seitlich mit Oberlichtern versehen; das Tageslicht wird über die schrägen Deckenuntersichten indirekt in den Saal geführt. So soll auf die Dreifaltigkeit angespielt und die liturgischen Orte hervorgehoben werden. Eine breite Verglasung im Erdgeschoss bildet den Hintergrund des Taufbeckens und eröffnet Ausblick zu einem kleinen See.

Die Inszenierung des Lichts erzeugt eine transzendentale Atmosphäre, hinter der sich die weitere Raumgestaltung zurücknimmt. Der Boden und die Wände im Sockelbereich sind auch innen mit Naturstein ausgeführt, die Wand- und Deckenflächen darüber weiß verputzt. Dunkle Akzente setzen der Naturstein von Altar, Kanzel und Taufbecken sowie anthrazitfarbene Metallrahmen in den tiefen Fensterlaibungen. Die schlichten Bänke und Stühle, Türen und weitere Einbaumöbel sind aus hellem Holz gefertigt.

Fliesen

Nicht nur im Inneren der Kirche, auch an Dach und Fassade wird das Tageslicht inszeniert: Die glänzend weiß glasierte dreidimensionale Keramik reflektiert es in alle Richtungen. Jede der insgesamt 15.000 quadratischen Fliesen bildet die abstrahierten Volumina der 2.200 Quadratmeter großen Dachlandschaft en Miniatur nach. Neben zwei Grundformen mit einer Kantenlänge von 38,7 Zentimetern und einer Höhe zwischen sechs und 13 Zentimetern wurden 700 Sonderformate und Passelemente hergestellt. Letztere wurden nach realem Aufmaß vor Ort gefertigt. Die Keramik ist auf einer Unterkonstruktion als Vorgehängte Hinterlüftete Fassade ausgeführt.

Die Fliesen sind im Schlickerguss gefertigt, einem Verfahren, bei dem Handarbeit einen großen Stellenwert einnimmt. Der Schlicker wird in trockene Gipsformen gegossen, die ihm Wasser entziehen. Dadurch lagern sich die mineralischen Bestandteile des Schlickers in der Gipsform ab, verdichten und verfestigen sich schließlich. Ist die gewünschte Materialstärke erreicht, werden die teilbaren Gipsformen entfernt. Um eine besonders lebendige Oberfläche zu erzielen, wurde die Glasur von Hand aufgetragen.

Bautafel

Architekten: Meck Architekten, München
Projektbeteiligte: Rudolf+Sohn Architekten, München (Bauleitung); Baugesellschaft Gebr. Rank, München (Rohbau); m&r Manufaktur, Saarbrücken (Herstellung Fliesen); DR Fassadenbau, Herzogenrath (Montage Fliesen); Schreinerei Pettmesser, Oberhausen (Glasfassaden, Innenausbau); F.X. Rauch, München (Natursteinarbeiten); Kunstschmiede Bergmeister, Ebersberg (Metall- und Kunstschlosserarbeiten); Jung, Schalksmühle (Schalter)
Bauherr: Katholische Kirchenstiftung, Poing vertreten durch das Erzbischöfliche Ordinariat, München
Standort: Gebrüder-Asam-Straße 2, 85586 Poing
Fertigstellung: 2018
Bildnachweis: Michael Heinrich, München; Florian Holzherr, München; Felix Löchner, Berlin; sichtkreis.com; m&r Manufaktur, Saarbrücken; Meck Architekten, München

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