Jagdschloss Platte in Wiesbaden

Modernes Glasdach über historischem Gemäuer

Nur wenige Autominuten von Wiesbaden entfernt, liegt das Jagdschloss Platte in der idyllischen Umgebung des hessischen Mittelgebirges. Errichtet wurde das Gebäude zwischen 1823 und 1826 im Auftrag von Wilhelm Herzog zu Nassau durch den Hofbaumeister Friedrich Ludwig Schrumpf. Er konzipierte einen Baukörper im klassizistischen Stil mit zurückhaltender Fassadengestaltung und quadratischem Grundriss. Das Dach war in Form eines Pyramidenstumpfes ausgebildet, den eine Aussichtsplattform krönte. Insgesamt 54 Räume standen zur Verfügung. Im Zentrum befand sich eine zweiläufige Wendeltreppe, die mit einer Kuppel, ähnlich der des römischen Pantheons, überspannt war.

Ein modernes Glasdach ersetzt das durch einen Bombeneinschlag im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörte Schlossdach
Die Architekten entwickelten das Glasdach als eigenständigen Baukörper, der sich deutlich vom historischen Gebäudebestand abhebt
Seitlich kragt das Dach über das alte Gemäuer hinaus

Im Zweiten Weltkrieg beschädigte ein Bombentreffer das Gemäuer derart, dass nur noch die Außenmauern stehen blieben. Erst ab Ende der 1980er Jahre begann man mit dem Wiederaufbau. Zunächst wurden die äußeren Wände saniert und mit einem Ringanker versehen. Noch einmal 15 Jahre dauerte es, bis die fehlende Überdachung ergänzt wurde. Der Entwurf dafür stammt von Gresser Architekten aus Wiesbaden. Sie entwickelten ein Glasdach als eigenständigen Baukörper, der sich deutlich vom historischen Gebäudebestand abhebt. Zuerst wurde die Stahl-Glas-Konstruktion errichtet, der abschließende Ausbau und die damit einhergehende ganzjährige Nutzung des Gebäudes als Veranstaltungsort erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt.

Bei ihrem Entwurf griffen die Planer die ehemalige Funktion des Daches als Aussichtspunkt auf: Eine Treppe führt hinauf zu einer Brücke, die entlang des Dachfirstes verläuft. Von hier können die Besucher sowohl ins Gebäudeinnere als auch auf die Stadt Wiesbaden blicken.

Glas
Die Dachkonstruktion besteht aus vier umgedrehten Glaspyramiden (siehe Abb. 2) mit einem Neigungswinkel von 18°, die über die Außenmauern des Jagdschlosses auskragen. Da es sich bei dem gesamten Dach um eine Überkopfverglasung handelt, die zu Reinigungszwecken begehbar sein muss, wurden alle Glasscheiben als betretbare Verglasung ausgeführt. Die Entwässerung erfolgt über Rinnen in den Eckbereichen der Kehlen. Im Tiefpunkt ist ein zentraler Ablauf angeordnet.

Eine schirmartige Stahlkonstruktion übernimmt den Lastabtrag der Glaskonstruktion. Im Innenbereich des alten Gemäuers wird die thermische Trennung durch eine 2-fach-Isolierverglasung erreicht. Sie besteht von von außen nach innen aus ESG 12 mm / SZR 16 mm / VSG 2 x 10 mm. Im Bereich der Auskragung war ein Aufbau von außen nach innen aus ESG 6 mm / TVG 12 mm / TVG 12 mm statisch erforderlich. Als Zwischenmaterial kam in allen Bereichen 1,52 mm starke PVB-Folie zum Einsatz.

Die Größe der Glasplatten orientiert sich an einem gleichmäßigen Raster und beträgt maximal 1,662 x 1,585 m. Im Bereich des Anschlusses an die tragende Rinnenausbildung in den Kehlen wurden die Glasplatten als Dreiecksscheiben ausgebildet. Der Lastabtrag der Horizontalverglasung erfolgt über eine punktförmige Lagerung über Spider auf der Stahlkonstruktion. Die rechteckigen Glasplatten werden über vier Punkte, die dreiecksförmigen Platten im Rinnenbereich über drei Punkte auf der Tragrinne gehalten. Im Kragbereich wurde auf eine Auflagerung auf der Entwässerungsrinne verzichtet. Eine flexible Silkonfuge gewährleistet die Abdichtung zwischen den Glasscheiben.

Bautafel

Architekt: Hans-Peter Gresser, Wiesbaden
Projektbeteiligte: Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden (Denkmalschutz); Ahrens + Gerlach, Wiesbaden (Tragwerksplanung); R. Bangratz, Heilbronn (Werkplanung, Ausschreibung, Bauleitung Glasdachkonstruktion); Prüfamt für Baustatik, Würzburg (Prüfstatik)
Bauherr: Stiftung Jagdschloss Platte, Wiesbaden
Fertigstellung: 1823-1826 / 2003- 2007
Standort: An der B 417 zwischen Wiesbaden und Taunusstein Neuhof
Bildnachweis: Gresser Architekten, Wiesbaden

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