Grundlagenwissen aus historischen Referenzbauten

Baugeschichte als Ideen- und Quellensammlung

Baugeschichte als Ideen- wie Quellensammlung aus historischen Referenzbauten liefert einen riesigen Fundus an Erfahrungen, auf die wir heute nicht nur bei Fragen der Nachhaltigkeit, bei der Beurteilung von Lebenszyklen, sondern auch bei Experimenten mit innovativen Konstruktionen und ungewöhnlichen Material- und Tragwerkslösungen zurückgreifen können.

... und ist heute noch immer eines der beliebtesten Materialien (im Bild: Waldorfschule, Berlin).
Fenster mit Butzenscheiben und Bleifassung, Dorfkirche Berlin-Stralau
Kapellenfenster mit farbigem Bleiglas

Historische Holzfensterkonstruktionen

Holz gilt als das älteste und bewährteste Material für Fenster und ist heute noch immer eines der beliebtesten Materialien, von Fenstern für Einfamilienhäusern, mobilen Architekturen bis selbst bei mehrgeschossigen Bürogebäuden. Holzfensterkonstruktionen können teilweise mehrere 100 Jahre alt werden.

Die mittelalterlichen Fachwerkhäuser in Städten wie Esslingen (z. B. Heugasse, 1261) oder Soest (z. B. Pilgrimhaus, 1304) beinhalten zwar keine authentisch-mittelalterlichen Fenster mehr, da diese teilweise im Barock und späteren Epochen ausgetauscht wurden, doch sie zeigen noch immer grundlegende Prinzipien. Mehrere kleinere Gussglasscheiben, oft mit Glasmalerei verziert, wurden mit Sprossen aus Holz oder Blei zu größeren Formaten zusammengefügt. Diese Fenster mit Einfach-Verglasungen erhielten im Winter ein weiteres Fenster, das in der gemeinsamen Laibung einen Kasten mit einer Luftschicht bildete. Diese Kastenbauweise gilt als eine frühe Form, aus elektro-magnetischer Strahlung eine wärmedämmende Wirkung zu erzielen. Aufdoppelungen mit zusätzlichen Fensterflügeln sind auch heute ein effektives Mittel um historische Fenster energetisch zu verbessern. Je nach Anforderungen an Denkmalschutz und Fassadengestaltung werden diese zusätzlichen Fenster entweder außen oder innen hinzugefügt. Im Prinzip sind die heute gängigen Fenster mit Mehrfachverglasungen die Weiterentwicklung dieser mittelalterlichen Bauweise.

Im Freilichtmuseum Hessenpark lassen sich mehr als 100 historische Häuser mitsamt ihrer Fenster studieren. Die Häuser, die in ganz Hessen vor dem Abbruch gerettet wurden, sind wissenschaftlich bzw. thematisch geordnet. Das Norsk Folkemuseum auf Bygdog bei Oslo versammelt 160 historische Häuser, von denen das älteste aus dem Jahr 1200 stammt.

Industrielle Revolution: Gusseisen als Rahmenmaterial

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im Zuge der industriellen Revolution mit Gußeisen als Rahmenmaterial gearbeitet. Als ikonenhaftes Bauwerk gilt der Crystal Palace, 1851 im Hyde Park, London von Joseph Paxton errichtet. Für die Gußeisen-Glas-Konstruktion ließ sich Paxton, der ursprünglich Gärtner war, von Gewächshäusern und Wintergärten inspirieren. Sowohl die neuartige Technologie – ein vorgefertigtes modulares Stecksystem aus gusseisernen Stangen als Pfosten und Riegel gefüllt mit großflächigen Glasfenstern – als auch die Größe des Glaspalastes (563 x 124  x 33 Meter) machten ihn bis heute zum Referenzobjekt für filigrane Metall-Glas-Konstruktionen wie z. B. bei Wintergärten, Lichthöfen, Ateliers sowie Ausstellungs- und Messebauten.


Stahlfenster nach 1900

Stahlfenster sind eine technologische Weiterentwicklung, denn Stahl ist als Legierung weniger korrosionsanfällig als Gusseisen. Technologisch und architektonisch einflußreiche Bauten mit Stahlfenstern sind unter anderem die AEG-Turbinenhalle, 1908 bis 1909 von Peter Behrens und Karl Bernhard in Berlin-Moabit erbaut, und das Bauhaus in Dessau, 1925 bis 1926 von Walter Gropius entworfen. Behrens und Bernhard setzen bei der AEG-Turbinenhalle, deren Haupthalle ursprünglich die Abmessungen 124 x 25 x 25 Meter hatte, auf tragende aber filigran einfachverglaste Fensterflächen aus dunkelgrünem Klarglas. Zusammengesetzt mit Pfosten, Riegeln und Sprossen hat das Fensterfeld an der Stirnfront 14,40 m Höhe im Quadrat. Die 13 seitlichen Fensterflächen an der Berlichingenstrasse sind aus Blendschutzgründen leicht geneigt.

Durch die Fortschritte der metallverarbeitenden Industrie entstanden seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch bei Fenstern neue Rahmensysteme. Zusammengesetzte Profile und Hohlkammer-Systeme ersetzen massive Fensterrahmen. Aluminium-Hohlkammer-Profile wiederum ersetzen als leichteres Metall Stahlprofile. Für eine bessere Wärmedämmung wurden die Hohlkammern teils auch mit Dämmstoffen gefüllt bzw. ausgeschäumt.

Ab den 1950er-Jahren bis heute: Kunststoffprofile und Kompositmaterialien

1954 entwickelte der Ingenieur Heinz Pasche zusammen mit der Dynamit Nobel AG das erste Fenster mit Kunststoffprofilen, in dem er über ein aussteifendes Stahlprofil PVC extrudierte. Mit weiteren Kunststoffen bzw. Polymer-Verbindungen wie z. B. Polyester, Polyurethan und Polysterol wurde ebenfalls experimentiert. Kunststoff-Fenster gelten als preiswert und wärmedämm-technisch sehr günstig, aber werden zunehmend kritisch beurteilt hinsichtlich schädlicher Emissionen und Anfälligkeit für mechanische und solar verursachte Verformungen, die die Lebensdauer reduzieren.

Kunststoffe, auch High-Tech-Hybrid-Kunststoffe, die die klassischen Materialkategorien verschmelzen, lassen sich aus unserem heutigen Leben nicht mehr wegdenken. Die Kunststoffindustrie ist ein sehr dynamischer Bereich und reagiert mit neuen bleifreien und umweltschonenden Produkten.

Seit den 1970er-Jahren sind zahlreiche Kompositmaterialien für Fensterrahmen auf dem Markt, wie zum Beispiel Holz-Alu-, Holz-Kunststoff- sowie Metall-Kunststoff-Verbindungen, die in der Kombination die jeweiligen Materialeigenschaften optimieren sollen.

Langlebigkeit und Ressourcenschonung als Kriterium

Die Entwicklung geht weiter mit Parametern wie Klimafreundlichkeit, Recyclefähigkeit, Persistenz, auch mit Stichworten wie Plastikmüll und endokrinen Disruptoren, Treibhausgasemissionen für Herstellung und Transport, nachwachsenden Rohstoffen, biobasierten bzw. biologisch abbaubaren Komponenten, Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie, und nicht zu vergessen der Langlebigkeit als wichtiges Kriterium für ein Qualitätsprodukt.

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