Glaserhaus im Emmental

PV-Dach macht 250-jähriges Handwerkerhaus zu Plus-Energie-Gebäude

Stattliche Bauern- und Handwerkerhäuser mit ausladenden Walmdächern sind charakteristisch für das Schweizer Emmental. Die geschichtsträchtigen Holzständerbauten erinnern an die Blüte der Emmentaler Landwirtschaft im 18. Jahrhundert. Ein repräsentatives Beispiel für die damalige Baukunst ist das Glaserhaus in Affoltern. Glasermeister Hans Heiniger errichtete es 1765 als Handwerkerhaus mit großer Werkstatt im Erdgeschoss. Sein Enkel ergänzte die Südfassade 1825 um eine so genannte Ründi. Dabei handelt sich um eine für die Region typische halbrunde Holzverschalung direkt unter der abgewalmten Giebelspitze, dem Gerschild. Spätere Besitzer verkleideten den Bau im Jahr 1888 mit Schindeln.

Das Walmdach des sanierten Glaserhauses wurde als Solardach mit integrierten Dachfenstern ausgebildet - über 500 Solarmodule erzeugen jährlich rund 90.500 kWh Strom, der zu rund 90 % ins Netz eingespeist wird
Die wichtigste Sanierungsmaßnahme war eine durchgehende Querstabilisierung im hangseitigen Bereich
Aus Denkmalschutzgründen blieb die Südfassade mit ihren originalen Holzsprossenfenstern komplett erhalten und wurde nicht wärmegedämmt, die Fenster erhielten jedoch eine neue Isolierverglasung

Im 20. Jahrhundert stand das Gebäude lange leer und begann zu verfallen. Die heutigen Eigentümer fanden das von der Denkmalpflege des Kanton Berns in die höchste Schutzstufe eingeordnete Haus in einem desolaten Zustand vor: Das Dach war undicht und der gesamte Ständerbau vom Erdgeschoss bis zum Dach stark verzogen. Das Kellergewölbe wies große Risse auf und der Türsturz aus Stein war geborsten.

2012 startete die dreijährige Sanierungsphase. Die neuen Hausbesitzer wollten möglichst viel von der alten Bausubstanz erhalten und gleichzeitig den Schweizer Minergie-P-Standard erreichen, der ungefähr dem deutschen Passivhausstandard entspricht. Ein schwieriger Spagat, bei dem von Vorteil war, dass die Bauherren zugleich Architekten sind und Erfahrung in der Sanierung historischer Bausubstanz mitbringen.

Die wichtigste Maßnahme war die statisch-konstruktive Gesamtinstandsetzung des Hauses durch den Einbau einer durchgehenden Querstabilisierung im hangseitigen Bereich. Der Betonhohlkörper nimmt zugleich alle haustechnischen Installationen des Gebäudes auf. Die Nord-, Ost- und Westseite wurden mit einer 28,5 cm starken Wärmedämmung versehen. Eine Ausnahme bildet die Südfassade. Aus Denkmalschutzgründen blieb die traditionelle Fensterfront mit Holzsprossen ohne Dämmung. Lediglich die Fenster erhielten eine neue Isolierverglasung. Die vom Glasermeister im 18. Jahrhundert eingebauten, handgefertigten Fensterscheiben fanden im Innenbereich eine neue Verwendung. Das Dach wurde durch eine Sparrenlage und Holzschalung ergänzt und mit einer ebenfalls 28,5 cm starken Dämmschicht ausgestattet. Der bisherige Energiebedarf des Hauses verminderte sich durch die Maßnahmen um 87 Prozent.

Die Raumfolge des Wohnteils blieb bestehen, da im Kanton Bern seit dem Jahr 2000 auch die Innenräume denkmalgeschützt sind. In die Tenne und den Stall im ehemaligen Wirtschaftsteil des Hauses zogen die Eigentümer eine Brandmauer ein, die den beheizten Wohnteil abschließt. In die Tenne wurde ein dreistöckiger Nasszellenturm eingebaut, der durch eine neu erstellte Treppe erreichbar ist.

Gebäudetechnik

Im Rahmen der energetischen Sanierung wurde das Gebäude auch mit zeitgemäßer Haustechnik ausgestattet. Die Eigentümer legten dabei großen Wert auf den Einsatz erneuerbarer Energien. Ein Sanierungsziel war es, den im Haus anfallenden Strombedarf für Heizung, Beleuchtung und elektrische Geräte selbst zu decken. Drei der vier Dachflächen des Hauses sind daher als Solardach ausgebildet, das die herkömmliche Deckung komplett ersetzt. Um ein optisch einheitliches Erscheinungsbild zu erzielen, sind auf der Nordseite des Krüppelwalmdachs – das einen zu geringen Energieertrag erbracht hätte – lediglich Solarzellen-Attrappen montiert. Ins Solardach sind zwölf Dachfenster integriert, die sich öffnen lassen.

Die 550 Quadratmeter große PV-Anlage mit einer Nennleistung von 89,4 kWp besteht aus über 500 Solarmodulen und erzeugt pro Jahr 90.500 kWh Strom. Davon werden 80.800 kWh von den Bewohnern nicht benötigt und ins öffentliche Netz eingespeist. Das Haus gilt damit als Plusenergiebau, das mehr Energie produziert als seine Bewohner und das Gebäude selbst verbrauchen. Mit der überschüssigen Strommenge können 58 Elektroautos jährlich 12.000 km CO2-frei fahren.

Beheizt wird das Haus durch eine Sole-Wasser-Wärmepumpe in Verbindung mit einer Fußbodenheizung. Zwei in 180 Meter Tiefe platzierte Erdsonden entziehen dem Erdreich Wärme, die von der Wärmepumpe auf ein für die Raumheizung und Warmwasserbereitung geeignetes Temperaturniveau angehoben wird. Im Sommer lässt sich das Gebäude mit der Anlage auch passiv kühlen. Dabei nimmt das in der Fußbodenheizung zirkulierende Wasser überschüssige Wärme auf und gibt sie über einen Wärmetauscher an den Solekreislauf und anschließend ans Erdreich ab. Ein vorhandener traditioneller Kachelofen mit beheizter Sitzbank – ein so genannter Schweizer Trittofen – wurde über ein nachträglich eingebautes Heizregister in den Heizungskreislauf einbezogen.

Bautafel

Architekten: Christian und Elisabeth Anliker, Bern
Projektbeteiligte: Clevergie, Wyssachen (Planung und Realisation Solardach), Habisreutinger Gebäudehülle, Huttwil (Gebäudehülle)
Bauherr: Christian und Elisabeth Anliker, Bern
Fertigstellung: 2015
Standort: Eggerdingen 7, 3416 Affoltern im Emmental
Bildnachweis: Clevergie, Wyssachen

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