Genossenschaftliche Wohnanlage WagnisArt in München

Dächer mit Terrassen, Gärten und Photovoltaik

Das Gelände der stillgelegten Funkkaserne in München-Nordschwabing beherbergte in den 1990er-Jahren eine der größten Künstlerkolonien Europas. Zeitweise befanden sich bis zu 300 Werkstätten auf dem Areal. Dann beschloss die Stadt München, die Fläche mit dringend benötigten Wohn- und Gewerbeeinheiten zu bebauen. Im neuen Stadtquartier entstehen 1.700 Wohnungen und tausend Arbeitsplätze. An die künstlerische Vergangenheit erinnert heute nur noch das städtische Atelierhaus am Domagkpark mit seinen rund hundert Ateliers. In dessen unmittelbarer Nachbarschaft hat die Münchner Baugenossenschaft Wagnis einen ungewöhnlichen und räumlich spannenden Wohn- und Gewerbebau realisiert. Der Projektname wagnisART knüpft nicht nur an die früheren Künstlerwerkstätten an, sondern soll zugleich für eine fortschrittliche Lebensart stehen. Denn das Gebäude bietet neben klassischen Wohnungen auch eine neue (alte) Form von gemeinschaftlichem Zusammenleben.

Fünf unregelmäßig geformte Baukörper gruppieren sich um einen zentralen Hof, der auch der Erschließung dient.
Rund um den Hof sind die Gebäude durch Brücken verbunden.
Brückenkonstruktionen als prägendes Gestaltungsmerkmal.

Der Neubau ist Gemeinschaftseigentum. Als Genossenschaftsmitglieder sind alle Bewohner „Mieter im eigenen Haus“ und besitzen lebenslanges Wohnrecht. Ihr Anspruch an die Architektur wurde in einem außergewöhnlichen städtebaulichen Entwurfskonzept von Bogevischs Büro in Zusammenarbeit mit SHAG Schindler Hable Architekten umgesetzt. Sämtliche Nutzer waren von Anfang an in den Planungs- und Bauprozess eingebunden; dabei wurde auch die Entwurfsautonomie der Architekten infrage gestellt.

Entstanden sind fünf unregelmäßig geformte, im Grundriss polygonale Baukörper mit drei bis fünf Geschossen. Sie gruppieren sich um einen Gemeinschaftshof, von dem die Häuser erschlossen werden. Dieser ist zwar durchlässig zum Straßenraum, liegt allerdings etwas erhöht. Untereinander sind die Gebäude durch Brückenkonstruktionen verbunden, die als Laubengänge zu den Wohnungen führen und als Freiraum vielfältig nutzbar sind. Alle Häuser sind Stahlbetonskelettbauten, die Außenwände Holzrahmenkonstruktionen mit vorgehängten, weiß verputzten Fassaden. Verschieden große Fenster sind unregelmäßig verteilt.

Die fünf Gebäude beherbergen insgesamt 138 Wohnungen mit einer Gesamtfläche von 9.600 Quadratmetern. Neben Standardwohnungen bietet das Ensemble sogenannte Wohnungscluster, bei denen Singles, Paare und Familien jeweils in einem eigenen Apartment mit kleiner Küchenzeile und Bad leben. Für die gemeinsame Nutzung steht ihnen ein großer Raum als Küche, Ess- und Wohnzimmer zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es weitere Gemeinschaftsräume und Gewerbeflächen: Ateliers, Büros, Praxen, Werkstätten, einen 170 Quadratmeter großen Veranstaltungsraum sowie ein Restaurant. Großzügige Terrassen und zwei Dachgärten mit Gemüse- und Blumenbeeten sind offen für alle Bewohner. Das Projekt wurde als zertifiziertes Passivhaus realisiert. Aufgrund der speziellen Geometrie der Häuser mit ausgeprägten Vor- und Rücksprüngen, Loggien und den Betonbrücken mussten die Planer verstärkt auf die Vermeidung von Wärmebrücken und eine hohe Luftdichtheit achten.

Flachdach
Ein Großteil der Flachdächer wird genutzt, ebenso wie der Hof und die umlaufenden Brücken dienen sie als gemeinsamer Freiraum: Sie sind als Dachgärten begrünt, als Terrassen mit Betonwerksteinen belegt (Abb. 21) oder mit Photovoltaik ausgestattet. Der Aufbau ist wie folgt: Oberhalb der tragenden Stahlbetonplatte dient eine Elastomerbitumenschweißbahn als Dampfsperre. Es folgt eine im Mittel 300 mm starke Gefälledämmung (PIR) und darüber zwei Lagen (3 bzw. 5 mm) Elastomerbitumen-Schweißbahn. Über der Abdichtung ist eine Schutzmatte aufgebracht, auf die ein Splittbett (mind. 40 mm) folgt sowie 50 mm Betonwerksteinplatten bei begehbaren Dachflächen. Alternativ dazu gibt es Beete für Zier- und Nutzpflanzen.

Auf den Dächern sind drei Photovoltaikanlagen installiert. Die Gesamtleistung aller Solarstrommodule summiert sich auf 94 Kilowatt. Im Hinblick auf die Verbrauchsspitzen morgens und abends sind die Module in Ost-West-Richtung aufgestellt. Der Neigungswinkel von zehn Grad trägt dazu bei, dass keine Mittagsspitzen bei der Stromerzeugung auftreten und so das öffentliche Stromnetz geschont wird. Alle Anlagen sind für die Eigenversorgung mit Solarstrom optimiert. Um den Strom in Form von Mieterstrom selbst nutzen zu können, wird er über einen Dienstleister an die Bewohner verkauft. Die Anlagen erzeugen in einem Jahr mit durchschnittlicher Sonneneinstrahlung rund achtzig Megawattstunden (MWh) Strom und decken damit rund 15 Prozent des Bedarfs.

Das Projekt WagnisART wurde bereits mehrfach ausgezeichnet: Im Jahr 2016 mit dem Deutschen Städtebaupreis, 2017 erhielt es den Deutschen Landschaftsarchitekturpreis sowie eine Anerkennung beim Deutschen Architekturpreis.

Bautafel

Architekten: Arbeitsgemeinschaft Bogevischs Büro Architekten & Stadtplaner, München und SHAG Schindler Hable Architekten, München
Projektbeteiligte: Henke Rapolder Frühe Ingenieurgesellschaft, München (Tragwerksplanung); Ingenieurbüro EST Energiesystemtechnik, Miesbach (Planung HLSE); Arge Bauchplan, München und Auböck/Kárász, Wien (Landschaftsarchitektur); Bauder, Stuttgart (Hersteller Dachaufbau)
Bauherr: Wohnbaugenossenschaft Wagnis, München
Fertigstellung: 2016
Standort: Fritz-Winter-Straße 4-16, 80807 München
Bildnachweis: Julia Knop, Hamburg; Michael Heinrich, München

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