Gemeindezentrum in Amsterdam

Mauerwerk als Fusion von holländischer und arabischer Bautradition

Der im Osten von Amsterdam gelegene Stadtteil Transvaalbuurt ist ein multikultureller Bezirk mit einem hohen Anteil marokkanisch- und türkischstämmiger Muslime. Für sie plante die Architektin Marlies Rohmer ein multifunktionelles Gemeindezentrum, das zwei Moscheen unter einem Dach vereint. Ein in das Gebäude integriertes, städtisches Fortbildungs-, Beratungs- und Jobzentrum soll außerdem dazu beitragen, möglichst viele Bevölkerungsgruppen zusammenzuführen.

Gemeindezentrum in Amsterdam
Gemeindezentrum in Amsterdam
Gebetsraum

Dass der geradlinige Backsteinbau zwei islamische Gotteshäuser beinhaltet, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Die Architektin hat auf die typischen Sinnbilder arabischer Sakralbauten, wie Kuppeln und Minarette verzichtet und stattdessen eine Architektursprache entwickelt, die arabische Ornamentik mit Elementen der Amsterdamer Schule verbindet. Damit nimmt sie Bezug auf die vielen anderen Gebäude im Stil der Amsterdamer Schule im Stadtteil Transvaalbuurt, der in den 1920er Jahren vom Architekten H.P. Berlage geplant wurde. Marlies Rohmer begreift ihr Bauwerk als eine Fusion, so auch der Name des Zentrums. Architektonisch fusionieren sollten einerseits die Elemente der arabischen Architektur mit den holländischen Bautraditionen, andererseits sollte auch ein gesellschaftlicher Zusammenschluss ermöglicht werden, indem verschiedene ethnische Gruppen das Zentrum gemeinsam nutzen.

Entstanden ist ein Gebäude, das fast nahtlos an die Nachbarbebauung anschließt, zugleich aber eigenständig und in gewisser Weise sogar als Fremdkörper wirkt. Auch wenn der Bau aufgrund seiner durchgängigen Materialität - Backstein - aus der Ferne betrachtet homogen erscheint, so erschließt er sich er sich beim Näherkommen als das Patchwork, das er ist: Die Backsteinfassade wird durchlässig und gewährt Einblicke.

Während das Äußere des Gebäudes die Verbindung zur holländischen Architektur sucht, folgt der Innenraum klar einer islamischen Ästhetik, die ihren Ausdruck vor allem in Mosaiken findet. Hier haben eindeutig die jeweiligen Nutzergruppen den Raumeindruck bestimmt. Im Erdgeschoss befinden sich die über zwei Geschosse reichenden Gebetsräume der türkischen und marokkanischen Gemeinde. Zwar verfügen die beiden muslimischen Zentren jeweils über eigene, von der Straße direkt benutzbare Eingänge; doch diese sind eindeutig dem gemeinsamen Haupteingang untergeordnet. Zwischen den Gebetsräumen und dem zentralen Eingangsbereich liegen Waschräume und kleinere Büros. Ein von den Frauen beider Gemeinden gemeinschaftlich genutzter Gebetsraum im ersten OG ist über eine Treppe vom Haupteingang aus zu erreichen. Im zweiten Obergeschoss wurden die Schulungsräume untergebracht, das dritte OG nimmt die Büros des Arbeitsamtes auf.

Mauerwerk
Das Gebäude wurde als viergeschossige Stahlträgerkonstruktion mit zweischaligen Wänden aus Kalksandstein und Backstein errichtet. Die innere Schale aus 14 cm starkem KS-Mauerwerk erhielt eine 14 cm dicke Mineralwolldämmung, gefolgt von einer 8,2 cm messenden Luftschicht. Den äußeren Abschluss bildet ein 10,8 cm starkes Backsteinmauerwerk, das in unterschiedlichen Verbänden vermauert wurde. Die Architektur erhält ihren besonderen Ausdruck durch das Spiel mit verschiedenen Mauerwerksflächen, bei denen das Material Backstein variantenreich eingesetzt wurde: als viereckige Mauerwerk-Rosette mit tiefem Relief bei den Gebets- und Büroräumen, als offenes Mauerwerk vor den Eingangsbereichen und Waschräumen sowie als Sockel aus glasierten Backsteinen.

Den zentralen Eingangsbereich flankiert eine - wie gewebt wirkende - Ziegelfassade, deren Aussparungen Einblicke zulassen. Diese elegante Steingardine schafft keine vollständige Trennung, bietet jedoch räumlich und visuell einen gewissen Schutz. Besonders reizvoll wirkt dieses Feld bei Dunkelheit, wenn das Licht nach außen strahlt und das Geschehen in den dahinter liegenden Büros und Gebetsräumen erhellt, ohne die Akteure zur Schau zu stellen. Hinter diesem offenen Mauerwerk sind zur Befestigung vertikale Stahlprofile angebracht. Diese haben dieselbe Farbe wie die Fensterrahmen, wodurch sie nicht besonders ins Auge fallen. Einen markanten Einschnitt bildet ein rund 20 Meter langes, fünfteiliges Panoramafenster, das den Mittelpunkt des Zentrums markiert. Hier befinden sich die gemeinsam genutzten Schulungsräume.

Einer klassischen Dreiteilung der Fassade folgend, erhebt sich das Gebäude auf einem Sockel aus vertikal im Parallelverband gemauerten, braun glasierten Ziegeln. Im darüber liegenden Mittelfeld geben die aufgereihten quadratischen Fenster und unterschiedliche Mauerwerksverbände die Struktur vor: Die teils horizontal, teils vertikal vermauerten Steine legen sich um die quadratischen Fenster und bilden Felder, die an klassische Rosetten erinnern. Der obere Abschluss besteht aus einer horizontal aufgefädelten größeren Rosettenreihe. Die großen Rosetten bestehen aus Backsteinen mit den Abmessungen 22,8 x 10,8 x 54 cm, die für die kleinen Rosetten fand ein Steinmaß von 22,8 x 10,8 x 40 cm Verwendung. Die Architekten wählten einen dänischen Handform-Verblender, der in seiner Farbigkeit von Hellgelb über Rot, Orange und Braun bis hin zu Grau und Schwarz changiert. Um ein gleichmäßiges Fassadenbild zu erzielen, wurden die Steine von Hand selektiert. Die Plastizität der Rosetten wird durch die Verwendung dreier Steinformate - Dänisches Normal Format (DNF), Hamburg Format (HF) und Flensburg Format (FF) - sowie durch die zurückliegenden dunklen Fugen noch unterstützt.

Bautafel

Architekten: Architectenbureau Marlies Rohmer, Amsterdam; Mitarbeiter: Floris Hund, Kirsten Gabriëls, Gieneke Pieterse, Boris Briels und Pepijn Nolet, alle Amsterdam
Projektbeteiligte: Amsterdams Bouwadviesbureau, Amsterdam (Tragwerksplanung); Petersen Tegl, Kopenhagen (Backstein)
Bauherr: Stadsdeel Amsterdam Oost / Watergraafsmeer
Fertigstellung: 2008
Standort: Joubertstraat 15, Amsterdam

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Beispiel für Verblendmauerwerk an einem Theater in Kopenhagen

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Ein hoher Eisengehalt im verwendeten Ton führt bei den gebrannten Ziegeln zu der typisch roten Färbung

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