Gästehaus bei Berlare

Schichtholzhöhle mit Cortenverkleidung

Architektur und Film – da mag man an Metropolis denken, an Wolkenkratzer, Schluchten und die Katakomben der Unterstadt. Vielleicht aber auch an das Kabinett des Dr. Caligari mit expressionistisch verzerrten Kulissen, an Stanley Kubrics perfekte Arrangements oder Jacques Tatis ins Absurde überzogene Moderne. Wie kann ein Gästehaus für einen Filmproduzenten aussehen, der den Aufenthalt seiner Gäste inszenieren und zugleich vor Ort Previews präsentieren möchte? Darauf haben die Architekten Dries Vens und Maarten Vanbelle aus Gent eine Antwort gefunden, die von den surrealen Welten des Regisseurs David Lynchs inspiriert ist. Zwischen Gent und Antwerpen taucht bei Berlare an einer eingewachsenen Straßenecke über einer Gartenmauer eine Art gebogene Spundwand mit Bullaugen und Leuchtturm auf. Die sonderbaren Details gehören zum Gästehaus eines am Fluss Schelde gelegenen Wohnhauses aus dem 19. Jahrhundert.

Die objekthafte Architektur interagiert mit dem zweigeschossigen Wohnhaus.
Die Fassade besteht aus Trapezblechen aus Cortenstahl.
Eine Wendeltreppe führt in eine Aussichtsplattform.

Filmvorführungen unter der Erde

Ein Teil der Räumlichkeiten liegt im Verborgenen, unter anderem der Filmvorführraum mit rund zehn Plätzen und einer kleinen Bar. Denn das untere Geschoss wurde zum Teil ins Gelände eingegraben, zum Teil wurde noch Erdreich aufgeschüttet und hangartig modelliert. Darüber schwebt aufgeständert der Baukörper des Gästehauses, im Grundriss ein Trapez mit großzügig abgerundeten Ecken. Beide Ebenen sind durch eine schlanke Wendeltreppe miteinander verbunden, die als geschlossener Cortenstahl-Tubus über das Flachdach hinausragt. Eine kleine, zungenförmig in Richtung Garten auskragende Plattform dient als Ausguck und Balkon. Den oberen Abschluss der Spindel bildet ein kreisrundes Oberlicht mit flacher Dachkuppel.

Mit dem Flair einer Höhle

Innen hat das in einen kleineren Schlaf- und einen größeren Wohnbereich geteilte Gebäude das Flair einer heimeligen Höhle. Boden, Wände und Decke aus Furnierschichtholz gehen fließend ineinander über. Wie bei der Negativform eines Architektur-Geländemodells verspringen die vier Zentimeter dicken Furnierholzplatten gegeneinander. Auch Regale, Küchenzeile, Stufen und Bettsockel sind in die Schichtungen integriert. Der Weg vom Haupt- ins Gästehaus ist eine inszenierte Sequenz aus Verwirrung und Unerwartetem – eben fast wie in einem David-Lynch-Film. Er führt die Gäste über eine Treppe hinab in einen unterirdischen Flur, lässt sie plötzlich im rot verhangenen Kinoraum ankommen und dann über die enge, hohe Wendeltreppe in den Wohnbereich gelangen, und von dort weiter nach oben in den Ausguck, auf dem sich auch eine Freiluftdusche befindet. Man kann das Gästehaus aber auch direkt vom Garten aus über eine Schiebetür betreten.

Konstruktion und Fassade: Vorgefertigte Holzmodule mit einer Hülle aus Cortenstahl

Der homogene Korpus besteht vollständig aus Furnierschichtholz. Er wurde Schicht für Schicht in einer Halle des ausführenden Unternehmens aufgebaut, anschließend in vier Teile getrennt, vor Ort wieder zusammengefügt und mit einer diffusionsoffenen, schlagregensicheren Steildachbahn bespannt. Die äußere Hülle besteht aus Cortenstahlblech, das als stehend montiertes Trapezblech auf Querlattung verbaut ist. Treppenspindel, Aussichtsplattform und Laterne haben eine Stahlrahmenkonstruktion.

Während die Brüstung des Ausgucks mit dem gleichen Trapezblech wie am eingeschossigen Baukörper versehen ist, wurde der dazwischenliegende Treppenzylinder mit glattem Cortenstahlblech verkleidet. Die beiden großen Bullaugenfenster – das vom Schlafzimmer aus Richtung Norden und das vom Wohnbereich aus Richtung Osten zur Schelde hin – nehmen in etwa den Durchmesser der Wendeltreppe auf. Insgesamt verbindet das markante, rostbaune Architekturobjekt abstrakte Assoziationen an maritime und an mechanische Artefakte, irgendwo zwischen Schiffskai, Hafenkran, Mastkorb und Getriebewelle.

Bautafel

Architektur: Atelier Vens Vanbelle, Gent
Projektbeteiligte: Dries Vens, Maarten Vanbelle (Büropartner), UTIL Structural Engineering, Schaarbeek (Beratende Ingenieure), Stijn Reynvoet, Gent (Ausführung Furnierschichtholzkonstruktion und Cortenstahlfassade)
Bauherrschaft: Alex Verbaere
Fertigstellung: 2020
Standort: Berlare, Belgien
Bildnachweis: Tim Van de Velde, Brüssel / Atelier Vens Vanbelle, Gent

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Materialien

Holz

Eine der frühesten Vorhangfassaden aus Stahl und Glas ist die Fassade der Fagus-Werke in Alfeld von Walter Gropius. Die Aufnahme von 1913 zeigt das Gebäude kurz nach Fertigstellung der zweiten Bauphase noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs.

Eine der frühesten Vorhangfassaden aus Stahl und Glas ist die Fassade der Fagus-Werke in Alfeld von Walter Gropius. Die Aufnahme von 1913 zeigt das Gebäude kurz nach Fertigstellung der zweiten Bauphase noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs.

Materialien

Stahl, Edelstahl, Cortenstahl

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