Forschungshäuser in Bad Aibling

Zurück zu den Wurzeln mit Infraleichtbeton

Althergebrachtes Wissen wird bisweilen vom technischen Fortschritt begraben und als überholt betrachtet – bis jemand das Gegenteil beweist. Das Forschungsprojekt Einfach Bauen an der Technischen Universität München geht diesen Weg zurück. Der zunehmenden Komplexität im Bauwesen setzte das Forschungsteam bei ihren Untersuchungen und Simulationen eine radikale Reduktion gegenüber, die sich in vielerlei Hinsicht an regional bewährten Bauweisen orientiert.

Je drei Mehrfamilienhäuser warten mit acht Wohnungen auf.
Nagler hatte das Projekt Einfach Bauen an der TU München initiiert.
Die Forschungshäuser setzen der zunehmenden Komplexität im Bauwesen radikale Reduktion gegenüber.

Nun wurden auf dieser Grundlage nach dem Entwurf von Florian Nagler – der das Projekt Einfach Bauen an der TU München initiiert hatte – auf einem ehemaligen Kasernengelände in Bad Aibling drei Forschungsbauten errichtet, die als Mehrfamilienhäuser mit je acht Wohnungen aufwarten. Für jeden Bau wurde ein unterschiedliches Material verwendet: Beton, Holz und Ziegel. Die Bauten sind als parallele Riegel mit Satteldach ausgebildet und unterscheiden sich optisch nur geringfügig in ihren Details. 

Beton, Holz und Ziegel

Für die Ausführung wurden mit Beton, Holz und Ziegel drei unterschiedliche Materialien gewählt, mit denen sich monolithische Wandkonstruktionen erstellen lassen. Statt vielschichtiger Bauteile, die für anfällige Details und Anschlüsse sorgen können, wurden massive Wände in einer Stärke errichtet, die ausreichenden Wärmeschutz bietet. Die ebenfalls simpel gehaltene Gebäudetechnik folgt dem Grundsatz der Systemtrennung, sodass entsprechend unkompliziert gewartet werden kann.

Klassische Altbauten als Vorbild

Eine Grundannahme der Forschung war, dass regional verwurzeltes Wissen über Ausrichtungen, Lichteinfall, Raumhöhen und Komfort genutzt werden kann, um zeitgemäße und regelkonforme Bauten zu errichten. Das Ergebnis von zahlreichen Simulationen auf Raumebene bestätigte die Vermutung des Forschungsteams. Im Hinblick auf Heizenergiebedarf und sommerliche Überhitzungsstunden haben unabhängig von der Materialität, den umgebenden Konstruktionen und der Orientierung jene Räume am besten funktioniert, die so geschnitten waren, wie man es oft in klassischen Altbauten findet: also etwa drei Meter breit und sechs Meter tief, mit einer Raumhöhe von über drei Metern. Wichtig war zudem eine angemessen große beziehungsweise kleine Öffnung, die in der Mitte des Raumes einen Tageslichtquotienten von mindestens zwei Prozent gewährleisten konnte. Dass die einfachen Bauweisen in der Simulation auch in Sachen Graue Energie überzeugen können, überraschte da kaum noch.

Von der Theorie in die Praxis
Mit den drei Forschungshäuser in Bad Aibling wurden die Erkenntnisse der Untersuchungen in die Praxis übertragen, um sie unter realen Bedingungen zu validieren. Dank eines entsprechenden Monitorings wird während der Nutzung das tatsächliche Verhalten der Gebäude sowie der Bewohnerinnen und Bewohner beobachtet und bewertet. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Vereinfachung des Bauens – wie von den Simulationen vorhergesagt – zukunftsfähig ist.

Weitere Informationen zum Projekt, insbesondere zur Ausführung der Bauten in den Materialien Holz und Ziegel, bietet der Beitrag zu den drei Forschungshäusern bei Baunetz Meldungen.

Beton: Monolithisch bauen mit Infraleichtbeton

Massive Bauweise, zeitgemäßes Material: Für die Ausführung der monolithischen Wände des Betonhauses wählte man einen Dämmbeton. Aufgrund der geringen Rohdichte des Baustoffs, die bei 750 kg/m3 liegt, handelt es sich um einen sogenannten Infraleichtbeton. Damit die Wand die gewünschte Dämmwirkung erzielen kann (U-Wert 0,35 W/m²K), wurden die Körnungen aus Kies und Sand durch Kügelchen aus Blähton und Blähglas ersetzt. Der Beton wurde direkt aus dem Fahrmischer in großflächige Stahlrahmenschalungen eingebracht, die mit einer Schalhaut aus Rauspundbrettern versehen worden waren. Die 50 Zentimeter starken Wände wurden unbewehrt ausgeführt; die Druckfestigkeit der gewählten Rezeptur beträgt 12 N/mm².

Für Beton mit Rohdichten unter 800 kg/m³ ist eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) nötig, die in diesem Fall die Oberste Baubehörde im Bayerischen Ministerium des Inneren erteilte. Das Verdichtungsmaß entspricht der nur für Leichtbetone geltenden Klasse C4. Neben einem fein abgestimmten System aus Zusatzmitteln und Zusatzstoffen war auch ein spezielles Zement- und Bindemittelgemisch nötig – unter anderem, um der Hydratationswärmeentwicklung in den dicken Wänden gerecht zu werden.

Mit Bogenfenstern und Kaltdach

Sowohl beim Betonhaus als auch beim Mauerwerksbau stellte sich die Frage, wie man ohne die Verwendung von besonderen Sturzkonstruktionen die Fenster- und Türöffnungen herstellen könnte. Das Planungsteam entschied sich für den Rückgriff auf traditionelle Bogenkonstruktionen: Segmentbögen beim Mauerwerk und Rundbögen beim Infraleichtbeton. Eine Herausforderung war dabei, diese Öffnungen möglichst präzise auszuführen, sodass sich die Holzfenster exakt einpassen ließen und – mithilfe eines Kompribands – die erforderliche Luftdichtigkeit hergestellt werden konnte.

Der Deckenaufbau reduziert sich bei allen drei Gebäuden auf eine 30 cm starke Decke aus Stahlbeton, die mit einem Teppichboden (aus Gründen des Schallschutzes) oder Linoleum belegt wurde. Die oberste Geschossdecke unter dem Kaltdach wird mit Holzwolle gedämmt. Beheizen lassen sich die Häuser über ein Blockheizkraftwerk, das mit Hackschnitzeln befeuert wird. -chi

Bautafel

Architektur: Florian Nagler Architekten, München (Projektleitung: Tilmann Jarmer)
Projektbeteiligte:
Forschung: Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen / Professur für Entwerfen und Holzbau / Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion /  Lehrstuhl für Werkstoffe und Werkstoffprüfung im Bauwesen, Technische Universität München (Forschungspartner/innen); Forschungsinitiative Zukunft Bau / Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn (Förderung des Forschungsprojekts); Stiftung Bayerisches Baugewerbe, München / B&O Gruppe, Bad Aibling / Gumpp & Maier GmbH, Binswangen /Meier Betonwerke GmbH, Lauterhofen (Forschungsförderung)
Bau: B&O Gruppe, Bad Aibling (Generalübernehmerin); Baugeschäft Martin Watzlowik, Brannenburg (Bauunternehmen Betonbau); Heidelberger Beton, Gebiet München (Infraleichtbeton)
Bauherr/in:
B&O-Gruppe, Bad Aibling
Standort: Dietrich-Bonhoeffer-Straße, Mietraching, Bad Aibling
Fertigstellung:
2020
Bildnachweis: Sebastian Schels / The Pk. Odessa Co, München

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