Erweiterungsbau für Kulturzentrum in Washington

Schwungvolle Ergänzung

Wie ein riesiger Tempel thront das Kennedy Center of Performing Arts über dem Ufer des Flusses Potomac in Washington D.C. Das 1971 eröffnete nationale Kulturzentrum beherbergt Konzert- und Theatersäle sowie öffentlich zugängliche Restaurants im Attikageschoss. 2019 wurde im Süden des Gebäudekomplexes die Erweiterung The Reach fertiggestellt. Entworfen und geplant wurde sie von Steven Holl Architects in Zusammenarbeit mit BNIM.

Entworfen und geplant wurde sie von Steven Holl Architects in Zusammenarbeit mit BNIM.
Überdachte Verbindung zwischen Bestand und Erweiterung
In der Verlängerung führt diese über eine Brücke und mehrere Rampen bis zum Ufer des Potomacs.

Anders als der monumentale Bestand nach Plänen des Architekten Edward Durell Stone zeigt sich die Erweiterung als aufgelockerte Struktur, bestehend aus drei Pavillonbauten, die in eine Grünanlage eingebettet sind. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn der Großteil der Räumlichkeiten verbirgt sich ein bis zwei Geschosse darunter. Dadurch werden oberirdisch Freiflächen geschaffen, die unter anderem für Veranstaltungen und Performances genutzt werden können. Eine neue Brücke sowie eine Rampe binden das höhergelegene Areal über eine breite Straße hinweg an den Uferbereich an, sodass auch Flaneure und Wanderer die Anlage betreten können. Zudem wird die Anreise per Fahrrad möglich – bisher war das von Stadtautobahnen abgeschirmte Kulturzentrum ganz im Geist der 1970er nur motorisiert bequem erreichbar.

Eingebettet in die Landschaft

Die drei sichtbaren Bauten zeigen sich mit einer teilweise geschwungenen Hülle aus Sichtbeton sowie großformatigen transparenten und transluzenten Verglasungen. Die Pavillons fungieren als markante Erkennungszeichen: Der Welcome Pavilion ist der Eingang zum zentralen Foyer, von dem aus sich alle Bereiche der Erweiterung – Übungs- und Vorführsäle sowie Räume für Unterricht, Besprechungen und zur Kunstvermittlung – erreichen lassen. Vier der Säle warten mit strukturierten Betonwänden auf, deren geknitterte Oberfläche akustisch wirksam ist.

Der Skylight Pavilion mit seinen geschwungenen Außenwänden steht für spezielle Veranstaltungen zur Verfügung und kann, wie zahlreiche andere Flächen des Kulturforums, zu diesem Zweck auch gemietet werden. Öffnungen sind so angeordnet, dass sich spannende Durchblicke und Bezüge zur Umgebung ergeben. Der River Pavilion beherbergt ein Cafe und verläuft parallel zum Potomac im Süden des Grundstücks. Er grenzt an ein kleines, künstlich angelegtes Gingko-Wäldchen und an ein Wasserbecken, das die Umgebung reflektiert. Über die Tiefgarage ist er unterirdisch mit den anderen Bauteilen der Erweiterung verbunden.

Die Qualität des Bauwerks unterstreicht der ACI Overall Excellence Award des American Concrete Institutes, mit dem die Erweiterung des Kennedy Center im Oktober 2020 ausgezeichnet wurde.

Gerüste und Schalungen: Feine Strukturen in Titanweiß

Die Pavillons präsentieren sich mit einer Oberfläche aus weiß pigmentiertem Sichtbeton, der – aus der Ferne betrachtet – glatt und nahtlos erscheint. Erst aus der Nähe lässt sich die Struktur aus schmalen Nut-und-Feder-Brettern erkennen, die als Schalhaut eingesetzt wurden. Die Einzelteile für die Schalungskörper in den geschwungenen Bereichen wurden CNC-gefräst, zusammengesetzt, auf die Trägerwandschalung aufgebracht und mit den Fichtenbrettern belegt. Je nach Neigung waren unterschiedliche Stützsysteme im Einsatz.

Eine sehr anspruchsvolle Schalungs- und dazugehörige Stützkonstruktion war für die Herstellung der mehrfach gekrümmten Wandfläche des Skylight Pavilion im Einsatz. Jeder einzelne Schalungskörper für diese Wand musste individuell gefertigt werden. Grundlage für die weitgehend automatisierte Fertigung war ein 3D-Modell, das die Wand virtuell nachbildete.

Gewappnet für hohen Frischbetondruck

Für diese sogenannte Glissando Wall hatte sich in Berechnungen unter anderem durch die Höhe des Bauabschnitts ein hoher Frischbetondruck von 100 KN/m² ergeben. Die durch die gekrümmte Wandfläche auftretenden gegenläufigen Kräfte sorgten für ein Drehmoment, das insbesondere auf die Stirnabschalungen (Stop-end-Systeme) wirkte. Ein torsionssteifes System, das mithilfe von schweren Schienenelementen und Verankerungen im Boden errichtet wurde, gebot diesen Kräften Einhalt. 

Der 45 Meter lange Betonierabschnitt wurde mit einer Kombination aus Standard- und Sonderlösungen gestützt, sodass die Lasten sicher abgetragen werden konnten. So wurde unter anderem aus den Teilen eines Ingenieurbaukastensystems eine Tragkonstruktion zur Aufnahme von Zug- und Druckkräften entwickelt, mit der sich eine Überlastung der Schalungskörper vermeiden ließ.

Für die geraden Wände verwendete man eine konventionelle Trägerwandschalung (GT 24), die dem hohen Druck gut standhält. Einfach gebogene Wände wurden mit einer industriellen Rundschalung geschalt, die flach geliefert werden konnte und deren Radius sich auf der Baustelle anpassen ließ. Die Decken wurden zum Teil mithilfe einer Trägerdeckenschalung, zum Teil mithilfe einer leichten Paneel-Deckenschalung verwirklicht. In Bereichen mit hoher Deckenhöhe – die Vorführsäle sind bis zu 13 Meter hoch – wurden die Schalelemente von Schwerlasttürmen gestützt.

Knitterwand aus Ortbeton

Auch die Faltenstruktur der Wände in den Vorführ- und Übungssälen besteht aus Ortbeton. Die als „crinkle concrete“ bezeichnete akustisch wirksame Oberfläche wurde mithilfe von Strukturmatrizen hergestellt. Als Gussform für die Schalhautelemente dienten dabei gefaltete Metallbleche. In zwei Sälen wurde der Knitterbeton roh belassen und lediglich versiegelt, in den Studios J und K ließ das Planungsteam die Oberflächen weiß streichen. -chi

Bautafel

Architektur: Steven Holl Architects, New York; Team: Steven Holl, Chris McVoy, Garrick Ambrose (Entwurf); Chris McVoy (verantwortlicher Partner); Garrick Ambrose (Projektleitung); Magdalena Naydekova (Assistenz Projektleitung); Bell Ying Yi Cai, Kimberley Chew, J. Leehong Kim, Martin Kropac, Elise Riley, Yun Shi, Dominik Sigg, Jongseo Lee, Alfonso Simelio
Projektbeteiligte: BNIM (Partnerbüro); Edmund D Hollander Landscape Architects Design (Landschaftsarchitektur); Paratus Group (Projektmanagement); Silman (Tragwerksplanung); The Lane Construction Corporation (Generalunternehmen); ARUP (Gebäudetechnik); Thornton Tomasetti (Fassadenberatung); Reg Hough Associates (Betonberatung); Peri Formwork Systems (Gerüste und Schalungen)
Bauherr/in: John F. Kennedy Center for the Performing Arts, Washington D.C., USA
Standort: 2700 F Street NW, Washington D.C., USA
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: John F. Kennedy Center for the Performing Arts, Washington DC / Richard Barnes

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