Erweiterung Jüdisches Museum Frankfurt

Dach als fünfte Fassade

Bei der Erweiterung des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main treten historische und zeitgenössische Architektur in einen spannenden städtebaulichen Dialog. Der Neubau war aufgrund des wachsenden Raumbedarfs erforderlich geworden. Staab Architekten planten ihn als Gegenüber des denkmalgeschützten Bestands, nahmen dessen Farbgebung auf und schufen Bezüge zu dessen horizontaler Gliederung. Geradlinigkeit, Asymmetrien, wenige, große Öffnungen und eine schnörkellose Formensprache machen das neue Bauwerk als solches klar ablesbar. Neu und Alt wirken als Ensemble – die Erweiterung verankert gleichsam das Bestehende.

Einbettung in den Stadtraum
Zentrales Atrium mit Blick Richtung Museumsshop
Blick auf das Dach mit Skyline

Eingangsplatz, Garten und Terrasse

Das Jüdische Museum Frankfurt wurde 1988 im historischen Rothschildpalais am Untermainkai eröffnet. Die im Jahr 2020 vollendete Erweiterung bietet einen Bereich für Vorträge und Symposien, eine Fachbibliothek, einen Raum für Wechselausstellungen, ein Café sowie Werkstätten und Verwaltungsräume. Städtebaulich auf der Rückseite der Altbauten gelegen, ist der Neubau als Solitär mit ausreichend Abstand konzipiert. Im Zusammenspiel der Bauten entsteht ein Platzraum, der zugleich einen neuen Eingangsbereich ins Museum schafft. Auf diesem Vorplatz, dem Bertha-Pappenheim-Platz, steht die weithin sichtbare Aluminiumskulptur des Künstlers Ariel Schlesinger. Sie stellt zwei vertikal miteinander verflochtene Bäume dar, als Sinnbild des Wechsels zwischen gesellschaftlicher Verankerung und Entwurzelung der Frankfurter Jüdinnen und Juden. Dem öffentlichen Vorplatz angegliedert ist ein kleiner, der Geländetopografie folgender Garten, der von der erhöhten Terrasse des Cafés begrenzt wird. Unter dieser Terrasse befindet sich die Verbindung zwischen Neubau und Altbauten.

Hell verputzter Betonbau mit zentralem Atrium

Um einen Bezug zu den klassizistischen Gebäuden herzustellen, ist der monolithisch wirkende Sichtbetonbau oberhalb eines Sockels horizontal durch einen gleichfarbigen Putz gegliedert. Fein abgestufte Putzkanten bilden eine lineare Struktur, die sich an den Gesimsen des Bestands orientiert. Charakteristisch ist die zentrale Halle, das Atrium, von dem aus sich die gesamte Programmatik des Hauses erschließt. Es ist geprägt von Sichtbeton und eine großzügige Dachverglasung, durch die auch bei bedecktem Himmel genügend Tageslicht dringt. Andere Fenster sind nur dort platziert, wo das Raumprogramm zwingend danach verlangt.

Zweischaliges Dach: Streckmetall als fünfte Fassade

Die Dachflächen des diagonal leicht abknickenden Daches neigen sich geringfügig in westliche und östliche Richtung. Um einen insgesamt monolithischen Charakter zu erzielen, sind sie zu den unmittelbar angrenzenden Wandflächen einheitlich gestaltet. Das Dach ist zweischalig aufgebaut, als Warmdach konzipiert und mit einer darüber aufgeständerten Rostebene versehen. Darunter verläuft die Entwässerung. Die Roste decken außerdem die für die Haustechnik erforderlichen Patios ab. Die gesamte Rostebene aus Streckmetallblechen verläuft bis an eine schmale Aufkantung am Attikablech und endet kurz vor der Dachkante. Die Streckmetallbleche sind von der Firstlinie um 180° Grad gedreht eingebaut und versetzt angeordnet. Bei den Stoßkanten wurde darauf geachtet, dass das Oberflächenmuster durchläuft. Die Bleche sind durch die Öffnungen von oben verschraubt. Eine sorgfältige Detaillierung untermauert das Bild des klaren Baukörpers.

Der Aufbau des Foliendaches ist wie folgt: Auf die Rohdecke mit bituminösem Anstrich folgt die Ausgleichsschicht. Darauf aufgebracht ist eine Elastomerbitumenbahn als Dampfsperre, auf dieser ruht die 300 mm dicke Wärmedämmung aus Mineralwolle, im Bereich der Traufe in trittfester Ausführung. Eine Bahn aus Kunststoff mit verschweißten Stößen bildet die Dachabdichtung darüber. Sogsicherung wird durch mechanische Linienbefestigung mit systemzugehörigen Metallschienen gewährleistet.

Die drei Millimeter starken Streckmetallpaneele sind auf einem umlaufenden Rahmen aus Flachprofilen über angeschweißten Laschen befestigt. Die Spannweite beträgt ca. 2,00 x 2,00 Meter. Verbunden ist die Konstruktion über Gewindestangen mit Rundstützen aus Stahl mittels Fußplatte auf der Rohdecke. Darunter verläuft eine thermische Trennlage und dazwischen sind diese in der Dämmebene mit Dämmstoff verfüllt. Die Abdichtungsbahn wurde bis auf die Attika hinaufgeführt und gedämmt. Das mehrfach gekantete Attikablech hat die gleiche Farbe wie die Streckmetallgitter. Entwässert wird die Dachfläche innenliegend mittels Druckentwässerung.

Bautafel

Architektur: Staab Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: Schneider + schumacher Planungsgesellschaft, Frankfurt a. M. (Bauleitung); ST Raum A Gesellschaft von Landschaftsarchitekten, Berlin (Freianlagen); Leonhardt, Andrä + Partner, Beratende Ingenieure, Stuttgart (Tragwerksplanung); Winkels Behrens + Pospich Ingenieure für Haustechnik, Münster (Technische Gebäudeausrüstung, Bauphysik); Müller BBM, Planegg (Tages- und Kunstlichtplanung); Siganet, Ibbenbühren (Sicherheitstechnik); Space 4, Stuttgart + Team Stratenwerth, Basel (Museografie)
Bauherr/in: Stadt Frankfurt am Main
Fertigstellung: 2020
Standort: Bertha-Pappenheim-Platz 1, 60311 Frankfurt am Main
Bildnachweis: Brigida Gonzalez, Marcus Ebener

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