Erweiterung des Städel Museums in Frankfurt a.M.

Sphärisch gebogene Oberlichter aus kalt verformtem Glas

Als eines der ältesten deutschen Kunstmuseen wurde das Frankfurter Städel Museum 1815 von Johann Friedrich Städel gegründet. 1833 erhielt es ein erstes eigenes Ausstellungsgebäude; der jetzige Standort am südlichen Mainufer wurde 1878 bezogen. Heute verfügt das Städel über eine international bedeutende Sammlung, die einen Überblick über 700 Jahre europäischer Kunstgeschichte vermittelt. Um Platz für neue Exponate zu schaffen und die moderne Kunst nach 1945 angemessen präsentieren zu können, entschloss man sich für einen Erweiterungsbau. In dem hierfür ausgelobten internationalen Wettbewerb ging das Frankfurter Architekturbüro Schneider und Schumacher als klarer Gewinner hervor.

Der unterirdische Bau vergrößert die Ausstellungsfläche des Städel Museums von 4.000 auf 7.000 m²
Die lichtdurchflutete Ausstellungshalle lässt vergessen, dass es sich um einen unterirdischen Bau handelt
Der Erweiterungsbau ist nur an den 195 kreisförmigen Oberlichtern zu erkennen

Ihr Entwurf verändert das historische Ensemble nicht durch zusätzliche Hochbauten, sondern ergänzt es durch ein unterirdisches Bauvolumen, das von außen einzig an den 195 kreisförmigen Oberlichtern erkennbar ist. In dem rund 30 Millionen Euro teuren Erweiterungsbau sind eine neue Ausstellungshalle, Depots und mehrere Funktionsräume angeordnet. Er hat eine Breite von 76 m, eine Länge von 53 m und eine maximale Höhe von 8,20 m. Insgesamt vergrößert sich mit ihm die Ausstellungsfläche des Museums um knapp 4.100 auf 24.700 m².

Der im Erdreich vergrabene Bau wurde als weiße Wanne (wasserundurchlässiger Beton) mit einer freigeformten Deckenschale errichtet. Diese wölbt sich im mittleren Bereich kuppelförmig nach oben. Der umlaufende, horizontale Deckenbereich steift diesen Kuppelbereich aus. Die gesamte Deckenkonstruktion ruht auf wenigen Innenstützen und den umlaufenden Außenwänden. Um das Bauwerk gegen Auftrieb (Aufschwimmen) durch das Grundwasser zu sichern, wurde es mit Stahlbetonpfählen im Untergrund verankert. Nach oben hin wurde die Deckenschale mit einer begrünten Bodenschicht bedeckt, die jetzt den Garten des Museums bildet.

Die Erschließung erfolgt über eine zentrale Achse vom Haupteingang des Museums auf der Mainseite aus. Über eine vorhandene Treppe, die im Zuge der Erweiterung durch Öffnung zweier Bogenfelder verbreitert wurde, gelangen die Besucher zunächst auf die tiefergelegene Ebene des großen Foyers. Von hier aus führt eine neue Treppe in die helle, unterirdische Ausstellungshalle des Erweiterungsbaus.

„Natürlich gehen die Menschen nicht gerne unter die Erde“ sagte Architekt Michael Schumacher in einem Interview. Um sie dennoch dahin zu locken, haben die Architekten die Lösung mit der doppelt gekrümmten Deckenschale gewählt, die auf der gesamten Fläche mit Oberlichtern versehen ist. Diese tauchen den Raum in helles Licht, verleihen ihm Großzügigkeit und lassen vergessen, dass es sich um einen unterirdischen Bau handelt. Die gläsernen Oberlichter, die auch als „Augen der Kunst“ bezeichnet werden, sorgen für ausreichend Tageslicht, das durch integrierte LEDs und Sonnenschutzvorrichtungen verstärkt, bzw. abgeschwächt werden kann. Die Grundbeleuchtung ist ebenfalls in die Öffnungen der Oberlichter integriert. Damit kann die Lichtstimmung den restlichen Ausstellungsräumen des Städel Museums angepasst werden.

Glas
Für die Oberlichter des Erweiterungsbaus kamen weltweit erstmals sphärisch gekrümmte, kalt gebogene VSG-Scheiben zur Anwendung. Die begehbaren, kreisrunden Scheiben variieren im Durchmesser zwischen 1,5 m in den Randbereichen und bis zu 2,5 m im höchsten Punkt des Gartens. Bestehend aus drei ESG-Scheiben bilden sie das obere Scheibenpaket der horizontalen Isolierverglasung. Unter dem sphärisch gekrümmten Paket folgt ein Scheibenzwischenraum, dann ein unteres Scheibenpaket aus VSG. Angeordnet wurden die runden Elemente in einem Achsraster von 3,7 m x 3,7 m. Der Stich der sphärischen Krümmung beträgt 25 mm. Die Zwischenschicht der VSG Elemente besteht aus einer im Vergleich zu PVB steiferen SGP-Folie mit einer Nenndicke von 0,9 mm.

Die Scheiben wurden unter Berücksichtigung der Schalentragwirkung für die üblichen Einwirkungen einer begehbaren Verglasung rechnerisch und experimentell in Resttragfähigkeitsversuchen nachgewiesen. Der sphärische Verformungszustand ist unmittelbar an die Dauerhaftigkeit des Schubverbundes der viskoelastischen die SGP-Folie gekoppelt. Ohne schubsteife Verbindung der Glasscheiben durch die Folie würde das VSG-Paket wieder in den ursprünglichen Verformungszustand (keine Krümmung) zurückfedern.

Die Vorkrümmung der Scheiben ist nicht nur statisch günstig, sondern verhindert auch die Bildung von Wassersäcken. Um das Materialverhalten des Glases unter Berücksichtigung des viskoelastischen Zwischenmaterials unter verschiedenen Temperaturniveaus und unterschiedlichen Belastungszeiträumen zu bestimmen, wurden im Vorfeld numerische Simulationen durchgeführt. Zusätzlich werden die Stichmaße der Oberlichter in regelmäßigen Abständen durch Messungen vor Ort überprüft.

Bautafel

Architekten: Schneider + Schumacher, Frankfurt a.M.
Projektbeteiligte: Bollinger und Grohmann Ingenieure, Frankfurt a.M. (Tragwerksplanung); Drees & Sommer, Frankfurt a.M. (Projektsteuerung); Seele Sedak, Gersthofen (Sphärisch gekrümmtes Glas); Prof. Dr.-Ing. J. Schneider vom Institut für Werkstoffe und Mechanik im Bauwesen der Technischen Universität Darmstadt (Experimentelle Untersuchungen und Beratung Oberlichtverglasung)
Bauherr: Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M.
Fertigstellung: Februar 2012
Standort: Dürerstraße 2, 60596 Frankfurt am Main
Bildnachweis. Norbert Miguletz für das Städel Museum, Frankfurt am Main

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