Entwicklungszentrum in Großhöflein

Verschnittene Kreise

Mit der Rutsche in den Feierabend – das ermöglicht der Wiener Babyartikelhersteller MAM den Mitarbeitenden seiner Entwicklungsabteilung. Am Ortsrand von Großhöflein, einer kleinen Gemeinde fünfzig Kilometer südlich von Wien, entstand nach dem Entwurf des Grazer Architekturbüros Innocad der Neubau des Competence Center. Hier entwickelt das Unternehmen jetzt seine Produkte, wie etwa Babyflaschen, Schnuller und Beißringe, die in Ungarn und Thailand produziert werden. Die gut vierzig Angestellten der Forschungsabteilung sind aus drei Gebäuden einer ehemaligen Zuckerfabrik im Nachbarort in den flachen, zwei- bis dreigeschossigen Neubau an der A3 umgezogen, in dessen Kern eine Edelstahlrutsche U-förmig vom Ober- ins Erdgeschoss führt.

Der Babyartikelhersteller entwickelt hier Schnuller und Fläschchen.
Der Gebäudegrundriss ist vom Prinzip der Zellteilung inspiriert.
Drei flache Zylinderscheiben sind ineinander geschoben.

Inspiriert durch das Bild der Zellteilung

Die Grundrissfigur dieses rund 4.500 Quadratmeter großen Bürokomplexes ist vom Bild der Zellteilung inspiriert. Drei unterschiedlich große Kreisscheiben sind wie Blasen – oder abstrahierte Zellen – miteinander verschnitten. Die kleinste Kreis im Osten mit knapp 25 Metern Durchmesser beherbergt über einer kleinen Tiefgarage Windfang und Eingang, Foyer, drei Besprechungsräume, eine Loungezone und eine spitzoval geformte Terrasse. In den beiden größeren Scheiben, im Durchmesser knapp unter bzw. über 30 Meter, befinden sich neben weiteren Funktions- und Nebenräumen vor allem die Büros, die in offenen Landschaften mit Viererinseln entlang der Fassaden organisiert sind. Weiter innen liegen sogenannte Fokusräume sowie Kommunikationsbereiche, die auch temporäre Arbeitsmöglichkeiten bieten. Da die Zylinder im Bogen zueinander angeordnet sind, ergibt sich ein kurzer, segmentförmiger Flur, der alle drei Bauteile gemeinsam erschließt. An diesem Flur befindet sich eine offene Teeküche.

Biophiles Design
Das Zentrum des größten Zylinders ist als Atrium ausgebildet, das als thermischer Puffer dient und mit ausladenden Grünpflanzen bestückt ist, um die sich besagte Rutsche windet – übrigens nicht das einzige ungewöhnliche Ausstattungselement: Gitterroste und punktbedrucke Glasböden, kokonhafte, gelbe Sitzgruppen und Balancierscheiben für Sitz- und Steharbeitsplätze sollen den Arbeitsalltag auflockern. Insgesamt folgt der Entwurf den vom New Yorker Nachhaltigkeitsbüro Terrapin Bright Green entwickelten Gestaltungsrichtlinien für biophiles Design, bei dem es unter anderem um Fragen einer angenehmen Formensprache, die Nutzung natürlicher Materialien sowie um die Schaffung sinnlicher Reize einschließlich variabler Belichtung und Belüftung geht. Der Bau ist mit einer Geothermieanlage ausgestattet, die Heiz- bzw. Kühlenergie über eine Sole/Wasser-Wärmepumpe aus der Erde bezieht und über die Betondecken abgibt.

Der Standort des Forschungs- und Entwicklungszentrums in Großhöflein kann perspektivisch für bis zu 180 Mitarbeitende ausgebaut werden. Der südliche, etwas tiefer liegende Bereich des leicht abfallenden Grundstücks, der derzeit als Parkplatz dient, ist als Erweiterungsfläche vorgesehen, wo entsprechend der Zellteilungsmetapher noch zwei zusätzliche Zylinderscheiben entstehen können.

Fassade: Bewegliche, eloxierte Aluminiumlamellen vor Holzaluminiumfenstern
Abgesehen vom Untergeschoss der kleineren, östlichen Scheibe sind die Fassaden umlaufend mit bodentiefen Holzaluminiumfenstern verglast. Vor diese Ebenen sind golbronzefarbig eloxierte, perforierte Aluminiumlamellen geschosshoch vertikal angeordnet. Die rund 40 cm breiten Sonnenschutzlamellen sind drehbar gelagert und werden oben und unten von umlaufenden Rechteckprofilringen gehalten, die über Konsolen vorgehängt sind. Je nach Lichtverhältnissen werden über ein Gestänge alle Lamellen im selben Winkel gedreht, was dem gegliederten Baukörper ein ruhiges, homogenes Erscheinungsbild verleiht. Durch die feine Perforierung ist die Hülle auch bei vollständig geschlossenen Lamellen semitransparent. Auch vor den Betonwandflächen im Sockelbereich des Eingangsbauteils wurden links und rechts des Tiefgaragentors Aluminiumlamellen montiert, die in ihrem Erscheinungsbild jenen der oberen Geschosse entsprechen. Die drei Flachdächer wurden intensiv begrünt, auf dem südlichen Zylinder befindet sich eine Dachterrasse.

Bautafel

Architektur: INNOCAD Architektur, Graz
Projektbeteiligte: Oliver Kupfner, Martin Lesjak, Jörg Kindermann, Michael Gattermeyer, Harald Glanz, Thomas Gössler, Fabio Molaro, Alexander Rothbart (Projektteam Innocad, zuständig für Architektur, Planung, Städtebau, Freiraumgestaltung, Innenarchitektur, Lichtplanung); M.O.O.CON, Wien (Auslobung Wettbewerb, Projektmanagement); Porr Bau, Wien (Bauausführung); IPM Schober Fenster, Thalheim bei Wels (Verglasung)    
Bauherr/in: MAM Health & Innovation, Wien
Fertigstellung: 2021
Standort: Innovationsplatz 1, 7051 Großhöflein, Österreich
Bildnachweis: Paul Ott, Graz / Innocad, Graz

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Zusatzelemente

Sonnenschutz außen

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