Einfamilienhaus in Beckum

Vom Experiment zum Wohnraum

Zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung 2021 war es das erste vollständig 3D-gedruckte Wohnhaus in Deutschland und mit 160 Quadratmetern auf zwei Etagen das größte Bauwerk, das an einem Stück auf diese Weise entstand: Das von Mense-Korte ingenieure+architekten entworfene und mit einer Reihe von Industriepartnern realisierte Wohnhaus in Beckum in Nordrhein-Westfalen ist im Sommer 2022 in die dauerhafte private Wohnnutzung übergegangen. Zuvor hatte es ein Jahr lang als Musterhaus und Anschauungsobjekt für die innovative Konstruktionstechnik gedient. Auf die ungewöhnliche Bauweise deuten innen wie außen die Formgebung des Bauwerks und die charakteristische Wellenstruktur der Wandoberflächen hin.

Den Maßstab gibt in dem Fall die Portaldruckanalge vor, die derzeit für den Bau von Doppelhäusern oder bis zu dreigeschossigen Gebäuden ausreicht. Größere Projekte ließen sich durch Umlegen der Installation bewerkstelligen.
Die charakteristische Formgebung und Oberflächenbeschaffenheit spiegelt die digitale Bauweise wider.
Schicht für Schicht wurde über den Portaldrucker BOD2 der speziell entwickelte Betonmörtel zu Wänden aufgebaut. Die Konstruktion entstand ohne den Einsatz einer Schalung.

Pilotprojekt: Kooperation verschiedener Akteure

Als Pilotprojekt gestartet, kennzeichnet die Realisierung des Beckumer Wohnhauses die erfolgreiche Kooperation mehrerer Akteure im Bereich innovativer Bautechnik. Als Bauherr und Planer gleichermaßen agiert das Büro Mense-Korte ingenieure+architekten beziehungsweise das eigens gegründete Unternehmen Hous3Druck UG. Die Technologie stammt vom süddeutschen Gerüst- und Schalungsspezialisten Peri, dessen Portalroboter BOD2 auf der Technologie des dänischen Start-ups Cobod basiert. Zudem kam für die bis zu dreischalige Wandkonstruktion ein von HeidelbergCement speziell entwickelter Betonmörtel zum Einsatz. Das Material mit dem Namen i.tech 3D wurde eigens an die computergestützte Technologie und an die konstruktiven Anforderungen für den zweigeschossigen Bau angepasst. So musste sich der Betonmörtel besonders gut pumpen und extrudieren sowie vom Druckkopf der Anlage gut verarbeiten lassen. Außerdem war eine hohe Frühfestigkeit des Materials notwendig, damit die unteren Wandteile nicht versagen, sobald eine neue Schicht aufgetragen wird. 

Schicht für Schicht: Aufbau der Wände und Raumelemente

Das digital geplante Konstruktionsexperiment konnte innerhalb von acht Monaten Bauzeit umgesetzt werden. Für den 3D-Druck aller Außen- und Innenwände sowie weiterer Raumelemente wie Treppen, Kamin oder Wannenschürze wurden lediglich 100 Arbeitsstunden aufgewendet. Dabei wanderte der Druckkopf mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde entlang der fest installierten Druckerkonfiguration mit 14,5 x 17,5 Meter Grundfläche. Entstanden sind bis zu dreischalige Außenwände, die aus einer äußeren Wetterschale und zwei Innenschalen mit jeweils sechs Zentimetern Dicke bestehen. Die Innenwände und Teile der Außenwand sind zweischalig ausgeführt. Für die Steuerung des Druckers wurden lediglich zwei Personen gleichzeitig benötigt.

Extrudierte Wände als Verlorene Schalung

Zwischen den beiden äußeren, mit Luftschichtankern verbundenen Schichten fungiert Perlit – ein geblähtes Vulkangestein – als Dämmmaterial. An den Stellen, wo eine dritte 3D-gedruckte Wandschicht die Statik erhöht, also etwa in den Gebäudeecken oder an der Außenwand des Treppenhauses, sowie zwischen den beiden Schalen der Innenwände wurde Ortbeton verfüllt. Hier dienten die gedruckten Wandschalen gleichzeitig als verlorene Schalung für den gegossenen Beton. Dieser blieb unbewehrt und entfaltet seine Tragwirkung allein aufgrund der extrudierten Bauteile. Lediglich für die Decken, Halbfertigteile mit Aufbeton, kam eine herkömmliche Bewehrung zum Einsatz. Die 20 Zentimeter dicke Elementdecke mit integrierten Heizleitungen liegt auf den tragenden Innenschalen auf. In allen Wandschichten sind zudem die Aussparungen für die Haustechnik bereits im Zuge des Druckvorgangs entstanden. Die Handwerker*innen konnten bereits während des Wandaufbaus mit dem Verlegen der Leitungen beginnen, was den Bauprozess zusätzlich beschleunigte.

Gestaltungsfreiheit, Zeit- und Materialersparnis

Die Vorteile der 3D-Drucktechnologie werden im Fall des verwendeten Materials Beton besonders deutlich: Für die gedruckten Wände war keine aufwendige Schalung notwendig, wodurch eine Menge an Material und Zeit eingespart werden konnte: Im Fall des Beckumer Hauses ist eine um 20 Prozent kürzere Bauzeit im Vergleich zur Standard-Massivbauweise mit Stahlbeton zu verzeichnen. Außerdem ist die geringe Anzahl an benötigtem Personal bei zugleich hoher Präzision der digitalen Planung und Umsetzung in Hinblick auf den aktuellen Fachkräftemangel ein großer Pluspunkt. Nicht zuletzt bietet die Bauweise einen größeren architektonischen Gestaltungsspielraum bei weitaus geringerem Aufwand – verglichen mit der konventionellen Stahlbetonbauweise.

Die Form des Wohnhauses mit seinen gerundeten Ecken, verschiedenen Vor- und Rücksprüngen, einer markanten Loggia oder dem Freiform-Vordach hätte auf herkömmlichem Wege viel Aufwand bei der Umsetzung bedeutet. Die unverputzte, horizontale Schichtstruktur deutet auch nach Fertigstellung innen wie außen auf die Konstruktionsart hin und erinnert an groben Kammzugputz. Verschiedene Wandpartien setzen sich lediglich farblich und formal voneinander ab.

Blick in die Zukunft

Das Beckumer Wohnhaus ist das erste bauaufsichtlich zugelassene Gebäude dieser Art in Deutschland. Bei den behördlichen Genehmigungsprozessen unterstützte das Münchner Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat, die Zulassungsprüfungen übernahm die Technische Universität München. Das Land Nordrhein-Westfalen förderte das bereits mit dem German Innovation Award ausgezeichnete Gebäude im Rahmen des Programms Innovatives Bauen mit 200.000 Euro. Dieses Geld diente der Technologieforschung, dem Einholen von Gutachten und der Langzeitbeobachtung, die nun während der Nutzungsphase erfolgt.

Als Zwischenbilanz ließe sich festhalten, so Architekt Waldemar Korte, dass das Material alle Erwartungen erfülle. Indes wird dieses für zukünftige Projekte weiterentwickelt: Die Beteiligten arbeiten an der Verringerung des Zementanteils, der Optimierung der Zuschlagstoffe, der Erhöhung des Recyclinganteils bzw. an der Weiterentwicklung der Rezyklierbarkeit. Zudem wird der Spezialmörtel mittlerweile in Deutschland produziert. Mit der Weiterentwicklung der Technologie hin zu mehr Nachhaltigkeit könnte sie in Zukunft eine realistische Alternative zu etablierten Konstruktionsarten bilden. -sab

Bautafel

Architektur: Mense-Korte ingenieure+architekten, Beckum
Projektbeteiligte: Peri, Weißenhorn (Umsetzung Hochbau, 3D-Drucktechnik); Cobod International, Kopenhagen (3D-Drucktechnik); HeidelbergCement, Heidelberg (Beton und Stahlbeton); Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat, München (Beratung und Begleitung Planung und Ausführung, Bauaufsichtliche Zulassung ZiE und VBG, Langzeitunersuchungen); Technische Universität München (Zulassungsprüfungen)
Bauherr: Mense-Korte ingenieure+architekten, Beckum / Hous3Druck UG
Standort: Sudhoferweg 51, 59269 Beckum
Fertigstellung: 2021
Bildnachweis: PERI, Mense-Korte ingenieure+architekten

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