Bombay Sapphire Distillery in Laverstoke

Thermisch und kalt gebogene Verglasungen mit Beteiligung am Lastabtrag

Auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik im englischen Dörfchen Laverstoke herrschte noch bis vor Kurzem Chaos: Über 40 Gebäude aus verschiedenen Zeitepochen, von denen ein Großteil stark verfallen war, machten das Areal zu einem unwirtlichen Ort, der jede Ordnung vermissen ließ. Von dem einstigen Durcheinander ist heute nichts geblieben. Stattdessen zeigt sich die Anlage wohlorganisiert – und gearbeitet wird auch wieder. Zu verdanken ist dies den Bauherren und den Architekten von Heatherwick Studio aus London. Sie verwandelten den Gebäudekomplex in eine Produktionsstätte für die Gin-Marke Bombay Sapphire. Das Gute: sie steht auch Besuchern offen.

Wie Wasserfontänen scheinen sich die Glashäuser aus dem Backsteinbau in den Fluss zu ergießen
Der früher nahezu vollständig zubetonierte Fluss Test wurde um mehr als das Doppelte verbreitert
In den Gewächshäusern stehen u.a. die zehn verschiedenen Pflanzen, die für den Geschmack des Gins verantwortlich sind

Der Weg dahin war allerdings alles andere als einfach. Zum einen ist der Ort von historischer Bedeutung, begann man hier doch ab 1724 Banknoten für das britische Empire herzustellen. Zudem standen von den vorhandenen Gebäuden mehr als die Hälfte unter Denkmalschutz. Eine sehr sensible Vorgehensweise war deshalb Grundvoraussetzung für die Baumaßnahmen. Diese umfassten die Kernsanierung von 23 Gebäuden, den Abriss nicht erhaltenswerter, jüngerer Industriebauten und die Schaffung eines zentralen Platzes. Darüber hinaus befreiten die Architekten den bis dahin nahezu vollständig zubetonierten Fluss Test, der über das zwei Hektar große Grundstück führt.

Ein besonderes Highlight erwartet die Besucher am Hauptplatz, wo sich zwei Glashäuser wie Wasserfontänen aus einem der historischen Gebäude in den Fluss zu ergießen scheinen. Sie dienen als Gewächshäuser u.a. für die zehn verschiedenen Pflanzen, die seit 1761 für den Geschmack des Gins verantwortlich sind. Das kleinere hat einen Durchmesser von neun Metern, ist elf Meter hoch und beherbergt tropische Pflanzen- und Kräuterarten; das größere misst 12 Meter im Durchmesser bei einer Höhe von 15 Metern und ist für mediterrane Pflanzen konzipiert. Auf einer jeweils eigenen Plattform im Flussbett verankert, bestehen beide Gewächshäuser im Grundriss aus insgesamt 32 gefalteten Glasstreifen, die in einer Edelstahlpfostenkonstruktion in der Höhe ansteigend eine sphärisch stark gekrümmte Bahn verfolgen, bis sie am Mauerwerksbau enden.

Glas
Für die Entwicklung der komplexen Freiformkonstruktionen der Glashäuser arbeiteten die Architekten eng mit den Ingenieuren von Arup zusammen. Gewünscht war eine dynamische, möglichst filigrane Erscheinung der Bauten. Dazu wurden die Glasstöße der Einzelscheiben abwechselnd versetzt zueinander angeordnet und die Verglasung aktiv am Lastabtrag beteiligt. Die Ecken der Glasscheiben wurden in einem 45° Winkel abgeschrägt und mit entsprechenden Klotzungen an der Edelstahlkonstruktion befestigt, um die Kräfte kontrolliert ein- und ausleiten zu können. Bedingt durch die schräge Lasteinleitung und die aufwendige Geometrie mussten die Edelstahlpfosten gegen seitliches Ausweichen durch zwei massive Stahlstreifen in den horizontalen Glasstößen stabilisiert werden.

Zur Verringerung von Wärmeverlusten war ursprünglich eine Isolierverglasung vorgesehen. Schnell hat sich jedoch gezeigt, dass aufgrund des höheren Eigengewichtes dies statisch nicht ohne eine erheblich massivere Stahlkonstruktion zu bewerkstelligen gewesen wäre. Erst die Entscheidung, die ohnehin vorhandene Abwärme des Destillationsprozesses für die Klimatisierung der Gewächshäuser zu nutzen, ermöglichte die Verwendung von Verbundsicherheitsglases aus 2 x 6 mm Einscheibensicherheitsglas mit einer 1,52 mm SGP-Folie als Zwischenschicht. Anders als die sonst üblichen PVB-Folien blocken sie nicht die UV-Strahlung und ermöglichen so erst das Pflanzenwachstum. Als Ausgangsmaterial verwendete man eisenoxidarmes Weißglas mit einer wasserabweisenden (hydrophoben) Beschichtung, das eine Kondensatbildung auf der Innenseite der Verglasungen verhindert.

Nahezu jede einzelne Glasscheibe ist doppelt (sphärisch) gekrümmt. Um ihre Abmessungen passgenau berechnen zu können, wurde eigens ein Computerprogramm entwickelt, das aus der gekrümmten Geometrie die Abwicklung jeder Scheibe ermittelte. In Bereichen, in denen die sphärischen Krümmungen der Verglasungen es zugelassen haben, wurde das Kaltbiegeverfahren angewendet, bei dem zunächst ebene Verglasungen in eine nicht ebene Unterkonstruktion gezwängt werden. Hierbei ist zu beachten, dass dieses Verfahren dauerhaft wirkende Spannungen im Glas erzeugt und die durch die Biegung hervorgerufenen Rückstellkräfte durch die Glashalter sicher in die Unterkonstruktion eingeleitet werden müssen. In Bereichen mit einer hohen Krümmung und kleinen Glasformaten konnte das Kaltbiegeverfahren nicht angewendet werden, sodass diese Gläser thermisch gebogen und dabei gleichzeitig zu Einscheibensicherheitsglas vorgespannt wurden.

Bautafel

Architekten: Heatherwick Studio, London
Projektbeteiligte:
GWP Architecture, Leeds (Ausführungs- und Landschaftsplanung); Graham Schofield Associate, Leyland (Tragwerksplanung); Couch Perry Wilkes, London (Gebäude- und Elektrotechnik); Arup, London (Fassadenplanung); Bellapart S.A.U., Les Preses (Fassadenbau); Cricursa, Barcelona (Glaslieferant)
Bauherr: Bombay Spirits Company, Whitchurch
Fertigstellung: 2014
Standort: Laverstoke Mill, London Road, Whitchurch RG28 7NR, Hampshire, England
Bildnachweis: Iwan Baan, Amsterdam; Heatherwick Studio, London

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