Archäologiemuseum und Besucherzentrum in Seró

Betonskelett mit Lochziegel-Ausfachung

Im Jahr 2007 legten Bauarbeiter bei Kanalarbeiten in der katalanischen Provinz Lleida nahe des Dorfes Seró Fragmente megalithischer Stelen frei. Der Zufallsfund galt als einzigartig, Archäologen deuteten die gravierten Steine als Teilstücke eines etwa 5000 Jahre alten Dolmens, eines Steintisches von beinahe neun Meter Länge. Die Dorfbewohner setzten sich dafür ein, die Fundstücke nicht in ein Museum in Barcelona oder Madrid zu überführen, sondern vor Ort auszustellen – und waren mit ihrer Initiative erfolgreich. Die benachbarte, übergeordnete Gemeinde Artesa de Segre entschied daraufhin, ein Archäologiemuseum zu errichten, das heute zugleich als örtliches Gemeindezentrum dient.

Den Auftakt bildet ein rechteckiger Platz mit einem Belag aus Hochlochziegeln und Tonscherben, flankiert von vertikal aufragenden Bewehrungsstäben
Zentraler Hof von Süden; links die Zuwegung über eine serpentinenförmige Rampenanlage, dahinter der Saal für Versammlungen der Gemeinde
Das Museum fügt sich gut in sein Umfeld: Es wurde nicht direkt an der Fundstelle errichtet, sondern etwa einen Kilometer entfernt in einer Senke am Dorfrand

Mit einem schmalen Budget realisierten die Planer vom Architekturbüro Toni Gironès aus Barcelona ein Gebäude, das in seiner Kombination aus Stahlbetonskelett, unverputzten Lochziegeln und frei emporragendem Bewehrungsstahl eher an einen unvollendeten landwirtschaftlichen Zweckbau, denn an ein Museum denken lässt. Bei näherem Hinsehen offenbaren die einfachen, ungewöhnlich eingesetzten Materialien jedoch wohldurchdachte Details. Das Museum wurde nicht direkt an der Fundstelle errichtet, sondern ungefähr einen Kilometer entfernt in einer Senke am Dorfrand von Seró. Über eine geschickte Wegeinszenierung vermittelt der Neubau zwischen dem Niveau eines höher gelegenen, asphaltierten Platzes im Norden und dem tieferen Museumsterrain. Erschlossen wird das Gelände von oben über eine Terrassenlandschaft, die von den Dächern der eigentlichen Museumsräume gebildet wird.

Den Auftakt bildet ein rechteckiger Platz mit einem Belag aus Hochlochziegeln und Tonscherben, der an die asphaltierte Fläche ebenerdig anschließt. Von dort führt ein schmaler Steg gen Osten auf eine weitere, quadratische Dachfläche, die Besuchern den Panoramablick über die Landschaft bis hin zur ursprünglichen Fundstelle der Stelen eröffnet. Der Weg setzt sich auch in südliche Richtung fort – und zwar in Form serpentinenartiger Rampen. Flankiert sind diese von vertikal aufragenden, rostigen Bewehrungsstäben, die als Richtungsweiser und Absturzsicherung dienen. Die Rampen sind zunächst Teil der Dachlandschaft; ab einer gewissen Höhe bestehen sie selbst aus Bewehrungsmatten, um schließlich vor dem südlich ausgerichteten Haupteingang des Museums zu enden.

Nach Betreten des Gebäudes gelangen die Besucher zunächst in einen Vorraum, der weiter zu einem großen Saal führt, dem Mehrzweck- und Versammlungsraum der Gemeinde. Dieser liegt unterhalb einer breiten Rampe, sodass die Raumhöhe nach hinten ansteigt. Dort öffnet sich der Saal über eine breite Verglasung zum Hof mit alten Obstbäumen; bei Vorträgen lässt sich die Glasfront mit einer Leinwand schließen. Links vom Eingangsbereich befindet sich der „Raum des Weins“, in dem örtliche Kooperativen lokale Produkte präsentieren. Am Gemeindesaal vorbei führt der Weg in einen großen fensterlosen Raum an der Hangseite des Gebäudes, dem eigentlichen Ausstellungsbeginn. Wandtafeln und Vitrinen erläutern die archäologischen Funde; zylinderförmige Lichtkanonen führen Tageslicht von oben zu den Ausstellungsstücken. Abends sorgen integrierte LED-Leuchten für eine vergleichbare Atmosphäre. Weiter geht es über eine lange schmale Rampe (unterhalb des Stegs zur Panoramaterrasse) zum „Steingarten“ mit den gravierten Stelen. Diese mündet aber erst in dem quadratisch angelegten Raum, nachdem sie ihn einmal umwunden hat. Die antiken Exponate werden hier über quaderförmige Lichtkanonen, deren Größe und Proportion den Steinen entsprechen, markant inszeniert. Eine zweiter, parallel zur Zuwegung geführter Spiralweg geleitet dann zum Ausgang.

Mauerwerk
In Anlehnung an die lokale Bauweise zur Errichtung landwirtschaftlicher Stallungen oder Scheunen entschieden sich die Architekten für ein Stahlbetonskelett mit einschaliger Mauerwerksausfachung. Ein Großteil der Fassaden wurde mit großformatigen Lochziegeln (22 x 23 x 54 cm) ausgefacht, die jeweils zehn zylindrische Hohlräume mit 8 cm Durchmesser besitzen. Diese wurden in den Gängen zum Steingarten horizontal und im Raum des Weins vertikal vermauert – jeweils mit den geschlossenen Seiten auf Stoß im Mörtelbett. Die perforierten Ziegel sorgen nicht nur für eine einzigartige Lichtstimmung, sie dienen auch der Klimaregulierung: Im Winter werden leere Weinflaschen in die Hohlräume gesteckt, sodass die Luft in den verkorkten Flaschen dämmend wirkt. In den heißen Sommermonaten hingegen entkorkt oder entfernt man die Flaschen, sodass der Raum ventiliert wird.

Zur Ausfachung des Stahlbetonskeletts rund um den Saal und den ersten Ausstellungsraum dienen handelsübliche Lochziegel. Die Steine im Format 9 x 12 x 27 cm sind im Läuferverband vermauert. Die gleichen Ziegelsteine bilden den Bodenbelag des begehbaren Museumsdachs. Hier lagern sie in einem punktuellen Mörtelbett aus Portlandzement. In die Hohl- und Zwischenräume ist feinkörniger Ziegelsplitt eingeschüttet, der auch den Boden im Gang zum Steingarten bedeckt. Die Böden im Saal, im Raum des Weins und in den Nebenräumen sind mit 2,5 cm starken, geriffelten Ziegelfliesen (15 x 18 cm) versehen, die im Mörtelbett verlegt wurden. In Entsprechung hierzu wurden die Tonziegel der Stahlbeton-Hohlstein-Verbunddecken ebenfalls sichtbar belassen. Das Museum und Besucherzentrum wurde 2013 mit dem wichtigsten katalanischen Architekturpreis, dem FAD, ausgezeichnet.

Bautafel

Architekten: Estudi d’Arquitectura Toni Gironès, Barcelona
Projektbeteiligte: Boma Inpasa, Barcelona (Tragwerksplanung Gebäude); Estudi Xv, Barcelona (Tragwerksplanung Rampen); Ignasi Gilabert, Artesa de Segre (Bauleitung); Brufau Cusó, Barcelona (Technischer Architekt); Oriol Vidal Ingeniería, Barcelona (Haustechnik); Pep Castells y Joan López (Archäologie); Construcciones Orgèl-Lia, La Seu d’Urgell und Construcciones Germans Gilabert, Artesa de Segre (Generalunternehmer); Instalacions Vilana, La Seu d’Urgell mit Fusteria Giribet, Artesa de Segre (HLKS); Tejala, Castellbisbal (Ziegelhersteller)
Bauherr: Gemeinde Artesa de Segre, Lleida
Fertigstellung: 2012
Standort:
25739 Seró, Artesa de Segre, Lleida
Bildnachweis: Aitor Estévez, Barcelona; Estudi d’Arquitectura Toni Gironès, Barcelona

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