Wohnturm Ting 1 in Örnsköldsvik

10.000 Fliesen in acht Sonderfarben an vorgehängter hinterlüfteter Fassade

Ein Gebäude mit hoher Signalwirkung haben Wingårdh Architekten aus Göteborg in der schwedischen Industriestadt Örnsköldsvik geschaffen. Mit einer Höhe von 60 Metern, einer leuchtend bunten Keramikfassade und Balkonen, die wie herausgezogene Schubladen auf allen vier Seiten des Baukörpers weit auskragen, ist das Ting 1 genannte Wohnhochhaus nicht zu übersehen – zumal es mitten im Stadtzentrum aus der eher kleinteiligen Bebauung emporragt.

Der Wohnturm erhebt sich auf einem 1967 errichteten Betonbau
Der Neubau hat die Skyline der am Bottnischen Meerbusen gelegenenen Stadt Örnsköldsvik nachhaltig verändert
Insgesamt 51 Wohnungen verteilen sich auf das Gebäude

Aber nicht nur die Fassadengestaltung ist eine Besonderheit, auch der zweieinhalbgeschossige Unterbau des Hauses. Der nämlich ist kein Sockel, sondern ein Gerichtsgebäude, das 1967 im Stil seiner Zeit als kompromissloser Betonbau von den Architekten Augustsson, Jansson, Sjöberg und Uusma geplant wurde. Seitdem hat sich eine Menge geändert, auch das schwedische Gerichtssystem. Zuletzt wurde das Gebäude nur noch ein paar Tage im Jahr genutzt, und dann auch nur ein kleiner Teil der vielen Zimmer. Schließlich stand es zum Verkauf. Für den umtriebigen Niklas Nyberg, die Gelegenheit zuzugreifen. Der Chef eines lokalen Bau- und Immobilienunternehmens hatte das Gebäude schon lange im Visier. Ihn reizte die Vorstellung, den massiven Betonbau mit einem Wohnturm zu überbauen. Die Idee gefiel auch den Architekten, die er mit dieser Aufgabe betraute.

Sie ließen im vorhandenen Innenhof des 60er-Jahre-Baus, der auch heute noch vom Gericht genutzt wird, einen Betonkern mit einer Grundfläche von 8,00 x 8,00 Metern errichten. Dieser nimmt die Erschließung auf und trägt den gesamten, elfgeschossigen Wohnturm mit ebenfalls quadratischem Grundriss von 22,00 x 22,00 Metern. Pro Regelgeschoss sind je fünf von insgesamt 51 Wohnungen um den Kern herum angeordnet. Jede Wohnung besitzt mindestens einen Balkon; im Ganzen sind es 78. Alle sind 2,56 Meter breit, variieren aber in der Länge. Das Dachgeschoss springt allseits ein wenig zurück und nimmt zwei kleine Gästeappartements sowie zwei große Wohnungen mit jeweils zwei Terrassen auf – in einer wohnt der Bauherr selbst. Gekrönt wird das Ganze von einer gefalteten Dachlandschaft.

Die bunte Fassade ist gleichfalls dem Bauherrn bzw. seiner Sammelleidenschaft für die Werke des Malers Bengt Lindström (1925-2008) geschuldet. Als Grundlage diente das 1968 entstandene Gemälde Woman’s dance, dessen Farben die Architekten auf die keramische Gebäudehülle des Wohnturms übertrugen. Alles in allem war der Bau eine Herausforderung für alle Beteiligten. Die weit auskragende Konstruktion machte den Einbau von 320 Tonnen Betonstahl und 6.254 Tonnen hochfesten Betons notwendig. In den felsigen Boden wurden außerdem 24 Erdreichsonden gebohrt, die 250 Meter in die Tiefe reichen und das Gebäude bei der Kälte- und Wärmeversorgung unterstützen.

Fliesen und Platten
Die vorgehängte hinterlüftete Fassade des Wohnturms ist mit rund 10.000 glasierten Keramikplatten verkleidet, die der Hersteller in enger Absprache mit den Architekten sowie dem Künstler Magnus Carlén in acht Sonderfarben und zwei Sonderformaten fertigte. Neben Grün, Weiß und Orange sind es vor allem die verschiedenen Rottöne, die das Erscheinungsbild des Hauses prägen. Die Abmessungen der stranggepressten Keramikplatten betragen 50 x 50 und 40 x 50 Zentimeter. Auf ihrer Rückseite sind Haltenuten integriert, die auf das dahinterliegende Befestigungssystem abgestimmt sind und damit für eine einfache Montage sorgten.

Eine werkseitig bei hoher Temperatur dauerhaft in die Glasur eingebrannte Schutzschicht macht die Keramikoberflächen hydrophil. Das heißt, das Regenwasser bildet einen dünnen Film, der den Schmutz an der Fassade unterspült und damit einen Selbstreinigungseffekt erzielt. Darüber hinaus zersetzt die sogenannte HT-Oberflächenveredelung Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze, Algen oder Moose und behindert deren Neubildung. Das schützt die Fassaden nachhaltig von Veralgung oder Vermoosung.

Bautafel

Architekten: Wingårdh Arkitektkontor, Göteborg
Projektbeteiligte: Fredrik Nordin für Tyréns, Stockholm (Tragwerksplanung); Bravida, Stockholm (Technische Gebäudeausrüstung); Abylunds El, Örnsköldsvik (Elektroplanung); Magnus Carlén, Stockholm (Farbberatung Fassade); Agrob Buchtal, Schwarzenfeld (Keramische Fassadenplatten Kera Twin K20)
Bauherr: Nybergs AB, Örnsköldsvik und Svensk Fastighetsutveckling, Jönköping
Standort: Köpmangatan 13 und 30, 89133 Örnsköldsvik, Schweden
Fertigstellung: 2013
Bildnachweis: Tord-Rikard Söderström, Stockholm für Wingårdh Arkitektkontor

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