Wohnhochhaus in Pforzheim

Generalsanierung eines 70er-Jahre-Gebäudes zum Effizienzhaus

Unzureichende Baupflege, konstruktive Mängel, veränderte energetische Standards, aber auch demografische und sozioökonomische Entwicklungen haben vielen Gebäuden aus den 1970er-Jahren zugesetzt. Dass sie ein erhebliches Potenzial bergen, zeigt ein Beispiel aus Pforzheim. Hier ist nach Plänen von Freivogel Mayer Architekten aus Ludwigsburg ein Wohnhochhaus saniert und aufgestockt worden, das als Leuchtturmprojekt für gelungene Sanierungen gilt und seit Abschluss der Baumaßnahmen zahlreiche Architekturpreise erhielt.

Durch die Aufstockung um ein Geschoss haben sich die Gebäudeproportionen verbessert
Die alten kleinen Balkone wurden durch großzügige Loggien ersetzt; die neue Fassade besteht aus hellen Betonfertigteilen
Auf dem Dach ist eine Kleinwindkraftanlage installiert

Das Gebäude wurde Anfang der 1970er Jahre gegenüber des Pforzheimer Hauptbahnhofs für Mitarbeiter der Bahn errichtet. Im Urzustand besaß es neun Geschosse mit 16 Wohnungen und einer Gewerbeeinheit im Erdgeschoss. Der gleichmäßigen Lochfassade waren kleine Balkone vorgelagert, was dem damaligen Zeitgeist entsprach. Nach 40 Jahren war das Haus dringend sanierungsbedürftig: Die Fassade war verschmutzt, die Wärmedämmung ungenügend, die Fenster undicht, der Schallschutz fehlte. Zudem waren die Bäder marode und die technische Gebäudeausrüstung nicht mehr zeitgemäß. Dagegen genügen die Wohnungsgrößen mit rund 90 Quadratmetern und die als Zweispänner organisierte Gliederung auch heutigen Ansprüchen.

Im Rahmen der Sanierung wurde das Haus um eine Etage aufgestockt. Das hat neben der Schaffung von Wohnraum zu einer verbesserten Gebäudeproportion und – weil das neue Geschoss höher ausgebildet ist – zu einem klar definierten oberen Abschluss geführt. Die jetzt hochgedämmte hinterlüftete Fassade besteht aus sandgestrahlten Betonfertigteilen; die dreifach verglasten Fenster sind Holz-Aluminium-Konstruktionen. Sie wurden nach Aufmaß einzeln angefertigt und eingepasst. Anstelle der alten Balkone gibt es großzügige Loggien auf der Südseite. Das Flachdach erhielt eine 35 cm starke Polystyroldämmung, die Fassade wurde mit 28 cm Mineralwolle gedämmt, die Kellerdecke mit 10 cm Polyurethan-Hartschaumplatten.

Die Sanierung erfolgte durchgängig im bewohnten Zustand und dauerte 18 Monate. Die aber haben sich gelohnt, denn aufgrund des verbesserten Wärme-, Schall- und Sonnenschutzes hat sich der Wohnkomfort für die Mieter deutlich erhöht. Darüber hinaus hat sich durch die erneuerte Technik und die ausschließliche Verwendung regenerativer Energien der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid von knapp 66 kg/(m²a) auf nur noch 6 kg/(m²a) sowie der Jahresheizwärmebedarf von knapp 200 KWh/m²a auf etwa 14 KWh/m²a verringert. Damit erreicht das Gebäude den Standard eines Passivhauses bzw. eines KfW-Effizienzhauses 55.

Energiekonzept
Die elektrischen Nachtspeicherheizungen und Warmwasserboiler in den Wohnungen wurden durch eine neue Heizungsanlage ersetzt. Die Heizwärme erzeugen zwei in Kaskade geschaltete Sole/Wasser-Wärmepumpen mit je 12,6 kW Leistung, die über Solar/Luftabsorber mit Wärme versorgt werden. In den Kapillarrohrmatten der Absorber zirkuliert ein Wasser-Glykol-Gemisch (Sole). Sie besitzen eine Fläche von 93 m² und sind nicht sichtbar in die südliche Betonfertigteilfassade integriert. Vier Heizwasser-Pufferspeicher mit je 1.000 Litern Fassungsvermögen ergänzen das System. Die Warmwasserbereitung erfolgt über Hybridwohnungskombistationen mit nachgeschalteten Elektrodurchlauferhitzern.

Ein Eisspeicher im Erdreich unter den angrenzenden Parkplätzen dient als saisonaler Zwischenenergiespeicher. Über ihn werden im Sommer die Wohnungen passiv gekühlt (nicht über die Wärmepumpe). Zum Kühlsystem gehört ebenfalls ein 1.000 Liter-Pufferspeicher. Nur in den Wintermonaten wenn die Fassadenabsorber nicht ausreichend Energie liefern, nutzen die Wärmepumpen den Eisspeicher als zusätzliche Wärmequelle, Die Wärmepumpen nehmen die enthaltene Kristallisationsenergie beim Übergang zu Eis auf und entziehen dem Wasser die Wärme. Der Eisspeicher besitzt ein Volumen von 81 m³, sein Durchmesser beträgt 6,50 m, die Höhe 3,00 m. Die Temperierung der Bestandswohnungen erfolgt über Deckenheiz-/kühlplatten, die als Abhangdecken ausgeführt sind. Die zwei neuen Lofts im Obergeschoss erhielten eine Fußbodenheizung.

Lüftung
In den Wohnungen sorgen dezentrale Lüftungsanlagen mit 86-prozentiger Wärmerückgewinnung für frische Luft. Die Ab- und Zuluftführung erfolgt nach dem Überstromprinzip; die Leitungen verlaufen in den abgehängten Decken der Flure. Die Wärme aus der Abluft wird auch dem Eisspeicher zur Regeneration zugeführt.

Stromversorgung
Auf dem Flachdach befinden sich eine Photovoltaik- und eine Kleinwindkraftanlage, die grünen Strom erzeugen. Die Sonnenkraftanlage besitzt eine Modulfläche von 66 m² und besteht aus 40 polykristallinen Photovoltaik-Modulen. Sie liefert 13,5 kWp Leistung. Dazu kommen 5 kW Strom von der Vertikal-Windkraft-Anlage. Bei Vertikalläufern drehen sich die Rotoren um die eigene Achse, egal, aus welcher Richtung der Wind weht. Zudem arbeiten sie geräuschärmer als herkömmliche Windräder, war für die Schallschutzauflagen des Bauamts entscheidend war.

Bautafel

Architekten: Freivogel Mayer Architekten, Ludwigsburg
Projektbeteiligte: IFT Ingenieurbüro für Tragwerksplanung, Mühlacker (Tragwerksplanung); Transsolar Energietechnik, Stuttgart (Energiekonzept); IGP Ingenieurgesellschaft für technische Ausrüstung, Pforzheim (Planung Gebäudetechnik)
Bauherr: Pforzheimer Bau und Grund, Pforzheim
Fertigstellung: 2015
Standort: Güterstraße 30, 75177 Pforzheim
Bildnachweis: Dietmar Strauss, Besigheim

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