Wohnhaus in Birgisch

Lowtech dank aktiver Speichermasse und Sonnenenergie

„Was für ein Haus brauchen wir?“ Das fragten sich Marianne Künzle und Ralph Manz beim Anblick ihres soeben ersteigerten Grundstücks in Birgisch im Wallis. Ein nach neuesten Erkenntnissen klimagerechtes Gebäude sollte es in jedem Fall werden. Doch eine kontrollierte Lüftung mit permanent geschlossenen Fenstern kam für das Paar nicht infrage. Statt des Einsatzes von ausgeklügelter Gebäudetechnik reizte sie die Vorstellung von einem Lowtech-Haus, weshalb sie einen Architekturwettbewerb ausschrieben. Überzeugt hat der junge Architekt Daniel Giezendanner mit seinem einfachen, aber raffinierten Prinzip. Das Wohnhaus kommt ohne Heizung aus und die Bauherren können für Frischluft unbesorgt die Fenster öffnen. Wärme bringen die Sonne, die Menschen und im Kältenotfall ein Feuer im Kamin.

Große Fenster fangen das Sonnenlicht ein, dessen Wärme in der Masse des Hauses gespeichert wird.
Die Räume arrangieren sich südlich und nördlich einer mittigen Längswand.
Die Zwischenwände aus Lehmsteinen, Lehmbauplatten und Lehmputz tragen zu einem angenehmen Wohnklima bei und die Luftklappen verbessern die Luftzirkulation und Wärmeverteilung in den Räumen.

Wohnen entlang einer Wand

Das Holzhaus liegt an einem sonnigen Südhang über dem Rhonetal. Daniel Giezendanner platzierte das Gebäude quer auf der Parzelle, sodass die Sonne durch die großen Fenster an der Längsseite einfallen kann. Eine auf der Mittelachse liegende Längswand teilt das eingeschossige Volumen in zwei Bereiche: ein lang gezogener Ess- und Wohnraum an der Südfassade und demgegenüber die nördlichen Zimmer, welche, unterteilt durch Querwände, auch den Eingangsbereich und ein Bad umfassen. Die Längswand zieht sich auch durch das Untergeschoss. Wiederum öffnet sich die Südseite zum Tal hin. Hier als überdachte Terrasse, wobei fünf massiven Stütze aus 400 Jahre altem Lärchenholz aus der Region das darüber liegende Haus tragen.

Die Kellerräume sind in den Hang hineingebaut. Es handelt sich um einen Landkeller mit offenem Erdboden. Über ein Zuluftrohr mit Gletscherwasser wird er gekühlt, sodass die Familie Obst, Gemüse und Wein ohne jeglichen Stromverbrauch einlagern kann. Über schmale Verandas nördlich und südlich des Wohngeschosses wird die Terrasse auf der Westseite des Hauses erschlossen. Von hier führt eine Holztreppe zum Dachboden im Satteldach. Trotz des kompakten Volumens schafft es der Architekt, eine Vielfalt an nutzbaren räumlichen Situationen zu gestalten und beschreibt seinen Entwurf als Mischung aus Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude.

Nachhaltig Bauen: Aktive Speichermasse und Sonnenenergie

Durchschnittlich 1919 Sonnenstunden pro Jahr werden im sogenannten Sonnenkanton Wallis gezählt. Hier setzt das Energiekonzept an: Über großflächige Fenster mit einem Wärmedurchgangskoeffizienten von 0.6 W/(m²K) und einem G-Wert (Gesamtenergiedurchlassfaktor) von 66 Prozent fällt die kostenlose Wärme ein. Mit 24 Tonnen aktiver Masse speichert das Gebäude die Sonnenwärme. Die Speichermasse besteht aus Deckenelementen aus Holz mit aufgelegten Kalksandsteinen, Außenwänden aus Vollholzelementen, Zwischenwänden aus Lehmsteinen und -platten und Estrich aus Calciumsulfat.

In den Sommermonaten kann die Gebäudemasse durch Querlüften gekühlt und als Kältespeicher benutzt werden. Um den Wärmeverlust zu minimieren, hat der Architekt ein dämmendes Vollholzwandsystem aus regionalem Fichtenholz geplant, welches durch Zellulosedämmung ergänzt wird. Die Holzriemenböden der Zimmer aus Arve oder Weißtanne wurden mit Oberwalliser Schafwolle gedämmt. Die Bauherrschaft hat die Bäume zusammen mit dem Förster markiert. Sie wurden bei abnehmendem Mond geschlagen und zweieinhalb Monate mit den Ästen liegen gelassen. An extrem kalten Wintertagen kann zusätzlich der kleine Stückholzofen zum Heizen genutzt werden. Mit diesem Konzept schaffen es die Erbauer, dass der Heizwärmebedarf zehnmal kleiner ist als der gesetzliche Grenzwert für Neubauten: Das Haus benötigt nur neun Kilowattstunden pro Quadratmeter.

Herberge für Kleintiere mit Photovoltaik auf dem Dach

Die Sonne wird aber nicht nur als Heizung benutzt, sondern auch als Energielieferant. Photovoltaik-Elemente auf dem Dach liefern genug Strom, um zu kochen, zum Arbeiten und um Elektroauto und E-bike zu laden. Überschüssiger Strom geht ins Netz des regionalen Anbieters, von dem das Paar an dunklen Tagen wieder Ökostrom bezieht. Dem Ideal Low-Tech treu bleibend, verzichtet die Familie auf zusätzliche Haushaltsgeräte wie Dampfabzug, Spülmaschine oder Trockner. Für die Böschung wurden Bruchsteine aus einer Altbausanierung im Dorf wiederverwendet.

Die Bauherrschaft hat aber noch ganz andere Ziele: Bis 2028 möchten sie die Artenvielfalt am Walliser Südhang um 30 Prozent erhöhen. Dazu wurden am Haus etwa Nistkästen für Mauersegler befestigt und der Dachboden bleibt für Fledermäuse zugänglich. Ebenfalls diesem Ziel gewidmet ist die Grundstücksgestaltung mit Trockensteinmauern, einheimischen Pflanzen und Dachbegrünung auf dem Autounterstand. Regenwasser wird aufgefangen und zum Waschen, für das WC und die Gartenbewässerung genutzt. In einer Broschüre zum Haus ziehen die Bauherren gleich selbst Bilanz: Durch die regionale Beschaffung der Baustoffe und das Mithelfen auf der Baustelle seien sie Landschaft, Menschen und Tieren begegnet. So sieht Nachhaltigkeit aus. –sh

Bautafel

Architektur: Daniel Giezendanner, Ried-Brig
Projektbeteiligte: Zimmerei Hirschi, Trub (Ausführungsplanung, Bauleitung, Holzbau); Architekturdienste GK, Brig (Bauleitung); Matthias Stöckli Architektur, Chur (Energieberatung, Bauphysik); eenee, Mund (Energieberatung); Christoph Hunziker, Betten (Beratung Erdkeller); VWI Bauingenieure, Naters (Statik Massivbau)truber
Bauherrschaft: Marianne Künzle und Ralph Manz, Birgisch
Fertigstellung: 2018
Standort: 3903 Birgisch, Schweiz
Bildnachweis: Daniel Giezendanner, Ried-Brig / Urs Hürzeler, Zollikofen

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Die Erwärmung eines Gebäudes hängt in erster Linie von der Menge der in das Gebäude gelangenden Sonneneinstrahlungsenergie ab; maßgebend sind dabei Größe, Art und Orientierung von Verglasungen sowie eventuelle Sonnenschutzvorrichtungen.

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