Wohnhaus Hansi in Erfurt

Holz-Kalksandstein-Hybrid mit Erdwärme

Einst nannte der Volksmund die im Norden und Nordosten der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt gelegenen Quartiere „Blechbüchsenviertel“, ein taktloser Hinweis auf die dort damals herrschende Armut. Heute gibt es hier in Ilversgehofen eine junge Szene mit Studierenden und Familien. In diesem Umfeld haben deckertmesterarchitekten für eine Bauherrengemeinschaft ein Doppelhaus errichtet. Das Thema Nachhaltigkeit war den Planenden dabei sehr wichtig, weswegen die Versorgung mit Wärmeenergie durch eine Wärmepumpe mit Erdwärmebohrungen erfolgt.

Außen ist das Haus mit dunklem Trapezblech verkleidet – ein selbstbewusster Bezug zum „Blechbüchsenviertel“, wie die Gegend im Volksmund genannt wurde.
Markante Erker, die mit poliertem Stahlblech verkleidet sind, spiegeln den Himmel wider.
An der nach Osten gelegenen Gartenseite ist eine großzügige Terrasse für die südlichere der beiden Wohnungen angeordnet.

Das viergeschossige Wohnhaus bildet den vorläufigen Abschluss einer Blockrandbebauung, der nun nur noch die Eckbebauung fehlt. Eigentlich sollte auf dem Grundstück ein Wohnprojekt mit kleinen, altengerechten Wohnungen und Gemeinschaftsbereich entstehen, was jedoch an der amtlichen Forderung nach Stellplätzen scheiterte. Die jetzt realisierte Alternative ist ein Haus mit zwei großen und familiengerechten Wohnungen. Beide sind über die Geschosse hinweg so miteinander verzahnt, dass verschiedene Außenräume entstehen. So hat die südliche der beiden Wohnungen ihren Wohnmittelpunkt im Erdgeschoss, wo nach der Garage das großzügige Wohnzimmer folgt, mit Küche, Essbereich und ebenerdiger, nach Osten ausgerichteter Terrasse zum Hof. In den beiden Geschossen darüber, die sich beide Einheiten je zur Hälfte teilen, befinden sich die Arbeits- und Schlafzimmer. Bei der zweiten Wohnung führt nach der Garage zunächst eine Treppe ein Stockwerk nach oben, wo sich der großzügige Essbereich mit Küche und angegliederter Terrasse befindet, im Geschoss darüber liegen drei Kinderzimmer, und im allein genutzten Dachgeschoss schließlich das Wohnzimmer sowie – etwas abseits – das Elternschlafzimmer. Hier befindet sich auch eine Dachterrasse mit großzügiger Öffnung zum Himmel und einer „Sitz-Lese-Gaube“ (wie es die Verantwortlichen nennen) zur Straße hin.

Möglichst sortenrein rückführbare Baustoffe

In der Außenansicht gibt sich das Gebäude durch die überwiegende Verkleidung mit dunklem Trapezblech, mit dem es als selbstbewusster Verweis auf das Blechbüchsenviertel verstanden werden möchte, zunächst verschlossen. Durchbrochen wird diese fast ruppige Blechhaut durch markante Erker aus poliertem Stahlblech, in denen sich der Himmel spiegelt. Ganz anders drinnen, wo die Räume durch Holz und helle Flächen geprägt werden: Die Decken und Treppen sind komplett aus Brettsperrholz gebaut, die Böden mit Parkett oder Linoleum belegt. Konstruktiv handelt es sich bei dem Doppelhaus um einen Holz-Kalksandstein-Hybrid. Die Außenwände inklusive Erker sind als Holzständerkonstruktion mit Mineralwolleausfachung und innenseitigem Gipskarton ausgeführt. Die Brandwände und Wohnungstrennwände sind in Kalksandstein realisiert und bieten dadurch den erforderlichen Schall- und Brandschutz. Außerdem dienen sie mit ihrer hohen Masse als Wärmespeicher und sind somit wichtiger Teil der Raumklimatisierung. Alle Materialien haben die Planenden bewusst unverkleidet belassen, um möglichst keine Kompositbaustoffe zu verbauen und den Bewohnenden Raum für die eigene Einrichtungskreativität zu lassen.

Aktive und passive Klimatisierung

Die Architekten Rainer Mester und Joachim Deckert betonen: „Das Thema Nachhaltigkeit war uns sehr wichtig. Unser Credo lautet: erst einmal möglichst wenig Technik, die Energie benötigt, die kaputtgehen kann und gewartet werden muss.“ Wo im Gebäude dann doch Energie benötigt wird, sollte diese regenerativ erzeugt sein. Deshalb wurden gleich zu Beginn der Bauarbeiten vier Erdwärmebohrungen gut verteilt auf dem Grundstück angeordnet. Sie sind mit einer Sole/Wasser-Wärmepumpe verbunden, die die nötige Wärmeenergie zur Warmwasserbereitung und für die Heizung erzeugt. Die Wärmepumpe steht im einzigen Schnittstellenraum beider Wohnungen, im Erdgeschoss des nicht unterkellerten Gebäudes. Hier steht auch ein rund 760 Liter großer Durchlaufspeicher. Im Sommer kann mit der Wärmepumpe außerdem gekühlt werden. Die Wärmeübergabe erfolgt in allen Stockwerken über eine Fußbodenheizung. Eine digitale Fernbedienung in den Wohnungen misst die Raumtemperatur und die relative Raumfeuchte.

Auf dem Dach schließlich kann später eine Photovoltaikanlage nachgerüstet werden, mit der sich die Bewohner und Bewohnerinnen vom öffentlichen Netz zumindest teilweise unabhängig machen können. Mit seiner kompakten Bauweise spart das Bauwerk Energie, Baukosten und erreicht außerdem ein Minimum an Bodenversiegelung. Gleichzeitig wurde viel Außenraumfläche mit verschiedenen Aufenthaltsqualitäten für die Bewohnerinnen und Bewohner geschaffen. Der Primärenergiebedarf liegt bei lediglich 61 kWh/(m²a). -tg

Bautafel

Architektur: dma deckertmesterarchitekten Partnerschaft BDA, Berlin
Projektbeteiligte: Dieter Kellner, Stadtilm (HSE-Planung); Ingenieurbüro Dipl.-Ing. Helmut Bock, Berlin (Tragwerksplanung); Schüler-Petzold-Christ, Erfurt (Zimmerei, Ingenieurholzbau)
Bauherr/in: private Bauherr/innengemeinschaft
Fertigstellung: 2020
Standort: 99089 Erfurt
Bildnachweis: Victor S. Brigola, Stuttgart


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