Wohnhaus an der Palmaille in Hamburg

Neuinterpretation historischer Merkmale

Die Palmaille ist eine der ältesten Straßen Hamburgs. Angelegt wurde sie im Jahr 1638 vom damaligen Landesherrn auf dem Elbhang zwischen Altona und der Vogtei Ottensen, um dort das mit dem Croquet verwandte italienische Ballspiel Palla di maglio (Paille-Maille) spielen zu können. Seit Ende des 18. Jahrhunderts entstanden in der mittlerweile zur Allee mit parkartig gestaltetem, mittlerem Grünstreifen ausgebauten Prachtstraße viele repräsentative Bürgerhäuser, die das Gesicht der Palmaille bis heute prägen. Für eine gerade mal zehn Meter breite Baulücke zwischen zwei solcher Bauten plante der Architekt Walter Gebhardt ein Wohnhaus mit Bürofläche, das die historischen Fassaden des Ortes neu interpretiert und einen energetischen Standard erreicht, der die Anforderungen der vormaligen Energieeinsparverordnung (jetzt GEG) um 65 Prozent unterschreitet.

Rückwärtig wurde das Gebäude großflächig verglast.
Im zweiten Stock ist das architektonische Highlight ein schmaler Raum mit doppelter Geschosshöhe, wo das große straßenseitige Fenster mit Sitznische den Blick auf die Elbe und die Hafenanlagen im Hintergrund freigibt.
Nur ein 1,50 m breiter, schlauchartiger Raum stand für das Bad der Bauherrin zur Verfügung, weswegen es in ein Hauptbad mit Dusche und Waschtisch und ein Ruhebad mit Badewanne unterteilt wurde.

Was die architektonische Gestaltung angeht, gibt es in der Palmaille klare Vorgaben. Nach wie vor gilt eine Verordnung aus dem Jahr 1952: „Für die baupflegerische Gestaltung der Palmaille dient auf der Nordseite der auf den Grundstücken Haus-Nr. 100–124 noch erhaltene historische Teil als architektonischer Maßstab.“ Demgemäß hat Gebhardt sich das hundert Meter westlich die Straße runter gelegene „Einfensterhaus“ mit der Nummer 116 aus dem Jahr 1803 nach Plänen von C. F. Hansen zum Vorbild genommen. Es diente seinerzeit zugleich als private Residenz des dänischen Architekten, dessen klassizistischer Baustil die Architektur in Nordeuropa entscheidend mitgeprägt hat.

Neuinterpretation historischer Merkmale

Wo das Vorbild die überwiegend geschlossene Blockrandbebauung auflöst und Platz zu seinen Nachbarn lässt, ist der viergeschossige Neubau durch eine gläserne Fuge von den Nachbarhäusern getrennt. Ein übergroß wirkendes Eingangsportal und ein einzelnes, mittig platziertes, großes Fenster darüber sind die einzigen Gebäudeöffnungen innerhalb der schmalen, straßenseitigen Fassade. Die Zonierung in Sockel-, Haupt- und Dachgeschoss entspricht ebenfalls dem historischen Referenzgebäude. Die Fassade wurde in hellgrauem Beton ausgeführt, der mittels horizontaler Fugen die Rustizierung der benachbarten Gebäudehüllen aufnimmt und sich somit farblich wie gestalterisch in die Umgebung einfügt. Ergänzt wurde der Beton um nussbraune Metallelemente im Bereich der Fenster und des Eingangs. Das geforderte, traufständige Schrägdach wurde in der unteren Hälfte verglast und bietet ein Maximum an Tageslichteinfall. Glücklicherweise erlaubte der Denkmalschutz eine solche Neuinterpretation der historischen Merkmale. Es hatte allerdings etliche Entwürfe gebraucht, bis die Behörden zustimmten.

Luftige Höhen und schmale Bäder

Das Erdgeschoss dient überwiegend der technischen und verkehrlichen Erschließung und kann deshalb als Transitfläche inkl. Garage bezeichnet werden. Das erste Obergeschoss wird als Büroraum vermietet und bildet somit einen räumlichen Übergang zwischen öffentlichem Straßenraum und dem privaten Wohnraum der Bauherrin in den beiden Etagen darüber. Im zweiten Stock ist das architektonische Highlight ein schmaler Raum mit doppelter Geschosshöhe, wo das große straßenseitige Fenster mit Sitznische den Blick auf die Elbe und die Hafenanlagen im Hintergrund freigibt. Im rückwärtigen Gebäudeteil sind auf dieser Ebene ein Gästeapartment mit zwei Schlafzimmern, Kitchenette und Bad sowie das große Hauptschlafzimmer inkl. En-Suite-Bad untergebracht. Da dieses nur 1,5 Meter Breite aufweist, dafür aber recht lang ist, ist es von zwei Seiten begehbar und wurde durch ein mittig platziertes Möbel in ein Haupt- und ein Ruhebad unterteilt. Ersteres beherbergt Dusche und Waschtisch, Letzteres eine freistehende Wanne vor der Fensterfront. Im Dachgeschoss schließlich befinden sich der offene Wohn-Ess-Kochbereich mit luftigen fünf Metern Deckenhöhe sowie eine großzügige Dachterrasse. Ein gelungenes Detail ist die Lamellendecke aus Nussbaumholz, die auch akustisch wirksam ist.

Bei der Wahl der Materialien setzte der Architekt bewusst auf eine Reduktion mit weitgehend natürlich erhaltenen Oberflächen, die eine Alterung in Würde zulassen: eine sandfarbene Terrazzo-Mischung für die Böden und Erschließungswege, ein naturbelassener feiner Edelputz an Wänden und Decken sowie Nussbaumholz für die verschiedenen Einbauten und Türen.

Energetisch besser als gefordert

Das energetische Konzept des Gebäudes ist so angelegt, dass es die Anforderungen der Energiesparverordnung 2009 sowie die Hamburgische Klimaschutzverordnung deutlich übererfüllt. Das wird zunächst mit einigen passiven Maßnahmen erreicht, wie einem hohen Dämmstandard der Gebäudehülle mit hochwärmegedämmten Außenbauteilen und Fenstern mit Dreifach-Wärmeschutzverglasug. Maßgeblicher Teil der Gebäudetechnik ist eine geothermische Wärmeversorgung, genauer gesagt eine Sole-Wasser-Wärmepumpe. Sie wird zum Heizen, Kühlen und zur (zentralen) Warmwasserbereitung verwendet. Die Übergabe der Wärmeenergie in den Raum erfolgt durch eine Fußbodenheizung im gesamten Haus mit einer Vorlauftemperatur von rund 35 Grad Celsius. Damit die wertvolle Heizwärme durch das Lüften nicht verloren geht, gibt es eine mechanische Be- und Entlüftung mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung. Eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 3 kWp deckt ca. 25 Prozent des elektrischen Energiebedarfs des Gebäudes, inklusive einer elektrischen Ladestation sowie einer Luftentfeuchtungsanlage für historische Fahrzeuge in der Garage. Aus diesen Maßnahmen ergeben sich ein nach EnEV errechneter Primärenergiebedarf (inkl. Strom) von 16,2 kWh/m³ EBV (Energiebezugsvolumen) und ein Jahreswärmebedarf (inkl. Trinkwasser) von 9,6 kWh/m³ EBV, bei einem Energiebezugsvolumen von 1.383 m³ (=BRI beheizt). Die Anforderungen der Energiesparverordnung werden somit um 65 Prozent unterschritten. -tg

Bautafel

Architektur: Walter Gebhardt Architekt, Hamburg
Projektbeteiligte: Janßen Energieplanung, Hannover (Energetisches Konzept); Ottfried Zopf Planungsbüro, Brietlingen (Gebäudetechnik); Wetzel & von Seht, Hamburg (Statik); Nico Stammer Innenarchitektur, Boltersen (Innenarchitektur Bad); Y-LA Ando Yoo Landschaftsarchitektur, Hamburg (Landschaftsarchitektur)
Bauherrschaft: privat
Fertigstellung: 2016
Standort: Palmaille 98, 22767 Hamburg
Bildnachweis: Jochen Stüber Fotografie

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