Wohnhäuser am Verna-Park in Rüsselsheim

Kalksandstein und Riemchen im Wilden Verband

1862 produzierte Adam Opel in seinem Werk in Rüsselsheim die erste Nähmaschine. Nach dem Tod des Unternehmensgründers 1895 führte seine Witwe Sophie Opel gemeinsam mit den fünf Söhnen den Betrieb weiter und begann ab 1899 mit dem Automobilbau. Ungefähr zur selben Zeit entstand zwischen Bahngleisen und Frankfurter Straße die erste Werksarbeitersiedlung, die den bis dahin landwirtschaftlichen Charakter der Gegend in weiten Teilen verdrängte. Die Gesellschaft für Wohnen und Bauen Rüsselsheim entschied sich, in diesem Kontext kleinteiliger Wohnbebauung unter dem Titel Wohnen am Verna-Park zeitgemäßen Wohnraum zu schaffen. Aus dem Wettbewerb ging das Münchner Büro Baur & Latsch als Sieger hervor, deren Pläne die Verdichtung des Quartiers mit sieben unterschiedlich großen, versetzt angeordneten Mehrfamilienhäusern vorsahen.

Die maximal dreigeschossigen Baukörper reagieren mit ihrer Kubatur auf den kleinteiligen Bestand der Umgebung.
Die Rundbögen der Hauseingänge sind eine Reminiszenz an die markanten Torbögen des Opel-Altwerks.
Die Wahl des Fassadenmaterials knüpft nicht nur an das Sichtmauerwerk einiger Nachbarbauten an, sondern auch an die Fassaden des Opel-Altwerks aus rotem Backstein.

In Kubatur, Größe und Erscheinung sollten sich die Neubauten an den Bestand anpassen. Aus diesem Grund gehören Satteldächer, Rücksprünge, Klinkerriemchen und Rundbögen zu den Gestaltungsmerkmalen der maximal dreigeschossigen Baukörper. Sechs der sieben Häuser entstanden auf dem L-förmigen, 3.200 Quadratmeter großen Grundstück südlich der Frankfurter Straße direkt am Verna-Park und sind mit einer Tiefgarage unterbaut. Das siebte wurde etwas abseits davon an der kleinen Kreuzung zwischen Taunus- und Waldstraße errichtet und fungiert hier als südlicher Eingang zum neuen Quartier. Teil des Plans waren zudem begrünte Durchwegungen und gemeinschaftlich genutzte Freiflächen.

Von der Arbeitersiedlung zum durchmischten Quartier

Insgesamt entstanden 66 Ein- bis Vierzimmerwohnungen für Studierende, Pendler, Senioren und Seniorinnen sowie Familien. Die barrierefreien Seniorenwohnungen befinden sich im Erdgeschoss. An der Südseite erhielten die Häuser laubengangartige, vorgestellte Holzbalkone, die zugleich als Rankgerüst und Brise Soleil dienen. Mit der Holzkonstruktion möchten die Verantwortlichen an die historischen hofseitigen Stall- und Scheunengebäude, den sogenannten Hofreiten, in der Frankfurter Straße mit ihren Holztoren und Holzgalerien anknüpfen. Die Rundbögen der teils vorgelagerten Hauseingänge wiederum sind eine Reminiszenz an die markanten Torbögen des Opel-Altwerks. Durch die geringe Dachneigung und den Verzicht auf Dachüberstände wirken die Baukörper sehr kompakt. Die Kubatur in Kombination mit dem Rundbogenmotiv und den hellen Klinkerriemchen lässt allerdings auch Assoziationen zu traditioneller toskanischer Architektur zu.

Die sandfarbenen Riemchen wurden mit lindgrünen Außenrollläden vor den Fenstern kombiniert. Die gleiche Farbe haben auch die mit einer Epoxidharzbeschichtung versehenen Zementestrichböden in den Treppenhäusern. Die halbprivaten Wege zwischen den Häusern wurden derart gepflastert, dass sie wie an den Rändern ausgefranst erscheinen, was die Bereiche organisch und aufgelockert wirken lässt. Mit der künftigen Bepflanzung der Randbereiche, die auf den Fotos noch nicht zu sehen ist, werden diese sonst oftmals rein zweckdienlich behandelten Zonen sicherlich Aufenthaltsqualität zu bieten haben.

Weiß verputzte Wände, Vinylböden in Holzoptik, bodentiefe Fenster vor den Balkonen und bodengleiche Duschen erzeugen in den Wohnungen eine zeitgemäße und wohnliche Atmosphäre. Ein Blockheizkraftwerk soll für eine kombinierte Strom- und Wärmeerzeugung sowie für geringe Nebenkosten sorgen.

Kalksandstein und wilde Riemchen

Die Außenwände wurden als Wärmedämmverbundsystem ausgeführt, mit einem 20 cm starken Mauerwerk aus Kalksandsteinen und einer 16 cm dicken EPS-Dämmung. Kalksandsteine bieten einen sehr guten Schallschutz und eignen sich daher sehr gut für den Geschosswohnungsbau. Als Fassadenbekleidung wurden 1,5 cm dicke Klinkerriemchen im Buttering-Floating-Verfahren (s. Fachwissen zum Thema) in die gleich dicke Mörtelschicht eingesetzt. Einzig das Haus an der Waldstraße erhielt eine grob strukturierte, hellgraue Putzfassade mit leichtem Grünstich.

Für die Riemchen wählten die Verantwortlichen einen roten Mauerstein, der im Kohlebrand mit einer hellen, eingebrannten Schlämme veredelt wurde. Die Steine wurden im Normalformat hergestellt und danach von Hand in Riemchen gebrochen. Die Sockel und Fensterstürze sind als Rollschicht ausgeführt. Die Fensterbänke wurden als WDVS-Formteile in den Mauerwerksverband eingebunden.

Die Wahl des Fassadenmaterials knüpft nicht nur an das Sichtmauerwerk einiger Nachbarbauten an, sondern auch an die Fassaden des Opel-Altwerks aus rotem Backstein. -sh

Bautafel

Architektur: Baur & Latsch Architekten Partnerschaftsgesellschaft, München; Thaler Latsch und Partner Architekten, München
Projektbeteiligte: + architekten, Frankfurt (Objektüberwachung); HinnenthalSchaar Landschaftsarchitekten, München (Landschaftsarchitektur); Freiraum Rabsilber + Heckmann, Wiesbaden (Landschaftsarchitektur Objektüberwachung); Weisbrod + Partner, Osthofen (Tragwerk); ETA Energietechnik und Technische Ausrüstung Ingenieurbüro Knopp, Jahn & Partner, Büttelborn (HLS & ELT Planung); KS-Original, Hannover (Kalksandsteine)
Bauherrschaft: gewobau Gesellschaft für Wohnen und Bauen, Rüsselsheim
Fertigstellung: 2020
Standort: Frankfurter Strasse 41, 65428 Rüsselsheim am Main
Bildnachweis: Sebastian Schels, München

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