Victoriahaus im Botanischen Garten Berlin

Energetische Sanierung senkt Energieverbrauch um 50 Prozent

Mit 15 Gewächshäusern und 20.000 unterschiedlichen Pflanzenarten auf einer Gesamtfläche von 43 Hektar gilt der Botanische Garten in Berlin als der viertgrößte weltweit. Ein Hauptanziehungspunkt ist das Victoriahaus. Das über hundert Jahre alte Schaugewächshaus mit Wasserbecken beherbergt seltene tropische Sumpf- und Wasserpflanzen wie die südamerikanische Riesenseerose Victoria. Mit ihren bis zu zwei Meter großen Schwimmblättern und dreißig Zentimeter großen Blüten ist sie die Namensgeberin des Baudenkmals.

Blick vom Großen Tropenhaus auf das Victoriahaus mit Terrasse und Italienischem Garten.
Aquarienrundgang im Erdgeschoss
Brunnensaal im Erdgeschoss

2006 war die Bausubstanz des zweigeschossigen Gewächshauses durch die extrem hohe Luftfeuchtigkeit im Inneren und aufgrund mangelnder Instandhaltung so marode, dass das Gebäude geschlossen und die Pflanzen entfernt werden mussten. Der energetische Zustand entsprach der Nachkriegszeit, weshalb das Gewächshaus als größter Energieverschwender des gesamten Botanischen Gartens galt. 2013 startete die Sanierung nach Plänen von Haas Architekten aus Berlin: Die historische Bausubstanz sollte für die kommenden Jahrzehnte bewahrt, der Energieverbrauch dabei um rund fünfzig Prozent gesenkt werden.

Außen Kaiserzeit, innen High-Tech

Die ursprünglichen Gläser des Gewächshauses waren im zweiten Weltkrieg bei Bombenangriffen zu Bruch gegangen. Mitte der 1960er-Jahre wurden sie durch 1,00 x 2,00 Meter große Acrylglastafeln ersetzt, die das ursprünglich kleinteilige Erscheinungsbild des Gebäudes jedoch zerstörten und zunehmend schadhaft waren. Bei der Planung der neuen Verglasung brachten die Architekten die Wünsche der Botaniker nach reichlich Tageslicht mit der Denkmalpflege in Einklang. Das Rastermaß der nun montierten Wärmeschutzisolierverglasung kommt dem einstigen Erscheinungsbild viel näher, auch wenn die frühere Sprossung deutlich zierlicher war. Die Gläser sind für die empfindliche Bepflanzung optimiert: Die Folie des Sicherheitsglases lässt rund fünfzig Prozent des UV-Lichts durch, was bei konventionellen Sicherheitsverglasungen nicht der Fall ist. Um die Lasten der neuen Verglasung zu tragen, mussten die Ober- und Untergurte des freitragenden Stahltragwerks verstärkt werden. Das Tragwerk wurde dazu vollständig demontiert. Sämtliche Stahlverstärkungen wurden nach historischem Vorbild genietet.

Die untere Etage des Victoriahauses konnte durch einen Geländesprung zwischen den einzelnen Glashäusern zu einem repräsentativen Haupteingang für das gesamte Gewächshausensemble des Botanischen Gartens umgestaltet werden. Ein Café, modernisierte sanitäre Anlagen und ein Informationssystem bieten den jährlich rund 400.000 Besuchern erheblich mehr Service als früher. Das Geschoss beherbergt darüber hinaus fünfzig Aquarien sowie Paludarien, die Sumpfgebiete nachahmen. In der oberen Etage, direkt unter dem Glastragwerk, wurden neue Becken für die tropischen und subtropischen Wasserpflanzen angelegt. Die Beckenumfassungen bestehen aus glasiertem Spaltklinker. Allein das zentral gelegene Wasserbecken für die Riesenseerose Victoria fasst 75.000 Liter.

Heizung: BHKW und Fernwärme versorgen Fußboden- und Fassadenheizung

Seit 1967 bezieht der Botanische Garten Fernwärme vom Fernheizwerk Berlin-Steglitz. Zeitgleich mit der Sanierung des Victoriahauses wurde das weit verzweigte Nahwärmenetz neu erstellt und wärmegedämmt sowie Teile der veralteten Gewächshaussteuerungen modernisiert. Zusätzlich wurde ein biogasbetriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 240 kW thermischer Leistung installiert. Es versorgt die Gewächshäuser auch dann mit Wärme, wenn das Nahwärmenetz im Sommer nicht in Betrieb ist oder im Winter womöglich ausfällt – denn die empfindlichen Wasserpflanzen benötigen eine konstante Wassertemperatur von dreißig Grad und würden bei kalten Temperaturen eingehen. Da es im gesamten Botanischen Garten und insbesondere im Victoriahaus ganzjährig einen hohen Bedarf an Heiz- und Elektroenergie gibt, kommt das BHKW auf lange Laufzeiten, was seine Wirtschaftlichkeit erhöht.

Die Wärmeverteilung im Gewächshaus erfolgt zum einen über eine Fußbodenheizung unter den Wasserbecken in der ersten Etage und zum anderen über die Fassade. In den Stahlfassadenprofilen der gläsernen Hülle fließt auf einer Gesamtlänge von 1.000 Metern 42 Grad warmes Wasser. Die Profile wurden dazu vorgefertigt angeliefert, mit dem Kran zwischen historischen Stahlträgern und Baugerüst eingefädelt und als Pfosten-Riegel-Konstruktion zu einem 500 Quadratmeter großen Gitternetz zusammengeschweißt. Eine Klimasteuerung regelt die zugeführte Wärme je nach erwartetem Wetter. Die Fußboden- und Fassadenheizung ist relativ träge, weshalb eine gute Prognose entscheidend ist. Die Wettervorhersage wird deshalb alle zwölf Stunden aktualisiert, und die benötigte Temperatur auf diese Weise immer sichergestellt.

Durch die Sanierung des Victoriahauses und des Nahwärmenetzes werden künftig im Botanischen Garten Berlin pro Jahr 930.000 kWh weniger Primärenergie verbraucht und jährlich mehr als 245 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid eingespart.

Bautafel

Architekten: Haas Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: Busse & Partner, Berlin (Projektsteuerung); Leonhardt, Andrä und Partner, Berlin (Tragwerksplanung); CSZ Ingenieurconsult Cornelius – Schwarz – Zeitler (TGA Planung); Müller-BBM, Berlin (Bauphysik)
Bauherr: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Berlin
Fertigstellung: 2017
Standort: Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin (BGBM), Freie Universität Berlin, Königin-Luise-Straße 6-8, 14195 Berlin
Bildnachweis: I. Haas, BGBM; Christine Hillmann-Huber, BGBM; Gesche Hohlstein, BGBM; Karsten Schomaker, BGBM; Bernd Wannenmacher, Freie Universität Berlin; Haas Architekten, Berlin

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