Unterirdischer Konzertsaal in Lichtenberg

Splitterförmige Granitelemente für eine exzellente Akustik unter Tage

Dass anspruchsvolle Architektur nicht nur etwas für Großstädte ist, zeigt der neue unterirdische Konzert- und Übungssaal der internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau im oberfränkischen Lichtenberg. Das vom Schweizer Architekten Hans Schwab entworfene denkmalgeschützte Bestandsgebäude – eine dreigeschossige Jugendstilvilla inmitten einer sanften Hügellandschaft – wurde 1913 fertiggestellt. Sie diente dem Geiger und Komponisten Henri Marteau und seiner Familie zunächst als Sommerdomizil und später als Hauptwohnsitz. Seit den 1980er-Jahren wird vom Bezirk Oberfranken in der Villa eine Ausbildungsstätte für junge Musiktalente betrieben. Nach den Plänen des Münchner Architekturbüros Peter Haimerl wurde das Erdgeschoss der Villa umgebaut und der Bestand um ein Gartengeschoss und einen unterirdischen Konzertsaal erweitert. Durch den Einsatz von splitterförmigen Granitelementen an Wänden und Decke besitzt der an einen Stollen erinnernde Saal eine exzellente Raumakustik.

Von außen bleibt das Bild der charmanten Jugendstilvilla inmitten einer hügeligen Parkanlage gewahrt.
Lediglich zwei schmale Edelstahlfassaden am südlichen Hang deuten an, dass sich unter der Erde neue Architektur befindet.
33 Granitsplitter, die sich explosionsartig über Wände und Decke erstrecken, prägen das Bild des neuen Konzert- und Übungssaals.

Sensibler Umgang mit dem Bestand

Die über einhundert Jahre alte Jugendstilvilla befindet sich etwas außerhalb der Kleinstadt Lichtenberg mitten im Grünen. Marteau bot hier bis zu seinem Tod 1934 jungen Musikerinnen und Musikern Sommerkurse und Einzelunterricht an. Bis zur Fertigstellung des neuen Saals nach vierjähriger Bauzeit fanden die Abschlusskonzerte der Meisterkurse wie damals im ehemaligen Wohnzimmer der Familie Marteau statt. Um die bauliche und lanschaftsarchitektonische Integrität des Bestands zu bewahren, entschieden sich die Planenden dazu, den Neubau unter die Erde zu verlegen. Der neue Saal liegt unter einem Hang auf der Südseite des Hauses und ist von außen lediglich an zwei schmalen Edelstahlfassaden zu erkennen, die an der Ost- und Westseite des Saals aus der Hügellandschaft herausragen.

Das Bestandsgebäude wurde im Erdgeschoss partiell umstrukturiert. Durch das Tieferlegen des Untergeschosses um 60 Zentimeter ist ein neues Gartengeschoss entstanden, das drei Übungsräume, eine Lounge, eine Kantine und ein Foyer beherbergt. Ein neu eingebauter Fahrstuhl im südlichen Teil des Gebäudes ermöglicht eine weitestgehend barrierefreie Erschließung des Hauses.

In Erinnerung an die Geschichte Lichtenbergs

Ein abfallender, stollenartiger Gang mit abnehmender Deckenhöhe führt vom Gartengeschoss in den neuen Konzertsaal hinab. Die Formensprache der neuen Architektur nimmt auf den Bergbau Bezug, der in der Geschichte der Stadt Lichtenberg tief verwurzelt ist. Im Saal angekommen, bietet sich ein spektakuläres Bild: Decke und Wände sind mit tetraederförmigen Granitsplittern mit einer Länge von bis zu zwölf Metern überzogen. Im Zentrum des Saals befindet sich eine 65 Quadratmeter große Konzertbühne, die von jeweils einer hölzernen Tribüne mit Sitzplätzen an der Ost- und Westseite flankiert wird. Bis zu einhundert Personen finden in dem neuen Saal Platz.

Die 33 Splitter bestehen aus über 330 einzelnen, 40 Millimeter dicken Granitplatten, die auf einer stählernen Unterkonstruktion befestigt wurden. Bei jedem Splitter handelt es sich um ein Unikat aus Tittlinger Feinkorn – einer Granitart, die aus dem größten Granitvorkommen des Bayerischen Waldes stammt. Die hellgraue Farbigkeit des Granits verschmilzt mit dem Farbton des Sichtbetons, aus dem die darunterliegenden Wände und die Decke bestehen. Die Hinterleuchtung der Elemente intensiviert ihre Wirkung. Zusätzlich erhellen Leuchten, die in einzelne Splitter eingelassen wurden, zielgerichtet die Bühne in der Raummitte.

Akustik: Ein Balanceakt zwischen Schallreflexion und -absorption

Die Kubatur, die Form und die Materialität eines Konzertsaals bestimmen maßgeblich wie Musizierende ihre eigenen und die Instrumente anderer hören und wie das Publikum die Musik wahrnimmt. Eine der Herausforderungen, mit der sich die Akustikplanenden im Haus Marteau konfrontiert sahen, besteht in dem großen Nutzungspektrum des Saals. Da der Saal sowohl ein Ort für Proben als auch für Konzerte ist, ist mal mit mehr und mal mit weniger Publikum zu rechnen. Zudem werden hier sehr unterschiedliche Musikgenres einstudiert und aufgeführt. Eine zweite Herausforderung besteht in dem akustischen Ausgleich der Schallhärte von Beton und Granit. Außerdem musste das relativ kleine Raumvolumen von 700 Kubikmetern bei der Akustikplanung berücksichtigt werden.

Beim Bau von Konzertsälen wird häufig das Material Holz aufgrund seiner akustischen Qualitäten bevorzugt. Der Saal im Haus Marteau hingegen wird akustisch durch die imposanten Granitelemte an Decke und Wänden geprägt. Die Geometrie und die Ausrichtung der Granitsplitter wurden von den Akustikplanenden um Eckard Mommertz hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Raumakustik untersucht und in enger Abstimmung mit den Architekturschaffenden klangästhetisch optimiert. In ihrer Form und Anordnung wurden die Splitter so entwickelt, dass der klangliche Fokus auf die Bühne gerichtet ist. Die Elemente reflektieren und streuen den Schall, der beim Musizieren entsteht, gleichermaßen. Schallreflexionen werden jedoch nicht direkt zum Publikum geleitet, sodass ein differenziertes und zugleich warmes Klangbild entsteht. Zudem wirken die Hohlräume hinter den Granitsplittern einer Basslastigkeit des Saals entgegen.

Die schallharten Oberflächen aus Granit und Beton werden durch die hölzernen Publikumstribünen und die gepolsterte Bestuhlung ausbalanciert. Die Polsterung sorgt dafür, dass auch bei fehlendem Publikum der Schall absorbiert wird. Das Publikum findet auf zwei einander gegenüberliegenden Seiten der Bühne in jeweils vier Sitzreihen Platz. Durch die direkte Nähe der Zuhörenden zu den Musizierenden wird ein hohes Maß an akustischer Transparenz begünstigt. Je nachdem, wo man sitzt, eröffnen sich unterschiedliche Hörperspektiven. -np

Bautafel

Architektur: Peter Haimerl Architektur, München
Projektbeteiligte: Hüttner Architekten, Lichtenberg (Bauleitung); Gföllner, Stritzing (Konstruktion); aka Ingenieure, München (Statik); Kusser Granitwerke, Aicha (Konstruktion der Granitelemente); Müller BBM, Planegg/München (Akustikplanung)
Bauherr/in: Bezirk Oberfranken
Fertigstellung: 2021
Standort: Lobensteiner Straße 4, 95192 Lichtenberg
Bildnachweis: Edward Beierle, München; Peter Haimerl Architektur, München

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