Umbau und Sanierung: Villa Heike in Berlin
Einer der ältesten Stahlbeton-Skelettbauten Berlins
Wurstbefüllmaschinen, Gefängniszellen und NS-Akten – die Geschichte der Villa Heike im Berliner Stadtteil Alt-Hohenschönhausen ist abwechslungsreich. Vor über einhundert Jahren errichtet, ist sie einer der ältesten Stahlbetonskelettbauten der Stadt. Nach Sanierungs- und Umbauarbeiten unter Federführung von Christof Schubert Architekten beherbergt die Villa heute hauptsächlich Künstlerateliers, eine Ausstellungshalle, Werkstätten und Büros.
Früher ein Teil Ost-Berlins, ist Hohenschönhausen vor allem für das einstige Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bekannt. Fassaden, Mauern und Kopfsteinpflaster lassen den Ort an vielen Tagen im Jahr vor allem graubraun erscheinen. Da fällt auch die imposante Villa zunächst kaum auf, die nur wenige Schritte von der heutigen Gedenkstätte entfernt ist: Vier hohe Geschosse, ein Hochparterre mit riesigen Schaufenstern und ein breites Krüppelmansarddach lassen geräumige Innenräume erahnen. Elemente des Jugendstils und des Art Decó vermischen sich im Fassadenbild.
Zwischen Showroom und Sperrzone
Der repräsentative Bau
wurde von 1910 bis 1911 errichtet. In Auftrag gab ihn Richard
Heike, der damals viel Geld mit Fleischverarbeitungsmaschinen
verdiente, unter anderem Handlakespritzen, Pökelsärge, Eisschränke
und Schlachthauswinden. Die Architekten Wilhelm Verhülsdonk und
Richard Lotts hatten für ihn ein multifunktionales Gebäude
entworfen mit Ausstellungsflächen für Maschinen, Büros und einer
Wohnung. Im Hinterhof standen die Fabrikhallen mit ihren Schloten.
Angrenzend gab es einen Park, in dem Palmen wuchsen. Nach dem
Zweiten Weltkrieg befand sich zunächst das Quartier des
sowjetischen Geheimdienstes NKWD in dem Gebäude; ab den
1960er-Jahre versteckte das MfS ein Geheimarchiv in der Villa, die
Teil des Sperrgebiets um das Gefängnis war. Nach dem Ende der DDR
stand das Gebäude viele Jahre leer und drohte zu verfallen. Es
blieb dennoch erhalten – dem Denkmalschutz sei Dank – und 2015
bekam schließlich der Architekt Christof Schubert die Chance, das
Haus zu kaufen. Gemeinsam mit vier Mitstreitern erwarb er das
Gebäude; die gewerbliche Baugruppe nutzt die Räume heute teils
selbst und vermietet die weiteren Ateliers und Büros.
Stahlbetonskelett mit
Mauerwerksausfachung
Hervorspringende Stützen und
Fensterstürze machen die Stahlbeton-Skelettkonstruktion bereits in
der Fassade ablesbar. Die 1910 eigens angereisten Wiener
Betonexperten stellten auch die Deckenplatten und die Betonschale
der Mansarde her. Wo keine Kastenfenster zwischen den Stützen
eingesetzt wurden, finden sich Mauerwerksausfachungen. Auch die
seitlichen Treppenhäuser sind gemauert.
So eindrucksvoll wie die Fassade ist auch der Eingangsbereich:
Acht antik anmutende Säulen, Kassettendecken aus Beton und mächtige
Treppenstufen empfangen die Gäste im Vestibül. Von hier aus
gelangen sie in das auch heute wieder als Ausstellungsraum genutzte
Hochparterre. Über zwei an den beiden Giebelseiten angeordnete
Treppenhäuser werden das Souterrain und die oberen Geschosse
erschlossen. Hofseitig angebaut wurde ein gläserner Aufzugsturm.
Die Räume in den Obergeschossen orientieren sich fast alle zu den
großen Fassadenöffnungen und werden in der Regel über innenliegende
Korridore erschlossen. Jeweils sechs Räume pro Geschoss befinden
sich im Mittelbau der Villa. An den Seiten variieren Aufteilung und
Raumgrößen: Während sich im ersten und zweiten Obergeschoss jeweils
drei Räume auf jeder Seite befinden, verfügt das Wohngeschoss an
dieser Stelle über einen großen Hauptraum und einen Nebenraum. Der
Grundriss der ehemaligen Fabrikantenwohnung wurde im Zuge der
Sanierung verdichtet mit zusätzlichen Sanitärräumen. Heute ist er
für vier Parteien aufgeteilt. Zusätzlich führen drei neue Treppen
in das neu ausgebaute, nun ebenfalls bewohnte
Dachgeschoss.
Annäherung an den bauzeitlichen Zustand
Die Baugruppe
wollte das Gebäude künftig so nutzen, dass möglichst wenig umgebaut
werden musste. Sie verzichteten auf Eingriffe in die tragende
Struktur. Lediglich in den oberen Geschossen durchbrechen
vereinzelt Treppen die Decken. Ergänzt wurden zum Beispiel
Zwischenwände, um Arbeits- oder Sanitärbereiche abzutrennen. Zum
einen sanken so die Kosten für die Herrichtung der Räume, zum
anderen lenkte das den Blick auf die Spuren der wechselvollen
Geschichte des Gebäudes. Einige von ihnen blieben erhalten, etwa
Graffitis und die Leuchte aus den 1980er-Jahren.
Ein Rückbau der Eingriffe der Nachkriegszeit war besonders im Hochparterre und im Vestibül notwendig, um Schaufenster, Raumzusammenhänge und Oberflächen wieder dem bauzeitlichen Zustand anzunähern. Entfernt wurden Sperrholzverschalungen, Lackschichten, Tapeten und PVC-Beläge in den Innenräumen. Dahinter kamen Kastenfenster, Stuckdecken, Steinputzoberflächen oder Magnesiaestrich- und Terrazzoböden zum Vorschein. Sie wurden größtenteils aufgearbeitet, genauso wie die Treppengeländer und Türen und die prägnanten Kastenfenster – der Fassadenputz dagegen wurde lediglich gesichert. Schäden wurden im gleichen Material, aber in vereinfachter Ausführung ausgebessert. Prägende, jedoch nicht mehr vorhandene Elemente wie zum Beispiel der Balkon im dritten Obergeschoss oder auch notwendige Ergänzungen wie das Eingangsportal entwickelte der Architekt in Anlehnung an das bauzeitliche Vorbild.
Beton: Freigelegt und saniert
Um die vielfältigen
Oberflächeneffekte im eklektizistisch gestalteten Vestibül zu
erzeugen, verwendeten die Betontechniker Anfang des 20.
Jahrhunderts keine speziellen Schalungen. Stattdessen modellierten
sie die Kanneluren, Kapitelle, Bossierungen, Zahnschnitte und
Mauerwerksfugen mit Steinputz. Die Stahlbetonstützen sind also
komplett ummantelt. Als die Restauratoren Isenee und Schauss den
Gebäudezustand aufnahmen, waren diese außerdem mit zahlreichen
Lackschichten überzogen. Im Vestibül wurden die Oberflächen
zunächst freigelegt und Abplatzungen repariert. In den übrigen
Räumen sind die Stahlbetonoberflächen in der Regel mit Putz
überdeckt. Betonsanierungen waren an den Fensterstürzen nötig sowie
an der Betonschale des Mansarddachs und der Geschossdecke über dem
Souterrain. Die an der Fassade materialsichtigen Stürze erhielten
eine ausreichende Mindestüberdeckung aus Sanierbeton, aufgetragen
als Spritzbeton. -ml
Bautafel
Architektur Bestandsbau: Wilhelm Verhülsdonk, Richard Lotts
Architektur Sanierung und Umbau: Christof Schubert Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: Isenee und Schauss (Oberflächenrestauration)
Bauherr/in: das Archiv (Christof Schubert u.a.)
Fertigstellung Bestandsbau: 1911
Fertigstellung Sanierung und Umbau: 2019
Standort: Freienwalder Str. 17, 13055 Berlin Alt-Hohenschönhausen
Bildnachweis: Enric Duch, Berlin; Christof Schubert Architekten, Berlin
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