Sozialer Wohnungsbau in Paris

Tragendes Natursteinmauerwerk mit guter Ökobilanz

Den sozialen Wohnungsbau in Frankreich unterscheidet vom deutschen unter anderem, dass man ihn nicht gleich als solchen erkennt. Anstelle von Schuhkartonarchitektur am Stadtrand entstehen bei unseren Nachbarn architektonisch anspruchsvolle Bauten inmitten der Metropolen (siehe auch Objekte zum Thema). Ein aktuelles Beispiel aus Paris ist das Mehrfamilienhaus OBK 27 von Barrault Pressacco in der Rue Oberkampf im elften Arrondissement. Bauherrin ist die Régie Immobilière de la Ville de Paris, eine große Wohnungsbaugesellschaft, die mehrheitlich im Besitz der Stadt ist und seit 1923 Sozialwohnungsbau betreibt.

In Paris entstand nach Plänen von Barrault Pressacco ein sozialer Wohnungsbau mit Außenmauern aus tragendem Natursteinmauerwerk.
Die Abtreppungen werden als Dachterrassen genutzt.
Straßenseitig wurden die beiden obersten Etagen als Staffelgeschosse ausgeführt, rückwärtig sind die unteren vier Stockwerke des westlichen Seitenflügels abgetreppt.

Das Gebäude nahe der Metrostation Parmentier besetzt eine Stelle innerhalb der dichten, heterogenen Blockrandbebauung, die Großteils aus der Haussmann'schen Ära im 19. Jahrhundert stammt. In diese fügt es sich dank seines Mauerwerks aus französischem Kalkstein bestens ein. Der schmale Baukörper auf L-förmigem Grundriss umfasst sieben Geschosse – womit er sich in puncto Geschosszahl und -höhe an den historischen Nachbarhäusern orientiert. Den oberen Abschluss bildet ein Flachdach, was den Neubau dagegen von den umliegenden, hohen Mansarddächern unterscheidet. Straßenseitig wurden die beiden obersten Etagen als Staffelgeschosse ausgeführt, rückwärtig sind die unteren vier Stockwerke des westlichen Seitenflügels abgetreppt, sodass die zum engen Hinterhof orientierten Wohnungen mehr Licht und Luft erhalten. 

Im Erdgeschoss befindet sich eine Gewerbeeinheit, in den Obergeschossen konnten 17 Wohnungen untergebracht werden, die dank der Terrassierung der Stockwerke sämtlich über Zugang zu einer Dachterrasse oder einem Balkon verfügen. Helle Holzböden und -decken, weiß verputzte Wände mit Einbauschränken sowie fast raumhohe Verglasungen schaffen eine hochwertige und behagliche Anmutung der Innenräume.

Anpassung und Autonomie

Die Planenden suchten mit ihrem Entwurf den Schulterschluss zwischen der historischen Architektur der Nachbarhäuser und einem zeitgemäßen Gebäude. Das streng gerasterte Sockelgeschoss besteht aus grauem Stahlbeton, dessen Oberfläche geschliffen wurde, um die Gesteinskörnung herauszuarbeiten. Der Beton im Parterre und der helle, cremefarbene Kalkstein der Obergeschosse bilden einen Kontrast aus, der charakteristisch für die Haussmann'schen Bauten ist, bei denen sich das Sockelgeschoss gestalterisch ebenfalls von den darüberliegenden Wohnebenen abhebt. Auch das historische Motiv der umlaufenden Balkone im fünften Stockwerk wird durch die als Terrasse genutzte Zone vor dem Staffelgeschoss aufgegriffen.

Tragendes Natursteinmauerwerk mit guter Ökobilanz

Das Mauerwerk aus massiven Kalksteinblöcken ist tragend. Im ersten Stockwerk ist es 35 Zentimeter stark und nimmt dann nach oben hin auf dreißig Zentimeter ab. Der Naturstein stammt aus Sireuil, einer Gemeinde im Südwesten Frankreichs, in Angoulême.

Die Verwendung von Kalkstein für die Außenmauern entspricht dem Wunsch der Bauherrschaft, die das Material aufgrund seiner guten Ökobilanz wählte. Der Stein kommt in Frankreich in großen Mengen vor, die Transportwege sind kurz und bei der Gewinnung und Verarbeitung entstehen deutlich weniger Emissionen als bei der Herstellung von Beton. Daher wurde dieser nur dort eingesetzt, wo die Verwendung von Naturstein sehr teuer gewesen wäre, wie an den großen Fensterstürzen der Hofseite, wo er der Vertikalität des Gebäudes einen starken horizontalen Akzent entgegensetzt. Kalkstein ist zudem langlebig und wartungsarm. Der Entwurf sah nur wenig unterschiedliche Formate für die Natursteinblöcke vor, sodass diese im Werk vorgefertigt werden konnten. Dies reduzierte Bauzeit und -kosten erheblich.

Die Massivität der Mauersteine zeigt sich in den tiefen Fensterlaibungen, die weder Plattenstöße noch senkrechte Fugen offenbaren. Die regelmäßige Reihung der Fenster und die im Vergleich zum opulent geschmückten Nachbargebäude schlichte Fassade verleihen dem Wohnhaus eine kraftvolle Strenge. Gebrochen wird diese durch schräg in das Mauerwerk geschnittene Faschen, die eine elegante Differenzierung der monolithisch erscheinenden Gebäudehülle bewirken.

Hanf und Holz zum Stein

Auch Wärmedämmung und Decken bestehen aus Naturmaterialien. Hanfbeton, eine Mischung aus Hanf Kalk und Wasser, wurde von innen auf die Steinfassade gespritzt und per Hand geglättet. Neben der wärmedämmenden Funktion bewirkt Hanfbeton eine natürliche Regulierung der Luftfeuchtigkeit. Die Decken bestehen aus Brettsperrholz, um das Gewicht gering zu halten. Sie wurden allerdings nicht direkt auf das Mauerwerk aufgelegt, sondern ruhen auf Stahlträgern und entlasten so insbesondere die Stürze von Türen und Fenstern. Die Holzdecken wurden in den Wohnungen roh und sichtbar belassen. -sas

Bautafel

Architekt: ​​​​Barrault Pressacco, Paris
Projektbeteiligte:
LM ingénieur, Haguenau (Tragwerksplanung); Atelux, Conflans-Sainte-Honorine (Gebäudetechnik); Les Rondeaux, Paris (Landschaftsarchitektur)
Bauherrschaft:
RIVP - Régie Immobilière de Ville de Paris
Fertigstellung:
2018
Standort:
62 rue Oberkampf, 75011 Paris, Frankreich
Bildnachweis: Maxime Delavaux, Brüssel; Giaime Meloni, Île-de-France | Sardinien; Barrault Pressacco, Paris


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