Seniorenwohnheim in Rixheim

Wintergärten als bewohnbare Dämmschicht

Eine Fassade, die viel Sonnenlicht ins Innere lässt, vor Hitze und Kälte gleichermaßen schützt und dazu auch noch zusätzlichen Wohnraum bietet? Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Im französischen Rixheim, einem Vorort von Mühlhausen, ist für einige Seniorinnen das Leben mit einer solchen multifunktionalen Fassade Realität geworden. Ihr Wohnheim Les Châtaigniers ist bereits das dritte Projekt des Architekturbüros Lacaton & Vassal in der ostfranzösischen Gegend und das zweite im Auftrag der lokalen Wohnungsbaugesellschaft Société Mulhousienne des Cités Ouvrières (SOMCO).

Das Wohnheim Les Châtaigniers ist bereits das dritte Projekt des Architekturbüros Lacaton & Vassal in der ostfranzösischen Gegend und das zweite im Auftrag der lokalen Wohnungsbaugesellschaft Société Mulhousienne des Cités Ouvrières (SOMCO).
Auf zwei Geschossen finden sich 18 Wohnungen. Die Wohnungen im Obergeschoss werden über Laubengänge erschlossen.
Wo die beiden Wohnflügel aufeinandertreffen, dient ein Gewächshaus als großer Gemeinschaftsraum.

Noch wirkt das Viertel fast nackt, in dem der neue Flachbau eine schräge Straßenecke einnimmt. Das zweigeschossige Gebäude besteht aus zwei angewinkelten Riegeln, in denen die insgesamt 18 Mietwohnungen untergebracht sind, und einem kompakten Baukörper im Knie des Winkels. Das Gelände, ein ehemaliger Skaterpark, ist im Norden und Osten stark geneigt. Die hohen Bäume im Osten des Grundstücks stehen noch. Von der Nordseite her blicken die Bewohnerinnen noch auf ein Entsorgungszentrum, das aber in zwei Jahren umziehen soll.

Keine Fenster im eigentlichen Sinne

Das Fassadenbild wird von Stahlstangen und Wellblechen, von raumhohen Pfosten und den Rahmen der Glasschiebetüren, von den Wellen der Vorhänge und dem schmalen Balkongeländer bestimmt. Die Bewohnerinnen und Bewohner bestimmen selbst den Rhythmus aus offenen und geschlossenen Flächen und damit auch wieviel Einblick ins Innere gewährt wird. Bei aller Strenge und Regelmäßigkeit werden die sich überschneidenden Raster durch allerlei bunte Einrichtung hinter den durchsichtigen Hüllen zum Leben erweckt.

Simple Grundrisse

Die Wohnungsgrundrisse sind fast alle identisch und in zwei Hälften gegliedert. Die eine Hälfte setzt sich aus einem hofseitigen Bad und einem straßenseitigen Schlafzimmer zusammen. Daneben liegt eine durchgesteckte Wohnküche. Zur Straße schließt ein 18 m² großer Wintergarten an jede Wohnung an, vor dem sich wiederum entweder eine Gartenparzelle oder eine 26 m² große Dachterrasse befindet. Überdachte Laubengänge erschließen das Obergeschoss. Dort, wo sie aufeinandertreffen, sind eine Treppe und ein Aufzug angeordnet sowie ein hallenartiges Gewächshaus. Es ist als gemeinsames Wohnzimmer gedacht, um Nachbarinnen und Nachbarn zu treffen, gemeinsam Kaffee zu trinken oder zu spielen. Bei nassem Wetter hält das transparente Dach zwar den Regen ab, nicht aber das Tageslicht. Für warme, helle Tage gibt es als Blend- und Sonnenschutz eine innenliegende Beschattung: Ein raffbarer Sonnenschutzstoff kann unter dem Dach zugezogen werden.

Mehrschichtige, wandelbare Gebäudehaut
Die Fassaden zwischen Wohnung und Wintergarten bilden raumhohe Schiebefenster mit Aluminiumrahmen und Doppelverglasung. Sie sind mit thermisch wirksamen Vorhängen kombiniert, die direkt hinter den Glasscheiben angebracht sind, um die über den Tag aufgenommene Wärme im Winter nachts im Inneren zu halten. Die äußere Hülle der Wintergärten besteht aus Schiebepaneelen mit einer transparenten Polycarbonatverkleidung und dahinterliegenden Sonnenschutzvorhängen.

Die an vielen Stellen mit Schraubenschlüsseln montierte Konstruktion steht im Einklang mit der begrenzten Lebenserwartung der Gebäudehülle. Fast alles kann demontiert und leicht ersetzt werden. Die Systeme aus Blechen und Platten sowie Pfosten und Riegeln sind dafür ideal. Die industriellen Materialien eignen sich für das Schaffen großer Volumina zu geringen Kosten.

Wohnen in der Dämmschicht

Im Wohnungsbau angewendet stellen die Strukturen und Technologien von Gewächshäusern in Europa verbreitete starre Behaglichkeitsstandards infrage. Die ungewöhnliche Art der Dämmung erfordert von der Bewohnerschaft eine Auseinandersetzung mit den aktuellen Wetterverhältnissen. Im Gegenzug eröffnet sich ihnen die Möglichkeit, selbst und ganz nach eigenem Empfinden das Klima in ihrer Wohnung zu bestimmen. Dass auf diese Weise eine angemessene Wärmeregulierung möglich ist, beweisen Nachbelegungsstudien anderer Projekte im Portfolio des Architekturbüros. Darüber hinaus erweitern die Wintergärten die Wohnungen um einen zusätzlichen Raum, der dank der klimatischen Effekte einen Großteil des Jahres bewohnbar ist. Die Räume werden je nach Jahres- und Tageszeit und Wetter ausgewählt und genutzt.

Dämmstoffe: Luft als Puffer
Ob es Winter oder Sommer ist, die Wintergärten funktionieren als Pufferräume, die zur Regulierung der Innentemperatur beitragen und damit weitere Dämmstoffe überflüssig machen. Dahinter steckt ein bioklimatisches Prinzip: Die Luftvolumina erwärmen sich durch die Sonneneinstrahlung. Im Winter mindert diese auf natürliche Weise vorgewärmte Raumschicht zwischen der der Kälte ausgesetzten, äußersten Fassadenschicht und dem beheizten Innenraum große Heizwärmeverlusten durch die großen Fensterflächen. Im Sommer kehrt sich dieser Effekt um und sorgt dafür, dass die Hitze nicht bis in das Innerste der Wohnungen vordringt. Die durchgesteckten Räume der Wohnungen in Kombination mit den großflächigen, beweglichen Fassadenteilen erlauben außerdem durchgehende Luftströme und somit eine natürliche Belüftung. -ml

Bautafel

Architektur: Lacaton & Vassal, Montreuil
Projektbeteiligte: SIB Etudes, Sarrebourg/Strasbourg (Statik); Solares Bauen, Freiburg im Breisgau (mechanische Systeme und thermische Studien); L&N Ingénierie, Mulhouse (Elektrotechnik); Ballast Architectes, Strasbourg (Ausführungsplanung, Ausschreibung & Vergabe, Abnahme); Alchimy, Riedisheim (Bauleitung)
Bauherr/in: Société Mulhousienne des Cités Ouvrières – SOMCO
Fertigstellung: 2021
Standort: 68170 Rixheim, Frankreich
Bildnachweis: Philippe Ruault, Nantes (Fotos); Lacaton & Vassal, Montreuil (Pläne)

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