Rückbau einer Plattenbauzeile in Leinefelde

Umwandlung einer WBS 70-Zeile in acht Stadtvillen

180 Meter lang war die ehemalige Plattenbauzeile am Rande der thüringischen Stadt Leinefelde. 150 Wohnungen beinhaltete die erst 1964 entwickelte Reihenbauweise WBS 70, die in Leinefelde in großem Maße zum Einsatz kam, um in kurzer Zeit mit standardisiertem Ablauf Wohnraum für die zahlreichen Arbeiterfamilien eines Industriekombinats bereit zu stellen. Mit der Auflösung der DDR lösten sich auch die Städte auf, zahlreiche Familien machten sich auf der Suche nach Arbeit auf in den Westen. Die leer stehenden Plattenbauten mit ihren engen Grundrissen und den schalltechnischen Mängeln bleiben zurück und stellen nicht nur eine städtebauliche Herausforderung dar. Der Leerstand bietet auch die Möglichkeit über Rückbau, Umnutzung und sozial verträgliche Aufteilung nachzudenken. Einer dieser Ansätze ist an dem Rückbau-Projekt in Leinefelde zu studieren, bei dem durch Abbruch jedes zweiten Treppenhauses eine lockere Aneinanderreihung von frei stehenden Stadtvillen entstand. Im Gegensatz zu anderen sanierten Projekten ist die Attraktivität sehr hoch, was sich an der geringen Mieterfluktuation nachweisen lässt.

Acht Stadtvillen entstanden durch die baulichen Zäsuren: "Weniger ist mehr" - das Problem der schwindenden Städte erhält dadurch einen postiven Aspekt
Frontansicht zweier plastischer Baukörper mit den ausgestülpten Balkonen

Sanierung/Modernisierung
Was im Nachhinein so leicht und unbeschwert aussieht, bedurfte allerdings exakter Kenntnisse und Berücksichtigung der statischen Eigenheiten der Plattenbauweise. Da die statisch extrem ausgedünnten Gebäude konstruktiv nur bei unversehrten Wänden über drei Treppenhäuser hinweg standsicher waren, galt es eine Möglichkeit zu finden, wie die Längsaussteifung funktionell und unter geringen Kosten hergestellt werden konnte. In der kongenialen Zusammenarbeit mit dem Plattenbau-Experten Klaus Höch fand Stefan Forster die Lösung in der Ertüchtigung des Bestands. Zum einen bestand diese in der Aufdopplung einer Treppenwand von 10 auf 20 cm über die gesamte, um ein Geschoss verringerte, Gebäudehöhe. Zum anderen wurde nach sorgfältigem Rückbau der einzelnen Platten in den Abbruch-Abschnitten ein umlaufender, außen liegender Stahl-Ringanker je Geschoss eingefügt, an dem U-Laschen die nunmehr frei stehenden Plattenauflager in ihrer Lage sichern.
Die vertikalen Gebäudeecken wurden mit Ortbeton vergossen. Nach Abdichtung des Daches wurde über dem Treppenhauskern eine gleichzeitig als Rauchabzug dienende Plexiglaskuppel eingefügt.

Um die unschönen Stahlbaubalkone als nachträgliches Attribut zu vermeiden, wie sie die meisten Plattenbauumbauten auszeichnen, wurde eine stählerne Grundkonstruktion eingeführt. Um die statisch nicht belastbaren Außenwände zu schonen wurde die Konstruktion an innenseitig zwischen Boden und Decke eingespannten Stahlstützen rückverankert. Dieses Grundgerüst wurde mit Putzträgerplatten verkleidet und gleichförmig mit dem am übrigen Bauwerk angebrachten Wärme-Dämmverbundsystem verputzt. Da der rohbauseitige Untergrund des Plattenbauwerks extreme Toleranzen aufwies, oblag es den Putzhandwerkern diese Unebenheiten durch Ausgleichsspachtelungen und zusätzliche Putzschichten aufzufangen, um eine homogene, rissresistente Klebefläche für die 100 mm Dämmung herzustellen.

Im Gebäudeinneren wurden die ursprünglich mit 1,80 x 0,50 Meter sehr großzügig bemessenen senkrechten Installationsschächte reduziert und brandtechnisch einwandfrei nach Montage aller Leitungen durch Vergussbeton geschlossen. Der weitere Innenausbau wurde ausschließlich mit Trockenbauwänden und- abkofferungen gefertigt.

Das Farbkonzept der Modernisierungs- und Umbaumaßnahme mit den unterschiedlich gefärbten Putzoberflächen überzeugte und wurde mit dem deutschen Putzpreis 2004 prämiert.

Bautafel

Planung: Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main
Projektbeteiligte: Hartlep und Höch, Leinefelde-Worbis (Bauleitung)
Bauherr: Wohnungs-und Verwaltungs-GmbH, Leinefelde
Fertigstellung: 2004
Standort: Einsteinstraße in Leinefelde
Bildnachweis: Jean-Luc Valentin, Frankfurt

Baunetz Architekt*innen