Reihenhäuser in Nänikon

Größte Strohballenbau-Siedlung der Schweiz

In Nordamerika wird der Strohballenbau seit Mitte des 19. Jahrhunderts praktiziert. Dort erwarb auch der Schweizer Werner Schmidt seine ersten Fachkenntnisse über diese Bauweise. Anfang der 2000er-Jahre realisierte der Gründer des Architekturbüros Atelier Schmidt dann sein erstes mit Stroh gedämmtes Haus im Kanton Graubünden. Heute ist auch Sohn Paul mit von der Partie, wenn es um die Realisierung solcher ökologischen Bauprojekte geht: Die 2020 fertiggestellte Siedlung Im Vogelsang in Nänikon ist mit ihren drei verbundenen Reihenhauszeilen und insgesamt 28 Wohneinheiten die größte Strohballenbau-Siedlung der Schweiz.

Die Wohnungstypologien reichen von der Einzimmerwohnung bis zum Reihenhaus mit Garten.
Dank der 75 cm dicken Strohdämmung entstehen tiefe Fensterlaibungen, die zum Sitzen und Lesen einladen.
Jede Wohnung besitzt ein kleines Fenster, das Einblick in die Strohdämmung gibt.

Bauen im Einklang mit dem Baumbestand

Die Gebäude wurden auf einem ehmaligen Fabrikgelände der Firma Bombasei errichtet, auf dem bis 2017 Schokolade, Marzipan und Zucker verarbeitet wurde. Heute bildet die Siedlung eine Art Mini-Dorf im 2600 Einwohnenden zählenden Ort Nänikon bei Zürich. Das Architekt*innen-Team um Vater und Sohn Schmidt ordnete die drei Riegel T-förmig an, wobei die Zwischenräume zum Treffpunkt für die Gemeinschaft werden. Auf Holzstützen aufgeständerte Laubengänge verbinden die drei Baukörper miteinander und erschließen die einzelnen Wohnungen. Der überdachte Platz fungiert zugleich als Ort für Nachbarschaftsfeste und ungezwungenen Austausch. Wer aufmerksam durch den Wald aus Stützen geht, dem fällt auf, dass eine davon nicht aus Brettschichtholz, sondern aus dem entrindeten Stamm einer Linde besteht. Sie wuchs einst auf dem Areal und wurde in dieser Weise wiederverwendet. So nahm der Entwurf auch Rücksicht auf den alten Baumbestand: Wo möglich, wurden die Bäume erhalten und laden nun mit darunter stehenden Bänken zum Verweilen ein. Bäume, die gefällt werden mussten, wurden weiterverarbeitet und wieder eingesetzt, beispielsweise als großer Tisch für die Bewohnerschaft.

Holz, Kalk und Stroh

Der Neubau bietet unterschiedlichste Wohnungstypen und damit die Grundlage für eine gute soziale Durchmischung: Singles können sich in Einzimmerwohnungen einmieten, während für Familien auch mehrgeschossige Reihenhäuser mit kleinem Garten zum Verkauf stehen. Der Bau aus Raummodul- und Elementbauweise fand größtenteils in Vorfertigung statt: In geschosshohen, 6,28 Meter langen Brettsperrholzrahmen wurden die Strohballen vollflächig ausgelegt und anschließend mit Sumpfkalk verputzt. Auf dem Bauplatz wurden die dampfoffenen Raummodule schließlich gestapelt; die drei Mehrfamilienhäuser standen bereits 18 Monate nach dem Abriss der ehemaligen Fabrik.

Die Bauweise aus Raummodulen ist immer noch sichtbar: Horizontale und vertikale Lärchendeckbretter markieren an der Fassade die Modul- und Elementstösse. Der Grundriss der Häuser ist modular aufgebaut und anschließend an die jeweiligen Wünsche der Eigentümer*innen angepasst worden. Im Innern erinnern Brettschichtholzplatten und Kalk an den Wandaufbau. Zudem besitzt jede Wohnung ein kleines Fenster, das Einblick in die Strohdämmung gibt. Die Haustechnik wurde im Rasterprinzip und leicht zugänglich verlegt, sodass sie sich einfach reparieren und austauschen lässt. Das Bauen mit der 75 cm starken Strohdämmung hat nicht nur energetische, sondern auch gestalterische Vorteile: Durch die massiven Mauern entstehen tiefe Fensterlaibungen, die zum Sitzen einladen oder unterhalb des Fensters zusätzlichen Stauraum bieten.

Abfallprodukt als klimapositive Dämmung

Atelier Schmidt hat sich zum Ziel gesetzt, beim Bau so wenig graue Energie wie möglich zu verursachen und daher ausgesuchte natürliche und lokale Materialien eingesetzt. Für die gesamte Bebauung wurden 420 Tonnen Stroh verarbeitet. Stroh ist ein Abfallprodukt der Getreideindustrie und fällt daher jedes Jahr in großen Mengen an. Wird Stroh kompostiert, löst sich der Kohlenstoff beim Zerfall als CO₂ in die Atmosphäre. Wird das Stroh jedoch als Dämmung eingesetzt, so kann der Kohlenstoff über Jahrzehnte im Bau gespeichert und somit der Atmosphäre entzogen werden, was zu einer negativen CO₂-Bilanz des Baustoffs führt.

Die Strohschicht besitzt einen U-Wert von 0,07 W/m²K und sorgt damit für einen geringen Heizenergiebedarf bei angenehmem Wohnklima. Stroh besitzt also die gleiche Dämmleistung wie Steinwolle, kostet aber nur einen Zehntel so viel. Eine Photovoltaikanlage auf den 45 Grad-Sheddächern versorgt die Bewohner*innen mit Solarstrom, die diesen über eine Eigenverbrauchsgemeinschaft günstig beziehen können. -sh

Bautafel

Architektur: Atelier Schmidt, Trun
Projektbeteiligte: Zaugg, Rohrbach (Holzelementbau); Bereuter Holding, Volketswil (Baumeister); Brühwiler, Wil (Betonbauingenieur); Gartist, Bubikon (Landschaftsplanung); Studer + Strauss, St. Gallen (Bauphysik); Klinova, Zürich (HLSKE-Planung); Kibag Bauleistungen, Winterthur (Rückbau und Aushub); Hüppi Dachbau, Goldingen (Bedachung); Oberholzer, Uster (Elektroanlagen); Marzolo & Partner, Uster (Sanitäranlagen); Lehmann & Co., Volketswil (Heizung & Lüftung); Herzog Küchen, Unterhörstetten (Küchen, Einbauschränke); Schenker Storen, Chur (Sonnenschutz); AS Aufzüge, St. Gallen (Aufzüge); Franz Reinhardt, Grüt (Gipser); Steinit, Zürich (Unterlagsboden & Hartbeton); Intera Bodenbeläge, Zürich (Bodenbeläge); G. Di Carlo, Pfäffikon (Plattenbeläge)
Bauherrschaft: Privat
Fertigstellung: 2020
Standort: Jean-Hotz-Strasse 4/6/8, 8606 Nänikon, Schweiz
Bildnachweis: Damian Poffet, Bern

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