Quartier am Rathauspark in Berlin-Lichtenberg

Mischnutzung und verglaste Loggien als Schallschutz

Verkehrslärm ist ein allgegenwärtiges Problem in städtischen Ballungsräumen. Laut einer Untersuchung des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2020 fühlten sich 76 Prozent der Befragten in ihrem Wohnumfeld durch Straßenverkehr gestört oder belästigt. Dennoch nimmt der Individualverkehr in Deutschland stetig zu. Wie sich die daraus resultierende Lärmbelästigung für zentrale Wohnlagen verringern lässt, zeigt ein Bauprojekt von Baumschlager Eberle Architekten in Berlin. Im Auftrag einer Wohnungsbaugesellschaft entstand an der Bezirksgrenze zwischen Friedrichshain und Lichtenberg ein neues autofreies Quartier mit gemischter Nutzung.

Das siebzehnstöckige Bürohochhaus markiert den neu geschaffenen Stefan-Heym-Platz und fungiert als neuer städtebaulicher Auftakt für den Bezirk Lichtenberg.
Die Bronzeskulptur „Jüngling mit Fisch“ zierte zuvor an gleicher Stelle einen Brunnen und bildet nun das Zentrum des neu entstandenen Stadtplatzes.
Der Haupteingangsbereich des Büro- und Verwaltungsgebäudes erstreckt sich über die gesamten zwei Etagen des Sockelgeschosses.

Neuer städtebaulicher Auftakt

Das städtebauliche Konzept für die Bebauung des Eckgrundstücks zwischen Möllendorffstraße und Frankfurter Allee wurde in einem Rahmenplan von Hemprich Tophof Architekten entwickelt. Entsprechend der darin vorgesehenen Zweiteilung wurde das Quartier in zwei Bauphasen realisiert. Den Wettbewerb für den zweiten und flächenmäßig umfangreicheren Bauabschnitt konnten Baumschlager Eberle Architekten für sich entscheiden. Auf das städtebauliche Palimpsest aus Shopping-Center, mehrspurigen Verkehrsstraßen, Grünanlagen, Gründerzeit- und Plattenbauten antworteten sie mit einer rigide strukturierten Neubebauung.

Es entstand ein vierteiliges Gebäudeensemble, das sich klar von den beiden Hauptverkehrsstraßen abgrenzt und stattdessen in Richtung Quartier öffnet. Als adressgebender Kopfbau des Viertels erhebt sich ein achtzehnstöckiges Bürohochhaus an der zentralen Straßenkreuzung, und bildet den städtebaulichen Auftakt für den Bezirk Lichtenberg. Dieser wird auch durch den neu geschaffenen Stefan-Heym-Platz markiert. In einem Beteiligungsprozess erhielten Anwohnende die Möglichkeit, Einfluss auf die Platzgestaltung durch hochC Landschaftsarchitekten zu nehmen. Erhöhte, mit Gräsern, Birken und Kiefern begrünte Pflanzenschollen schirmen den Platz von der Straße ab und schaffen Sitzgelegenheiten. Inmitten einer Wasserfläche im Platzzentrum findet sich ein alter Bekannter: Der auf einem Sockel kniende „Jüngling mit Fisch“ zierte zuvor jahrzehntelang an gleicher Stelle einen Brunnen. Nun ist die überlebensgroße Bronzeskulptur das einzige Relikt der ehemaligen Grünfläche und wirkt auf dem neu herausgeputzten Platz noch etwas verloren. Dass hier auf Dauer ein lebendiger Stadtplatz entsteht, dazu sollen auch Ladenlokale und Geschäftsflächen in der Erdgeschosszone des dahinterliegenden Büro- und Verwaltungskomplex beitragen.

Mischnutzung als Schallschutz

Der Büro- und Verwaltungskomplex besteht aus zwei Gebäuderiegeln, die das Hochhaus beidseitig flankieren. Mit ihrem winkelartigen Grundriss orientiert sich die Bebauung zum Platz und den beiden Hauptstraßen. Die anfänglich geplante Durchmischung aus Wohn- und Geschäftsflächen konnte an dieser Stelle aufgrund der hohen Lärmemissionen der stark befahrenen Straßen nicht realisiert werden. Stattdessen machten sich Baumschlager Eberle zunutze, dass für Büros und Gewerbeflächen niedrigere Schallschutzgrenzen gelten. In klassischer Blockrandbebauungsmanier schirmen nun Büroriegel die dahinterliegenden Wohnhäuser vom Lärm der mehrspurigen Hauptverkehrsstraßen ab. Diese Aufteilung vereint die Anforderungen an das auf Mischnutzung ausgelegte „Urbane Gebiet“ mit dem Interesse der Wohnungsbaugesellschaft an maximaler Flächenausnutzung.

Ein über zwei Etagen ausgebildetes Sockelgeschoss bietet entlang der Straße Platz für Geschäfte. Der gesamte Bürokomplex umfasst eine Fläche von 15.500 Quadratmetern mit verschieden großen Räumen und flexiblen Grundrissen, die verschiedene gewerbliche und verwaltungstechnische Nutzungen ermöglichen. Großzügige Fenster schaffen Blickbeziehungen zum Straßenraum und werden durch außenliegenden Rollos vor Sonneneinstrahlung geschützt. Die Fassadengestaltung des Büroriegels grenzt sich damit auch formal vom historischen Gegenüber ab: Auf die linear durchgezogenen Fensterbänder der verglasten Plattenbau-Loggien an der Frankfurter Allee reagiert die Neubebauung mit einer repetitiven, kubischen Rasterfassade. Dass diese im Kontrast recht massiv wirkt, liegt unter anderem an der Fassadenverkleidung aus hellem Kalkstein. Bei der Wahl der Baustoffe wurden möglichst regionale Produkte verwendet, die dazu beitrugen, dass der Gebäudekomplex von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen mit dem „Zertifikat in Platin für nachhaltige Büro- und Verwaltungsgebäude“ ausgezeichnet wurde.

Ruhiges Innenleben

Die lockerer gesetzten Baukörper der Wohnbebauung in zweiter Reihe sind um zwei begrünte Innenhöfe angeordnet, die vom neuen Viertel aus barrierefrei zugänglich sind. Für Anwohnende wurden zudem neue Fahrradstellplätze eingerichtet. Eine unterschiedliche Fassadengestaltung sorgt für Auflockerung. Die Wohngebäude sind verputzt und wirken mit ihren schmalen, bodentiefen Fenstern und Balkonen weniger streng als die straßenseitige Rasterfassade des Bürokomplexes. Die meisten der insgesamt 251 Wohnungen mit ein bis vier Zimmern sind durchgesteckt und verfügen über einen Balkon. Während die zum Innenhof orientierten Balkone relativ lärmgeschützt sind, galt es bei den auf die Nebenstraße ausgerichteten Wohnaußenräumen mit dem Verkehrslärm umzugehen. Angelehnt an die benachbarten Plattenbauten, sind die Balkone eigentlich vollverglaste Loggien. Mithilfe der raumhohen Verglasung ließen sich die Lärmemissionen um bis zu 22 Dezibel reduzieren, ohne dass sich an der Fassadengestaltung eine Abschirmung des Innenraums von der Umwelt ablesen lässt und ohne eine totale Abkehr des privaten Lebens von der Öffentlichkeit zu bewirken. Die Schiebe-Dreh-Verglasung wird auf einem kugelgelagerten Horizontallaufwerk geführt, sodass die Glaselemente verschoben und nach innen geöffnet werden können.

Es wird wohl noch dauern, bis die autofreie Stadt einmal Realität sein wird. Bis dahin gilt es vor allem in städtischen Gebieten mit begrenztem Flächenpotential Lösungen zu finden, um Bewohner*innen vor Lärmemissionen zu schützen und öffentlich zugängliche Plätze mit Aufenthaltsqualitäten für die Nachbarschaft zu schaffen. -hs

Bautafel

Architektur: Baumschlager Eberle Architekten, Berlin
Projektbeteiligte:
hochC Landschaftsarchitekten, Berlin (Freiraumplanung), Hoch- und Tiefbau-Planung Schröder, Berlin (Tragwerksplanung), PORR Design & Engineering Deutschland, Berlin (Haustechnik), PORR, München (Generalunternehmer); Hemprich Tophof Gesellschaft von Architekten, Berlin (Städtebaulicher Rahmenplan); Solarlux, Melle (Balkonverglasung SL 25 XXL)
Bauherr/in: HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft, Berlin
Standort: Frankfurter Allee 135, 10367 Berlin
Fertigstellung: 2021
Bildnachweis: Ulrich Schwarz für Baumschlager Eberle Architekten; Daniel Sumesgutner für Solarlux

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