Pavillon in Tiflis

Experiment in Wellblech

Transformation und Kollektivität – Eine Diskussion über beide Themen im suburbanen Kontext will das georgische Architekturkollektiv Medium mit dem Pavillon 8-23-VI anstoßen. Errichtet zwischen hochaufragenden Plattenbauten eines in der Zeit des Sozialismus gebauten Wohnviertels in Tiflis-Gldani zieht der kleine Pavillon aus leuchtend rotem Wellblech die Blicke auf sich. Die Bewohner und Bewohnerinnen der Gegend sind dazu eingeladen, sich das im Zuge der ersten Architekturbiennale der georgischen Hauptstadt errichtete Bauwerk anzueignen, es zu benutzen und es ihren jeweiligen Bedürfnissen anzupassen: Durch rotierbare Shutter lässt sich der Transparenzgrad und damit das Erscheinungsbild stufenlos einstellen von durchsichtig bis blickdicht, von öffentlich bis privat.

Umgeben von den Plattenbauten der Trabantenstadt Gldani zieht der rote Pavillon die Blicke auf sich.
Der Projekttitel ergibt sich aus dem genauen Standort des Pavillons innerhalb Gldanis: 8. Bezirk, Block 23, Eingang VI.
Der Grundriss des Pavillons ist ein Rechteck, das in die Kreuzung von zwei Zugangswegen zu Block 23 eingepasst ist.

In den 1970er-Jahren auf einer Fläche von 42 Hektar errichtet, sollte mit der Satellitenstadt Gldani dem wachsenden Wohnungsmangel in Tiflis begegnet werden. Konzipiert für 150.000 Menschen, wird die tatsächliche Einwohnerzahl von Gldani heute weit höher geschätzt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion sieht sich der in neun Bezirke unterteilte Stadtteil starken Veränderungsprozessen innerhalb der Bewohnerstruktur – und einem erneut um sich greifenden Wohnungsmangel – ausgesetzt.

Standort-Code mit tieferem Sinn

Der Projekttitel ergibt sich aus dem genauen Standort des kleinen Gebäudes innerhalb Gldanis: 8. Bezirk, Block 23, Eingang VI. Der Grundriss des Pavillons ist ein Rechteck, das in die Kreuzung von zwei Zugangswegen zu Block 23 eingepasst ist. Die Basis bildet eine aus Pflastersteinen gemauerte Grundmauer mit einem oberen Abschluss aus Holzplanken. Ihre variierende Höhe soll zu verschiedenen Formen der Aneignung auffordern und kann unter anderem als Sitzgelegenheit genutzt werden.

Auf der Mauer ist der nach oben offene Kranz aus drehbaren Lamellen angebracht. Die Bauteile bestehen aus geschweißten Stahlrahmen, die sich zum Rand hin verjüngen und mit Wellblech ummantelt wurden. Eigens entwickelte Kugellagermechanismen ermöglichen es, die Lamellen um eine fest arretierte Mittelachse zu rotieren. Auf den zwei Längsseiten des Pavillons befinden sich die Zugänge, einer ist direkt in der Flucht des Hauseingangs von Block 23 angeordnet. Hier sind die Shutter bodentief ausgeführt und lassen sich wie Drehtüren öffnen.

Institutionalisiertes Provisorium

Die Konstruktion besteht aus alltäglichen Materialien; diese werden jedoch durch ihre Zusammensetzung und Art der Montage aufgewertet. Sowohl durch die Verwendung von Wellblech als auch mit der Einladung zur Transformation und Interaktion nimmt das Architekturkollektiv Bezug auf die Aneignungsstrategien, die in Gldanis vielen selbstgebauten Garagen und provisorischen Erweiterungsbauten erkennbar sind, formuliert sie jedoch als kollektive Praxis neu.

Das Architekturkollektiv Medium verfolgt mit dem Projekt die Absicht, zwischen öffentlichen und privaten Gebieten zu vermitteln. So sieht das Architekturkollektiv den Pavillon als verbindendes Element im Grenzbereich zwischen dem halbprivaten Verkehrsraum innerhalb von Block 23 und dem umgebenden öffentlichen Außenraum. Letzterer ist, seitdem er einst mit guten Absichten geplant wurde, durchgehend vernachlässigt worden. Das Projekt soll ihn als gemeinsame Grundlage für die kollektive Nutzung reaktivieren und zugleich die im postsowjetischen Georgien entstandenen Eigentums- und Individualitätsnormen hinterfragen. Der durch das Programm Kreatives Europa der Europäischen Union sowie durch den Studiengang Political Architecture: Critical Sustainability der Royal Danish Academy of Fine Arts (KADK) geförderte Pavillon bleibt über den Zeitraum der Biennale hinaus als permanentes öffentliches Bauwerk bestehen. -sr

Bautafel

Architektur: Medium, London/ Rotterdam
Projektbeteiligte: Camille Filbien, Benjamin Wells, Francis Naydler, Jacob Sturdy (Team Medium); Zviad Chachanidze / All-P Metal, Tiflis (Tragwerk); Nikusha Lomidze, Tiflis (Vor-Ort-Koordination); Creative Europe Programme of the European Union (Förderung);
Bauherrschaft: Tbilisi Architecture Biennial
Fertigstellung: 2020
Standort: Gldani, Tiflis, Georgien
Bildnachweis: Benjamin Wells, Kopenhagen, London / Medium, London, Rotterdam

Fachwissen zum Thema

Außenraffstore an einem Mehfamilienhaus

Außenraffstore an einem Mehfamilienhaus

Arten und Formen

Beweglicher Sonnenschutz außen

Glaslamellen und Aluminiumraffstore verschatten die großen Glasflächen des Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin. Architektur: Stephan Braunfels

Glaslamellen und Aluminiumraffstore verschatten die großen Glasflächen des Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin. Architektur: Stephan Braunfels

Materialien

Glas und Metall

Um Sonnenschutzanlagen, wie hier Außenraffstoren, perfekt in die Fassade zu integrieren, müssen sie früh in der Planung berücksichtigt werden. Architektur: Chipperfield Architects, Forum Museumsinsel, Berlin

Um Sonnenschutzanlagen, wie hier Außenraffstoren, perfekt in die Fassade zu integrieren, müssen sie früh in der Planung berücksichtigt werden. Architektur: Chipperfield Architects, Forum Museumsinsel, Berlin

Grundlagen

Sonnenschutz und Fassade

Faeststehende Horizontallamellen aus Holz am Jakob-Kaiser-Haus in Berlin, Architekten: Busman & Haberer aus Köln, de Architekten Cie. aus Amsterdam, von Gerkan, Marg & Partner aus Hamburg und Schweger & Partner aus Hamburg

Faeststehende Horizontallamellen aus Holz am Jakob-Kaiser-Haus in Berlin, Architekten: Busman & Haberer aus Köln, de Architekten Cie. aus Amsterdam, von Gerkan, Marg & Partner aus Hamburg und Schweger & Partner aus Hamburg

Arten und Formen

Sonnenschutzlamellen

Surftipps

Kontakt Redaktion Baunetz Wissen: wissen@baunetz.de
Baunetz Wissen Sonnenschutz sponsored by:
MHZ Hachtel GmbH & Co. KG
Kontakt: 0711 / 9751-0 | info@mhz.de