Parkhaus mit Energiezentrale in Stuttgart

Heizungswärme aus dem Abwasserkanal

Parkhäuser nehmen im städtischen Gefüge eine diffizile Rolle ein, irgendwo zwischen ungeliebtem Zweckbau und notwendigem Abstellplatz. Das Parkhaus im neuen Stadtquartier Neckarpark in Stuttgart sollte gänzlich anders werden, gestalterisch wie technisch, ganz im Sinne einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Stadtplanung. So haben asp Architekten ein Gebäude mit grüner und begrünter Fassade entworfen, das künftig als Energiezentrum für das Quartier dient und dieses mit nachhaltig erzeugter Wärme versorgt.

Über der Stahlkonstruktion spannt sich entlang der Süd-, Ost- und Westseite ein Edelstahlnetz, das als Absturzsicherung und Rankhilfe dient.
In den Pflanzentrögen zwischen den Fassadenträgern ist vornehmlich Wein angepflanzt – ein Bezug zur Umgebung und die naheliegenden Weinberge am Rotenberg.
Eine rote Treppenskulptur an der Westseite hinter dem rautenförmigen Traggerüst verbindet die Geschosse.

Wo sich bis vor wenigen Jahren der Güterbahnhof Stuttgart Bad Cannstatt befand, in direkter Nachbarschaft also zu Stadion und Mercedes-Benz, entsteht seit einigen Jahren das Stadtquartier Neckarpark. Auf rund 22 Hektar sollen hier in naher Zukunft 2.000 Menschen arbeiten und leben. Das Quartier soll umweltpolitisch wie stadtplanerisch eine Vorreiterrolle einnehmen. Vorgesehen ist etwa, dass dreißig Prozent der gesamten Fassadenflächen begrünt werden und das Quartier über eine eigene und nachhaltige Energieversorgung verfügt. Es liegt auf der Hand, dass auch zum Parken von Autos eine dementsprechende Lösung gefunden werden musste.

Parkhaus und Energiezentrale

So entwickelten asp Architekten, die 2017 bereits eine Machbarkeitsstudie für ein hybrides Parkhaus im Quartier Neckarpark erstellt hatten, die Idee eines Parkhauses, das gleichzeitig als Energiezentrale fungiert, architektonisch eine identitätsstiftende Ausstrahlung besitzt und den städtebaulichen Auftakt zum neuen Quartier schafft. An der Ostseite des Gebäudes ist ein kleiner öffentlicher Platz geplant. Der Neubau beherbergt insgesamt 353 Stellplätze für Autos, einige Kleinwagen und Motorräder sowie sechzig Ladestationen und eine Fahrradgarage. Er reicht nur ein Geschoss in die Tiefe, da sich das Grundstück in einem Heilquellenschutzgebiet befindet.

Gegensätzliches vereinen

Der Entwurf musste einige recht gegensätzliche Vorgaben erfüllen: Für die angrenzenden Wohnungen sollte es ausreichenden Schallschutz gegenüber den in der Nähe stattfindenden Cannstatter Wasen bieten (geschlossene Fassade), gleichzeitig sollte eine natürliche Belüftung gewährleistet sein (offene Fassade). Die Forderung nach begrünten Fassaden wiederum war mit dem städtebaulichen Entwurf für das Quartier, der kein bodengebundenes Grün vorgesehen hat, ebenfalls nur schwer vereinbar. So besteht die Fassade jetzt aus rautenförmig angeordneten Stahlträgern, die zusammen mit den Stahlbetondecken und -wänden die Hauptkonstruktion bilden. Über diesen Stahlträgern spannt sich an drei Seiten ein Edelstahlnetz, das als Absturzsicherung und zugleich als Rankhilfe für die Begrünung dient. Diese wurde in großen, zwischen den Rauten montierten Pflanztrögen gesetzt und besteht vornehmlich aus Weinreben, wodurch ein direkter Bezug zu den Weinbergen der Umgebung hergestellt wird. Diese Fassadenlösung gewährleistet die geforderte natürliche Belüftung. Eine rote Treppenskulptur an der Westseite hinter dem rautenförmigen Traggerüst verbindet die Geschosse.

Die vierte Fassadenseite hingegen, die Nordseite, ist vollflächig mit bedruckten Glaselementen in verschiedenen Grüntönen versehen, die an ein reptilartiges Schuppenkleid denken lassen. Die Glaselemente sind lichtdurchlässig und trotzdem schallschützend. So gelingt es, die unterschiedlichen Anforderungen in einem gestalterisch gelungenen Gebäude zu vereinen.

Wärme aus Abwasser

Die Energiezentrale für das neue Quartier befindet sich im Erd- und Untergeschoss und ist dort teilweise für die Nutzerinnen sichtbar. Sie soll künftig den Wärmebedarf der etwa 850 neuen Wohneinheiten, Gewerbeflächen und des Sportbades sichern. Wichtiger Baustein dabei ist eine Wärmepumpenanlage, die ihre Umweltenergie weder aus der Luft noch aus dem Boden bezieht, sondern aus dem großen Abwasserkanal der direkt vor dem Gebäude verlaufenden Benzstraße. Dazu befinden sich im stetig 10 bis 20 °C warmen Abwasser zwei Edelstahl-Wärmetauscher, über die die Wärme an ein Wasser-Glykol-Gemisch übergeben und zu den Wärmepumpen transportiert wird. Die Wärmepumpen haben eine thermische Leistung von 3.000 kW und heben die Temperatur aus dem Abwasser auf bis zu 43 °C an. Diese wird dann – gekoppelt über einen Pufferspeicher – in ein Niedertemperatur-Wärmenetz gespeist, das für die Raumheizung und die Trinkwasser-Vorwärmung im Quartier zuständig ist.


KWK für Strom und Wärme

Betrieben werden die Wärmepumpen mit Strom aus Blockheizkraftwerken (500 kWel, 900 kWth). Die zusätzliche Wärme aus den BHKWs wird in ein Hochtemperatur-Wärmenetz (73 °C) für das Quartier gespeist, das für die Nacherwärmung des Trinkwassers auf ein legionellenfreies Temperarturniveau von 60 °C sorgt. Die Hoch- und Niedertemperaturspeicher haben zusammen ein Volumen von 120 m³. Ein zusätzlicher Gas-Brennwertkessel, der nur in Ausnahmefällen zugeschaltet wird, bringt die notwendige Versorgungssicherheit. Die Länge der Nieder- und Hochtemperatur-Wärmenetz-Trassen beträgt insgesamt 2.500 m. Auf dem Dach schließlich befindet sich zusätzlich zur Begrünung eine Photovoltaikanlage mit 438 Modulen mit einer Spitzenleistung von 142 kWp, die die Energieversorgung des Quartiers zusätzlich unterstützt. All diese Maßnahmen führen – so die Berechnungen der IBS Ingenieurgesellschaft, die für die Planung und Bauleitung der Energiezentrale zuständig waren – zu einer CO₂-Einsparung von rund 1.650 Tonnen jährlich. -tg

Bautafel

Architektur: asp Architekten, Stuttgart
Projektbeteiligte: Mayr Ludescher Partner, Stuttgart (Tragwerk); IBS Ingenieurgesellschaft, Bietigheim-Bissingen (Planung, Bauleitung TGA Energiezentrale); IB Neckermann + Partner Ingenieure, Gerlingen (TGA, HLS Parkhaus); Ingenieurbüro Werner Schwarz, Stuttgart (TGA, ELT Parkhaus); DS-Plan, Stuttgart (Fassadenplanung); Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart (Fassadenbegrünung); Kuhn Decker, Stuttgart (Brandschutz); GN Bauphysik, Stuttgart (Bauphysik); Studio Tillack Knöll, Stuttgart (Orientierungssystem)
Bauherr/in: Landeshauptstadt Stuttgart, Tiefbauamt, Amt für Umweltschutz, Stuttgart
Fertigstellung: 2021
Standort: Frachtstraße 30, 70372 Stuttgart
Bildnachweis: Zooey Braun, Stuttgart

Baunetz Architekt*innen

Fachwissen zum Thema

Funktionsweise der Abwasserwärmenutzung

Funktionsweise der Abwasserwärmenutzung

Brennstoffe/​Energieträger

Abwasser

KWK-Anlagen gewinnen aus Brennstoffen gleichzeitig Wärme und Strom. Welcher Brennstoff dabei verwendet wird, ist zunächst zweitrangig.

KWK-Anlagen gewinnen aus Brennstoffen gleichzeitig Wärme und Strom. Welcher Brennstoff dabei verwendet wird, ist zunächst zweitrangig.

Erneuerbare Energien

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)

Bauwerke zum Thema

Auf einem vormals brachliegenden, tortenstückförmigen Grundstück im Süden von Graz wurde nach Plänen von Scherr + Fürnschuss Architekten das Brauquartier Puntigam errichtet.

Auf einem vormals brachliegenden, tortenstückförmigen Grundstück im Süden von Graz wurde nach Plänen von Scherr + Fürnschuss Architekten das Brauquartier Puntigam errichtet.

Wohnen/​MFH

Brauquartier Puntigam in Graz

Der bestehende, vielarmige Komplex des Landratsamts Starnberg wurde durch einen Anbau erweitert (im Vordergrund), der architektonisch sowie funktional das bereits Vorhandene aufnimmt und fortsetzt.

Der bestehende, vielarmige Komplex des Landratsamts Starnberg wurde durch einen Anbau erweitert (im Vordergrund), der architektonisch sowie funktional das bereits Vorhandene aufnimmt und fortsetzt.

Büro/​Gewerbe

Erweiterung des Landratsamts Starnberg

Kontakt Redaktion Baunetz Wissen: wissen@baunetz.de
Baunetz Wissen Heizung sponsored by:
Buderus | Bosch Thermotechnik GmbH | Kontakt 06441 418 0 | www.buderus.de