Obdachlosenunterkunft in Frankfurt

Blau schimmernde Stahlschindeln und sägeraue Holzschalung

Im Ostpark in Frankfurt am Main ist ein augenfälliger Neubau für Menschen ohne festen Wohnsitz entstanden, dessen Gestaltung auf einer partizipativen Planung basiert. Rund drei Kilometer von der Innenstadt entfernt, bietet, eingebettet ins dichte Grün, eine blau schimmernde Übernachtungsstätte Platz für zunächst 150 Obdachlose. Hochwertige, robuste Materialien und anspruchsvolle Architektur bilden das schlüssige Konzept. Verantwortlich dafür waren der Darmstädter Architekt und Professor Michel Müller und das von ihm und Jessica Coates betriebene Studio MC.

Verantwortlich für das Konzept war der Darmstädter Architekt Michel Müller mit dem Architekturbüro Studio MC.
Das zweigeschossige Gebäude auf mäandrierendem Grundriss ist ein visueller Anziehungspunkt im Park geworden.
Alle der Öffentlichkeit zugewandten Fassaden schimmern blau bis violett.

Partizipatives Planungsverfahren

Die Planung geht auf einen langjährigen Prozess mit vielen Beteiligten zurück und konnte auch Wünsche und Vorstellungen von Bewohnern berücksichtigen. Im Planungsverfahren, in das neben den Architekten, dem Trägerverein, dem Grünflächenamt und einigen Betroffenen auch die Künstler Heiner Blum und Jan Lotter involviert waren, ging es um Verstetigung und Imagewandel des Standorts. Zuerst hatte man in den 1990er-Jahren hier nur ein Zeltlager eingerichtet, später dann eine Containeranlage, deren unzulängliche Zustände der Investigativjournalist Günter Walraff 2009 aufgedeckt hatte.

Jetzt befindet sich am Rand des Parks zwischen Grün- und südlich angrenzenden Gleisanlagen ein prägnanter, zweigeschossiger Neubau mit Stahlbetonkonstruktion und Flachdach hinter unregelmäßig gefalteter Attikakante. Der mäandrierende Grundriss bildet schmale, begrünte Innenhöfe mit gedeckten Laubengängen und offenen Treppenhäusern. Das Konzept hat sich an den zentralen Leitideen orientiert, die der Projektbeirat 2009 formuliert hatte. Demnach sollte der „Lebensraum o16“ (für Ostparkstraße 16) ein besonderer und guter Ort für Menschen sein, die hier sein und bleiben dürfen, wie sie sind.

Für eine Nacht oder mehrere Jahre

Die Aufenthaltsdauer der Bewohner ist je nach persönlicher Situation verschieden, von einer Nacht bis zu mehreren Jahren. Konzept und Entwurf versuchen, ihnen entsprechend der Leitideen ein Maximum an Normalität und Selbstbestimmung zu gewährleisten. Dazu gehört unter anderem der freie Zugang zu den Zimmern über eigene Chipkarten. Die Einrichtung hat überwiegend Zweibettzimmer, aber auch einige Ein- und wenige Vierbettzimmer. Die Schlafräume sind in ihren Dimensionen minimiert, je zwei Zimmer teilen sich WC und Flur.

Die Raumgrößen wurden gemeinsam mit den beteiligten Künstlern anhand von 1:1-Modellen bestimmt. Bei der Zimmerplanung berücksichtigten die Planenden die Wünsche der Obdachlosen, sodass zur Ausstattung Kühlschränke, Steckdosen in Bettnähe und extra hohe Doppelstockbetten, in denen man aufrecht sitzen kann, zählen. Duschen und Küchen befinden sich auf beiden Etagen, im Erdgeschoss außerdem Empfang, Arzt- und Wartezimmer sowie Räume für Personal und soziale Betreuung.

Fassade: Schillernde Schuppenhaut

Prägnant sind neben dem mäanderförmigen Grundriss auch die darauf abgestimmten Fassaden. Alle inneren und rückwärtig zum Bahndamm ausgerichteten Flächen sind mit einer sägerauen Holzschalung versehen, die eine warme Atmosphäre erzeugen und Geborgenheit ausstrahlen. Dagegen sind bei allen zum Park hin und damit zur Öffentlichkeit orientierten Fassadenflächen vierzig mal vierzig Zentimeter große, auf Raute verlegte Edelstahlschindeln auf die Schalung aufgebracht, die je nach Lichteinfallswinkel kräftig blau bis violett leuchten und zugleich das Blattgrün des Ostparks reflektieren. Ihre schillernde Oberfläche erhalten die Schindeln durch ein spezielles Färbeverfahren des Herstellers. Dabei wird in einem elektrochemischen Prozess eine transparente Chromoxidschicht aufgetragen, die je nach Lichteinfallswinkel die changierenden Farbwirkungen erzeugt.

Die fast quadratischen Zimmerfenster sind gegeneinander etwas in der Höhe versetzt, wodurch der objekthafte, individuelle Charakter des Baus verstärkt wird. Auch dieses Gestaltungselement geht auf Vorschläge von den Nutzern zurück, die in den partizipativen Planungsprozess eingebunden waren. Ihnen war es wichtig, sich auch optisch deutlich vom Eindruck der vorher hier gestapelten Container abzugrenzen. Mit der blauen Spiegelfassade hat sich der Standort vom Stein des Anstoßes zum visuellen Anziehungspunkt gewandelt. Die Übernachtungsstätte ist ein vielleicht sogar an Schmuck erinnerndes Designobjekt geworden, das im Einklang mit den Nutzerbedürfnissen steht.

Bautafel

Architekten: Michel Müller / Studio MC, Darmstadt (Konzept / Entwurf)
HKS Architekten, Erfurt (Ausführungsplanung / Umsetzung)
Projektbeteiligte: Heiner Blum, Offenbach am Main, und Jan Lotter, Frankfurt am Main (künstlerische Beratung); Planungsgruppe Meinrad Schneider, Neu-Isenburg (Landschaftsarchitektur); Ingenieurbüro Wagner Zeitter, Wiesbaden (Tragwerksplanung); B&B Partnerschaft Beratender Ingenieure, Haiger (Gebäudetechnik); Hofmann und Wehner, Frankfurt am Main (Elektrotechnik); Inox-Color, Walldürn (Edelstahlfassade)
Bauherr: Frankfurter Verein für soziale Heimstätten, Frankfurt am Main
Fertigstellung: 2018
Standort: Ostparkstraße 16, 60385 Frankfurt am Main
Bildnachweis: Studio MC, Darmstadt / Jan Lotter, Frankfurt am Main

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Materialien

Metalle

Eine der frühesten Vorhangfassaden aus Stahl und Glas ist die Fassade der Fagus-Werke in Alfeld von Walter Gropius. Die Aufnahme von 1913 zeigt das Gebäude kurz nach Fertigstellung der zweiten Bauphase noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs.

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Materialien

Stahl, Edelstahl, Cortenstahl

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