Neubau des Gemeindezentrums in Großweikersdorf

Ortsmitte unter fünf Satteldächern

Welche Rolle spielen kommunale Bauprojekte für die Stadtentwicklung in ländlichen Räumen? In Großweikersdorf, einer Marktgemeinde im Bezirk Tuln in Niederösterreich, wurde 2020 ein sanierungsbedürftiges Gemeindezentrum durch einen zeitgemäßen Neubau ersetzt. Dieser hält nicht nur genügend Raum für die Verwaltung vor, sondern auch für weitere Nutzungen durch die Einwohnerschaft. Jetzt zeichnet sich eine Wiederbelebung der seit Jahren wenig frequentierten Ortsmitte ab.

Der Neubau folgt nicht der geschlossenen Baulinie am anliegenden Hauptplatz, sondern steht senkrecht dazu. Das eröffnet neue nutzbare Flächen rund um das Gebäude.
Vor dem Eingang des Gebäudes erstreckt sich ein gepflastertes Rechteck bis auf den Hauptplatz.
Rückseitig gibt es einen weiteren Platz, auf dem zu besonderen Anlässen ein Festzelt aufgestellt werden kann.

In den vergangenen Jahrzehnten hatte das Zentrum von Großweikersdorf immer mehr an Attraktivität für die Einwohnerinnen und Einwohner eingebüßt, da Geschäfte und Dienstleister verstärkt in Richtung Ortsrand abwanderten. Um diesen Trend zu stoppen, beabsichtigte die Gemeinde als Bauherrin den Hauptplatz an der Pfarrkirche mit einem Neubau wieder als wichtige Anlaufstelle für die Einwohnerinnen und Einwohner zu etablieren. Anstelle der früheren Fleischerei, die komplett abgerissen wurde, präsentiert sich dort nun ein lichtdurchfluteter Neubau mit einer prägenden Trag- und Dachkonstruktion aus Holz.  

Neu geordneter Bauplatz

Seine einladende Wirkung bezieht das Gebäude unter anderem aus der bewussten Abkehr vom vorhandenen geschlossenen Platz, die das Planungsteam von Smartvoll aus Wien vorschlug. Die anderen drei Architekturbüros, die an der Ausschreibung teilnahmen, entwarfen traufständige, geschlossene Baukörper, die der Baulinie des Platzes folgten. Letztlich überzeugte jedoch der Plan des Büros Smartvoll gerade wegen der Neupositionierung des Gemeindezentrums senkrecht zum Platz.

Durch die geänderte Platzierung entstanden zwei Gassen auf beiden Seiten des Gebäudes, begrenzt von langen Reihen von Mauern und Hauswänden. Diese sollen an die schmalen Wege zwischen den Weinbergen auf den Hügeln um Großweikersdorf erinnern. Vor dem Eingang des Gebäudes erstreckt sich ein gepflastertes Rechteck bis auf den Hauptplatz. Diese Pflasterung soll – wie ein ausgerollter Teppich – die Passantinnen und Passanten ins Innere des neuen Gemeindezentrums sowie in die Gassen einladen, die zu einer Parallelstraße führen. Die Transparenz und Öffnung der Fassade zum Platz hin steht im Kontrast zu den benachbarten, eher geschlossenen Hauseingängen. die die Straße östlich des Platzes säumen. „Der Eingang des Hauses ist eine Fortsetzung des Hauptplatzes – diese einladende Geste verbindet Innen und Außen“, kommentiert der Architekt Christian Kircher.

Vielfach zugänglich

Der Neubau wurden bewusst niedrig gehalten, damit die nahegelegene Kirche das einzige hohe Gebäude in der Ortsmitte bleibt. Er ist als Kette von fünf seitlich zueinander verschobenen Giebelhäuser mit asymmetrischen Satteldächern angelegt. Derart gegliedert ist das Raumprogramm des Gemeindezentrums bereits von außen erkennbar: Die Versprünge der Gebäudesegmente ließen separate Eingänge für ein Vereins- und ein Ärztezentrum entstehen sowie kleine Innenhöfe zwischen dem Gemeindezentrum und den alten Mauern der Nachbargebäude. Sie wurden bereits nach kurzer Zeit zu beliebten Treffpunkten für die Menschen rund um das Gemeindezentrum. Auf der Ostseite gehen die Gassen in einen Hof über, der auch mit dem Auto erreicht werden kann. Im Alltag dient er zum Parken und Spielen, zu besonderen Anlässen bietet er Raum für Aktionen oder ein Festzelt. Außerdem stellten die Baufachleute eine Anbindung an einen bestehenden Gewölbekeller im Untergrund her.

Rathaus mit Plus

Das Innere des Gemeindezentrums erreichen Besucherinnen und Besucher barrierefrei vom Haupteingang aus über einen kurzen Durchgang. Der anschließende, bis unter den First reichende Raum – der Wartebereich – hat fast schon Wohnzimmercharakter. Von dort aus führt eine große tribünenartige Treppe in das offene Obergeschoss. Dort befindet sich ein multifunktionaler Raum, der über dem Vereinsheim liegt und unter anderem als Sitzungssaal für die Kommunalpolitik genutzt wird. Großzügige Glasflächen öffnen die Büroräume und den Pausenraum im Erdgeschoss nach außen. Auf dieser Ebene befindet sich ebenfalls das Büro des Bürgermeisters. Seine Tür steht immer offen für alle, möchte die Gemeindeverwaltung damit signalisieren.

Im mittleren Bereich des Neubaus befindet sich das Vereinshaus, welches das von allen Menschen in Großweikersdorf angemietet werden kann. Um die lokale Gastronomie zu fördern, verzichtete die Gemeinde auf eine Küche. Das Catering sollen vielmehr nahe gelegene Restaurants liefern. Das Ärztezentrum als dritter Bereich des Neubaus wird über den Platz auf der Rückseite des Gebäudes erschlossen. Auch hier sind die Räume visuell mit dem Außenbereich verbunden.

Dach: asymmetrische Sparrendächer mit automatisierten Dachfenstern

Bei den gegeneinander versetzten Satteldächern handelt es sich um fünf einzelne, asymmetrische Sparrendächer. Das Dach des Gebäudes sowie die Verkleidungen sind aus Holz: Für die innere wählte man Fichte, für sie äußere Lärche.

Sowohl die Kühlung als auch die Heizung des Gemeindezentrums läuft über eine Wasserwärmepumpe. Für optimale Belüftung in den heißen Sommermonaten sorgt zudem eine doppelte Reihe von Dachflächenfenstern. Aufgrund dieser Funktion sowie ihrer hochgelegenen Position sind sie automatisiert. Alle anderen Fenster und die Balkontüren, die jedes der Büros mit dem Hinterhof verbinden, werden hingegen manuell bedient. Neben der Belüftung des Gebäudekomplexes sorgen die vielen Dachfenster für unterschiedliche Ausblicke – so etwa auf die Uhr des Kirchturms – und für ein interessantes Lichtspiel, bei dem sich die Atmosphäre im Gebäude im Tagesverlauf ändert. Für die Lichtplanung griffen die Architekten auf computergenerierte 3-D-Modelle am Bildschirm zurück, sodass sie geplante Effekte präzise umsetzen konnten.

Architekten: Smartvoll, Philipp Buxbaum & Christian Kircher, Wien; Zimmermann: Lieb Bau Weiz; Dachdecker/Sprengler: Seyfried-Jecho KG; Fenster: Velux; Bauherrschaft: Gemeinde Großweikersdorf

Fachwissen zum Thema

Dampfbremse über den Sparren; Ausführung als belüftete/nicht belüftete Konstruktion

Dampfbremse über den Sparren; Ausführung als belüftete/nicht belüftete Konstruktion

Bauschäden

Öffnungen in der Dachkonstruktion

Satteldach

Dachformen

Satteldach