Museum Grimmwelt in Kassel

Begehbare Festung

Unweit der Karlsaue erhebt sich der terrassierte Steilhang des Kasseler Weinbergs, seit 2015 gekrönt durch das Museum Grimmwelt. In diesem Ausstellungsgebäude wird das Lebenswerk der Brüder Grimm präsentiert, die im frühen 19. Jahrhundert rund 30 Jahre in der nordhessischen Stadt verbrachten. Realisiert nach Plänen des Aachener Büros Kadawittfeldarchitektur, gleicht das Bauwerk inmitten der denkmalgeschützten Parklandschaft einer Festung. Gemeinsam mit dem nahen Grimm-Denkmal und einer eigenen Grimm-Abteilung des Hessischen Landesmuseums ist es zentraler Bestandteil eines städtebaulichen Gesamtkonzeptes. Der breite, ebenfalls terrassierte Museumsbau ist über einen äußeren Treppenaufgang an der Südseite vollständig begehbar und fügt sich gut in den Hang, der durch historische Mauerfragmente gegliedert wird. Die tragende Struktur aus Stahl und Beton ist umhüllt von hellem Kalkstein (Gauinger Travertin), dessen horizontale Schichtung die massive Wirkung betont. Der Weinberg selbst ist Teil einer Muschelkalk-Verwerfung des Kasseler Beckens – so scheint sich der Baukörper als Skulptur aus der umgebenden Topografie zu entwickeln.

Annäherung von Süden: Blick vom Park auf das Museum
Die Treppe ist zentrales Entwurfsmotiv der Grimmwelt
Aufgang zur Dachterrasse und Glasfront des Cafés

Das Museum lädt mit seiner großzügigen Treppenlandschaft zum Begehen und Verweilen ein. Das Treppenmotiv durchzieht den gesamten Entwurf: Die südliche Außentreppe verjüngt sich leicht nach oben und führt zehn Meter hinauf zum begehbaren Flachdach, das mit ausgedehnten Abstufungen sanft ansteigt und als Terrasse für öffentliche Veranstaltungen genutzt wird. Auch von Ferne ist das Stufenmotiv an den steinernen Brüstungen und der Attika ablesbar.

Der Haupteingang befindet sich an der Nordseite zur Weinbergstraße hin. Die Besucher gelangen in ein Foyer mit Kasse, Museumsshop und Wartezone, das in einem hellen Café an der Südseite mündet. Dort eröffnen große Verglasungen den Panoramablick in die Landschaft; eine gewölbte Decke bildet den darüber liegenden Treppenaufgang nach. Die Decken und Wände der Eingangsebene sind mit schmalen langen Holzleisten (Weißeiche) bekleidet, die den Innenraum optisch ausdehnen. Zwischen Kasse und Café wird der sogenannte Auftaktraum erschlossen: hier beginnt die Ausstellung, die als Split-Level organisiert ist. Damit wird der Duktus der terrassierten Landschaft fortgesetzt und es entstehen Sichtbezüge zwischen den unterschiedlichen Zonen. Die hohen weißen Wände des Auftaktraums, der eine obere und zwei tiefer liegende Ausstellungsebenen erschließt, dienen als Projektionsfläche. Sämtliche Böden sind einheitlich mit hellem Terrazzo belegt.

Flachdach

Die Treppe ist zentrales Entwurfsmotiv und formt das Gebäude – so auch die Dachterrasse, deren massive Blockstufen aus Naturstein gleichmäßig nach oben führen. Auf den Stufen sind an manchen Stellen Holzlamellen als Sitzbänke befestigt, die einen wunderbaren Ausblick über die Karlsaue und die Südstadt ermöglichen.

Die tragende Dachkonstruktion besteht aus Stahlbeton, teilweise als Ortbeton-Flachdecken und teilweise als vorgespannte Stahlbeton Pi-Platten. Die Hauptdachflächen sind als Umkehrdach mit 2,5%igem Gefälle ausgeführt. Auf der Tragkonstruktion wurde eine bituminöse Abdichtung aufgebracht. Die trittfeste XPS-Dämmung oberhalb der Abdichtungsebene ist mit einem Vlies abgedeckt, sodass der Hauptteil des anfallenden Regenwassers in der Drainageebene oberhalb der Dämmung zu den Flachdacheinläufen abgeleitet wird. Dies erlaubt den Entfall des sonst nach EnEV erforderlichen U-Wert-Zuschlags für Umkehrdächer. Der Plattenbelag ist der gleiche Naturstein (Gauinger Travertin) mit dem die Fassade bekleidet ist. Auf der Dachterrasse wurden zwei unterschiedlich breite Bahnen im Splittbett verlegt und mit natürlich gebundenem Fugensand farbig angepasst. Das Oberflächenwasser wird direkt über eine Kastenrinne abgeführt, deren Abdeckung ebenfalls aus Naturstein besteht, sich also harmonisch in den Dach- bzw. Bodenbelag einfügt.

Bautafel

Architekt: Kadawittfeldarchitektur, Aachen
Projektbeteiligte: DU Diederichs Projektmanagement, Wuppertal (Projektsteuerung); Bollinger + Grohmann, Frankfurt a. M. (Tragwerksplanung); Hürlimann + Lepp, Zürich (Ausstellungskonzeption); Holzer Kobler Architekturen, Zürich (Ausstellungsarchitektur); Atelier 30 Architekten, Kassel (Bauleitung); Tohr Bauphysik, Bergisch-Gladbach (Bauphysik); Lichtvision Design & Engineering, Berlin (Lichtplanung)
Bauherr: documenta-Stadt Kassel
Fertigstellung: 2015
Standort: Weinbergstraße 25, 34117 Kassel
Bildnachweis: Jan Bitter, Berlin und Andreas Horsky, Aachen

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