Müllheizkraftwerk in Bozen

Erste thermische Müllverwertungsanlage in Südtirol

Wohin nur mit dem Abfall aus den Südtiroler Gemeinden? Vor dieser Frage stand die Regierung der italienischen Provinz Anfang des 21. Jahrhunderts, als sich die bestehende Müllverbrennungsanlage von 1988 als stark veraltet erwies und noch dazu kaum mehr Kapazitäten besaß, um genügend Abfall zu verwerten. Daraufhin entschied sie sich für einen zeitgemäßen, effizienten Neubau, der so dimensioniert ist, dass der Müll aus allen 116 Gemeinden verarbeitet werden kann. Über zehn Jahre gingen ins Land, bis er realisiert wurde und damit das erste thermische Müllheizkraftwerk Südtirols fertiggestellt war. Es verbrennt jährlich bis zu 130.000 Tonnen Müll, erzeugt dabei Wärme und wandelt diese zum Teil in Strom um. Geplant wurde die Anlage mit ihrer leicht dekonstruktivistischen Formensprache vom ortsansässigen Architekturbüro von Claudio Lucchin.

Rückseite: Mit einer leicht dekonstruktivistischen Formensprache hebt sich das Müllheizkraftwerk deutlich von anderen Bauten seiner Art ab (Südansicht)
Die einzelnen Baukörper haben unterschiedliche, meist schräge Formen und sind aus verschiedenen Materialien (Nordostansicht)
Blick in die Anlieferungshalle mit den sieben Müllbunkertoren

Ziel der Planer war es, dem Gebäude eine Form zu geben, die nicht sofort Assoziationen mit der sonst so typischen Architektur großer gesichtsloser blechverkleideter Industriegebäude weckt – vielmehr soll das Kraftwerk mit seiner Umwelt korrespondieren. Sie platzierten es am südlichen Ortsrand zwischen der Autobahn A 22 und dem Fluss Eisack – gleich neben dem alten Kraftwerk. Der Neubau umfasst eine Bruttogeschossfläche von knapp 25.000 m² und setzt sich im Wesentlichen aus sechs verschiedenen Baukörpern zusammen. Sie sind so angeordnet, dass im Zentrum der Anlage ein kleiner Hof entsteht.

Erste Station der Müllfahrzeuge ist die Anlieferungshalle mit einer Hülle aus leuchtend grünen Polycarbonat-Platten; ihre Nordfassade ist leicht abgeschrägt. Über sieben hohe Tore geht es weiter in einen großen Sichtbetonquader (= Müllbunker), in dem u.a. der angelieferte Müll und die anfallende Asche gesammelt werden. An dessen breiter Rückseite dockt ein gewaltiger, leicht geneigter Block mit Schornstein an, in dem der Verbrennungsofen untergebracht ist. Unzählige sehr kleine, gleichmäßig angeordnete Fenster im liegenden Format lockern seine quer profilierte mintgrüne Fassade auf, die nach Süden hin schräg geneigt ist. An seiner Ostseite sind ein wesentlich niedrigeres, kleines, hell verputztes Gebäude und ein schmaler, aufgeständerter Riegel mit grüner längsgeriffelter Fassade platziert. Die beiden beherbergen die Turbinen und Transformatoren für den Wärmekreislauf und werden von außen optisch durch eine transluzente Wand aus Lochblechen gefasst, die als Sicht- und Schallschutz dient. Der sechste Baukörper ist das fünfgeschossige, gläserne Bürogebäude mit schräg geneigter Nordfassade. Es schließt an das Turbinengebäude an und schafft gleichzeitig eine Verbindung zum Müllbunker.

Gebäudetechnik
Die Anlage besteht aus einer kompletten Müllverbrennungslinie. Zunächst wird der Abfall in der Halle angeliefert und über eines der sieben Müllbunkertore in den Bunker geworfen. Dieser ist so bemessen, dass er im gefüllten Zustand den gesamten Anlagenbetrieb ungefähr eine Woche ohne erneute Anlieferung aufrechterhalten kann. Um Gerüche im Bunker und der Halle zu vermeiden, herrscht hier ein permanenter Unterdruck. Dieser entsteht durch das Absaugen von Luft, die für den Verbrennungsprozess benötigt wird. Sollte die Anlage einmal nicht betrieben werden, beispielsweise im Falle einer Wartung oder bei Betriebsstörungen, so verdichtet die Ballenpresse den Müll und verpackt diesen luftdicht. Danach werden die Ballen vorübergehend auf der Westseite des Gebäudes zwischengelagert.

Vom Bunker gelangt der Müll mit einem voll automatisierten Kran in den Aufgabetrichter des Verbrennungsofens. Anschließend geht es über eine wassergekühlte Schurre und einen Beschicker auf den Verbrennungsrost. Ebenfalls zum Verbrennungssystem gehören der Feuerraum und der nachgeschaltete Horizontalkessel für die Erzeugung von 400°C heißem Dampf mit einem Druck von 40 bar. Feste Rückstände aus der Verbrennung, die sogenannte Schlacke, werden über den mit Wasser gefüllten Stößelentschlacker abgekühlt und in den offenen Schlackebunker befördert. Von hier wird die abgekühlte Schlacke aus dem Bunker mit einem Kran auf Lastfahrzeuge zur Entsorgung auf Deponien außerhalb der Anlage transportiert.

Anschließend werden die bei der Verbrennung entstehenden Rauchgase gereinigt, bevor sie über den Schornstein in die Atmosphäre entschwinden. Dies funktioniert wie folgt: Die Gase verlassen den Kessel mit einer Temperatur von 200°C und werden zunächst heruntergekühlt. Danach durchströmen sie zwei Gewebefiltereinheiten. Durch das Zugeben von Kalkhydrat, Aktivkohle und Natriumkarbonat werden u.a. Salzsäure, Schwefeldioxid, Schwermetalle und Dioxine aus den Rauchgasen ausgeschieden. Feste Reststoffe, wie Flugasche oder andere Reaktionsprodukte bleiben in den Filtern hängen, werden anschließend entfernt, in zwei Silos zwischengelagert und ebenfalls von Lkws abtransportiert.

Im letzten Schritt werden die Rauchgase auf die optimale Betriebstemperatur für die Entstickung erwärmt und zum Abbau von Stickoxiden durch den Katalysator geführt. Dieser besteht aus modularen, wabenförmigen Elementen aus porösem keramischen Material. Ihm ist ein Saugzug nachgeschaltet, der während des gesamten Verbrennungsvorgangs für permanenten Unterdruck sorgt und so die gereinigten Rauchgase durch den Schornstein in die Atmosphäre abführt. Die Prozesssteuerung misst permanent die Schadstoffkonzentration der Rauchgase und zeichnet sie auf.

Nach der Entstickung wird die aus den Rauchgasen zurückgewonnene Energie an das Fernwärmenetz der Stadt Bozen abgegeben. Pro Jahr sind dies 260.000 MWh Wärme, mit denen sich rund 10.000 Haushalte versorgen lassen. Zudem entsteht bei der Verbrennung überhitzter Hochdruckdampf, den eine Kondensationsturbine in elektrische Energie umwandelt. Der so erzeugte Strom deckt den Eigenbedarf des Kraftwerks. Überschüssige Energie wird ins öffentliche Netz eingespeist. Dies sind jährlich in etwa 82.000 MWh Strom, mit denen die Versorgung von etwa 20.000 Haushalten sichergestellt wird. -kt

Bautafel

Architekten: Cleaa – Claudio Lucchin & architetti associati, Bozen
Projektbeteiligte: Atzwanger, Bozen (Planer Haustechnik); Hafner, Bozen (Müllverbrennungsanlage); Ladurner, Laas (Schlosserei); Stahlbau Pichler, Bozen (Stahlbau); Wipptaler Bau, Sterzing (Beton)
Bauherr: Stadt Bozen
Fertigstellung: 2013
Standort: An der A 22 in Bozen
Bildnachweis: Alessandra Chemollo, Venedig und Marco Ferrarin

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