Mehrfamilienhaus in Deitingen

Dorfbau in Holz und Beton

Selten sehen sich Architektinnen und Architekten mit der Aufgabe konfrontiert, mit einem Projekt die eigene Nachbarschaft zu gestalten. Diese Herausforderung nahmen Lukas und Nadja Frei mit ihrem Büro Luna Productions im schweizerischen Ort Deitingen an, als sie von der ortsansässigen Schreinerei mit der Planung eines Mehrfamilienhauses beauftragt wurden. Die Planungsaufgabe lösten das Planerteam aus der Überzeugung heraus, dass Architektur sich verstärkt mit Dorfbau befassen müsse, statt nur mit Städtebau.

Durch die Bauweise über Eck wird ein Hof definiert.
Die rückwärtige Fassade ist einem Garten mit Bachlauf zugewandt.
Ein alter Kirschbaum musste dem Neubau weichen, wurde aber als Stütze wiederverwendet.

Ganzheitliche Dorfplanung

Demnach fehle es dem ländlichen Raum an Raumplanung. Eine Auseinandersetzung mit dem Ort sowie den regionalen Bautraditionen bleibe meistens aus, sodass in ländlichen Gebieten zunehmend wirtschaftlich orientierte Architektur existiere. Oft liege der Betrachtungsperimeter beim Bauprojekt nur auf der eigenen Parzelle, während das Nebenan, der Straßenraum und die Qualitäten des Quartiers kaum berücksichtigt werden. Neben dorfplanerischen Aspekten galt es, die Wünsche der Bauherrschaft zu berücksichtigen. So sollte der vorhandene Baumbestand weitgehend erhalten bleiben, zudem sollten die Holzbauarbeiten zum größten Teil vom eigenen Schreinereibetrieb übernommen werden.

Aufgebrochen und abgewinkelt

Unter Berücksichtigung der Grundstücksproportionen entstanden auf einem Betonfundament zwei Holzquader mit gemeinsamem Satteldach mit einer Bruttogeschossfläche von 435 m². Die Quader sind mit einspringender Ecke abgewinkelt zueinander angeordnet, wobei der Zwischenraum die Eingangsbereiche bildet. Durch das Aufbrechen und Abwinkeln des Volumens entstehen Räume und Proportionen, die der kleinteiligen Umgebung entsprechen.

Über die Straße hinweg definiert der Neubau mit der gegenüberliegenden Schreinerei und den benachbarten Wohnbauten einen gemeinsamen Hof. Dieser ist als Begegnungsraum für die ganze Nachbarschaft konzipiert. Von der Straße abgekehrt entstand zudem ein privater Garten am Bach mit Terrasse und Blick in die Natur. Die Trennung in zwei Volumen bewirkt, dass die Bewohner trotz der hohen Dichte jeweils ein eigenes Geschoss für sich haben. Neben zwei Wohnungen mit fünf Zimmern verfügt der Neubau über zwei weitere Wohnungen mit zweieinhalb Zimmern.

Holz und andere heimische Rohstoffe
Die mit Kalksandstein gemauerten Außenwände sind mit sägerauer Fichte verkleidet. Die Holzfassade wird sich durch natürliche Alterung im Laufe der Zeit immer mehr in die durchgrünte Umgebung einfügen. Der Stamm eines Kirschbaums, der dem neuen Haus weichen musste, wurde wenige Meter weiter als Stütze für das Dach wiedererrichtet. Für den Verlust des einen konnten zwei neue Kirschbäume durch Verpflanzen in die neue Umgebung integriert werden.

Die Wände im offenen Erschließungsbereich sind zweischalig mit einer äußeren Schicht aus rohem Beton konstruiert. Diese gewährt als aussteifendes Element die Erdbebensicherheit und übernimmt die hohen Anforderungen an Akustik und Brandschutz. Die nichttragenden Trennwände im Gebäueinnern wurden als Holzständerkonstruktion ausgeführt, um Anpassungsfähigkeit für zukünftige Nutzungsbedürfnisse zu gewährleisten. Dabei verwendete man Materialien, die – wann immer es möglich war – roh verbaut oder mit schadstoffarmen Anstrichen versehen wurden. Außerdem setzte man auf Holz aus der Schweiz und andere heimische Rohstoffe.

Im Zentrum der Wohnungen liegen jeweils gen Süden orientierte Essbereiche, um die sich alle anderen Zimmer ordnen. Materialien in ihrer rohen Form bestimmen den Innenausbau. Mit der unbewehrten, dampfdiffusionsoffenen Konstruktion konnten im Wohnbereich hohe Ansprüche an das Wohnklima erfüllt werden.

Satteldach mit halboffenem Dachstuhl

„Ziel ist es eine sinnliche, zurückhaltende Architektur zu erzeugen, die das Nebenan kritisch hinterfragt, es jedoch zulässt und mit diesem ein gemeinsames Ganzes bildet“, so die Architekten über ihr Projekt. Diesen Ansatz verkörpert nicht zuletzt das Dach: Als ländliche Dachform schlechthin fügt sich das Satteldach mit ziegelroter Deckung nahtlos ein in den dörflichen Kontext. Einen eigenen Weg geht es an der Schnittstelle zwischen den beiden Gebäudeflügeln. Hier geben die einspringenden Ecken der Baukörper den Blick auf den Dachstuhl frei, der durch den farblichen Kontrast zu den nackten Betonwänden hervorgehoben wird.

Dachaufbau (von außen nach innen):

- Muldenschiebeziegel naturrot
- Ziegellattung 30/50 (30 mm)
- Konterlattung 45/50 (45 mm)
- Diffusionsoffene Unterdeckplatte aus Holzfaser (35 mm)
- Sparrenlage 18/14 (180 mm)
- Zwischensparrendämmung Steinwolle
- Lattung 80/50 mit Steinwolle (80 mm)
- Dampfbremse
- Installationsraum 80/50 (80 mm)           
- Deckenverkleidung (Täfer) Fichte (20 mm)           
- Nut- und Kamm Profil mit Stumpffalz

Mit dem Wohnhaus erreichte das junge Büro den dritten Platz des Förderpreises für Schweizer Jungarchitekten 2019.

Bautafel

Architekten: Luna Productions, Deitingen (Nadja und Lukas Frei)
Projektbeteiligte: spi Planer und Ingenieure, Derendingen (Fachplaner); Studer Gebäudetechnik, Feldbrunnen (Gebäudetechnik); Bernasconi Bau, Luterbach (Baumeister); Schärli Holzbau, Wangenried (Zimmermann); Schreinerei Gebr. Frei, Deitingen (Schreiner); Flury Emch Gartenbau (Gärterarbeiten), Deitingen
Bauherrschaft:
privat
Standort:
Hofuhrenstrasse 12, 4543 Deitingen, Schweiz
Fertigstellung: 2018
Bildnachweis: Mark Drotsky, Aarwangen

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