Mädchenschule in Masar-i-Scharif

Zweischalige Außenwand aus handgefertigten Ziegelsteinen zur Klimaregulierung

Masar-i-Scharif gilt als bedeutendster Wallfahrtsort Afghanistans; ein Cousin Mohammeds soll hier seine Grabstätte haben. Offiziell gibt es in der islamischen Republik seit dem Sturz des Taliban-Regimes für alle Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren eine Schulpflicht – es müsste also jeder junge Mensch inzwischen lesen und schreiben können. Tatsächlich beträgt die Alphabetisierungsrate nach Angaben der Kindernothilfe bei Frauen gerade einmal 12 Prozent. Gute Gründe also, im Zentrum der 270.000 Einwohner-Stadt eine Schule nur für Mädchen zu bauen. Realisiert von einem internationalen Team aus Afghanistan, dem Iran und der USA und unter der Leitung des staatlichen Bildungsministeriums der Provinz Balch entstand 2015 ein Schulneubau für 3.000 Schülerinnen. Die Finanzierung übernahmen zwei US-amerikanische Non-Profit-Organisationen: Sahar Education International und die Janet W. Ketcham Foundation. Der Entwurf für das Schulgebäude stammt von dem Architekten Robert Hull, der als Professor an der Universität Washington lehrt. Elizabeth Golden überwachte die Arbeiten vor Ort.

In Afghanistan gilt für alle Kinder zwischen 7 und 13 Jahren eine Schulpflicht; tatsächlich beträgt die Alphabetisierungsrate bei Frauen nur 12 Prozent
Die Finanzierung der Mädchenschule übernahmen zwei US-amerikanische Non-Profit-Organisationen: Sahar Education International und die Janet W. Ketcham Foundation
Für die Mädchen ist die Schule oft der einzige Ort, um sich außerhalb der Familien zu treffen und soziale Verbindungen zu knüpfen

Der Neubau ersetzt einen in die Jahre gekommenen und maroden älteren Schulbau. Ein eingeschossiger Gebäuderiegel entlang der nördlichen Grundstücksgrenze schirmt die Schule zur Nachbarschaft ab. Er beherbergt das Büro des Hausmeisters, das Lehrerzimmer, drei Klassenräume und die Sanitärräume. Nur das farbige Haupttor an der Nordwestecke in der Verlängerung der Straße weist darauf hin, dass sich hier die Gohar Khatoon-Mädchenschule befindet. Der abgeschirmte Eingangshof dahinter dient gleichzeitig auch als Pausenhof.

Parallel zum nördlichen Gebäuderiegel steht das zweigeschossige Haupthaus, ein in drei Baukörper gegliedertes Volumen, zwischen denen hindurch der ganz im Süden angelegte Schulhof mit dem Eingangshof lose verbunden ist. Die drei Schulgebäude sind identisch aufgebaut mit vier Klassenzimmern pro Geschoss und einer zentralen Treppe. Im Obergeschoss wird durch offene Brücken eine Querverbindung geschaffen.

Die zahlreichen Freiflächen mit niedrigen Umfassungsmauern zum Sitzen und Schatten spendenden Bäumen bieten den Schülerinnen die Möglichkeit, sich vor Blicken geschützt an der frischen Luft zu bewegen, sportlich zu betätigen und miteinander auszutauschen und zu unterhalten. Für Mädchen und Frauen ist die Schule oft der einzige Ort, um sich außerhalb der Familien zu treffen und soziale Verbindungen zu knüpfen. Teil des Lehrplans sind auch praktische Fragen der Selbstversorgung durch den Anbau von Nutzpflanzen. Hierzu sind auf dem Schulgelände Obstbäume und Gemüsebeete angelegt worden, die von den Schülerinnen betreut und gepflegt werden. Zur Bewässerung kommt Grauwasser zum Einsatz, das in einer Zisterne im Sanitärgebäude gesammelt und biologisch geklärt wird.

Mauerwerk
Die Stadt Masar-i-Scharif gilt wie große Teile Afghanistans als erdbebengefährdet. Die Architekten entschieden sich darum für eine Stahlbetonskelett-Konstruktion mit einer vorgesetzten zweischaligen Außenwand aus Ziegelsteinmauerwerk.

Die Mauersteine wurden vor Ort in Handarbeit hergestellt, in einem Schnellbrandofen zu Ziegeln mit Abmessungen von 22 x 11 x 6 cm (l x b x h) gebrannt und anschließend entsprechend ihrer Qualität sortiert. Die Ziegelsteine schlechterer Güte wurden für das Hintermauerwerk der zweischaligen Außenwand verwendet, während die besserer Qualität und mit intakter glatter Oberfläche als außen liegendes Sichtmauerwerk zum Einsatz kommen. Das Hintermauerwerk wurde aus zwei Schichten im Kreuzverband gemauert und über Mauerwerksanker konstruktiv mit dem Stahlbetonskelett verbunden. Ohne Luftschicht ist die 11 cm starke Vormauerschale direkt davor erstellt und über Drahtanker fixiert. Die Fensterstürze wurden aus bewehrtem Beton hergestellt.

Da die Stromversorgung in Afghanistan instabil ist und im Winter das Heizmaterial knapp werden kann, waren die Architekten bestrebt, eine den örtlichen Begebenheiten und dem Klima angemessene nachhaltige Bauweise zu entwickeln. Die bis zu 49 cm starken Außenwänden aus Ziegelmauerwerk fungieren als träge thermische Masse, die verhindert, dass sich die Klassenräume in den heißen Sommermonaten zu stark aufheizen und in den Wintermonaten schnell auskühlen. Zusammen mit den Treppenhäusern als klimatische Pufferzonen und dem Lüftungskonzept aus Quer- und Stoßlüftung (inklusive perforiertem Mauerwerk, siehe Abb. 17) wird mit einfachen Mitteln ein angenehmes Raumklima erzeugt.

Bautafel

Architekt: Robert Hull (University of Washington), Seattle, USA
Projektbeteiligte: Elizabeth Golden/Yasaman Esmaili/Christopher Garland/David Miller, Seattle (Projektteam); Bryan Brooks/Marcus Crider/Grace Crofoot/Sarah Eddy/Yasaman Esmaili/Christopher Garland/Mariam Kamara/Michelle Kang/Kevin Lang/Carolyn Lacompte/Benjamin Maestas/Jaclyn Merlet/Holly Schwarz/Mazohra Thami/Andrew Thies/Mackenzie Waller/Patricia Wilhelm, Seattle (Forschungsteam); Solaiman Salahi (Tragwerksplanung); Michael Gilbride, Seattle (Tageslichtplanung); Allan Montpellier (Lüftung); Jack Hunter (Metallarbeiten); Jason Simmons, Afghanistan American Friendship Foundation; Sayed Ali Mortazavy, Hussain Ahmady, Farkhonda Rajaby, Airokhsh Faiz Qaisary (Bauausführung)
Bauherr: Bildungsministerium Balch, Afghanistan mit der Janet W. Ketcham Foundation und Sahar Education International, beide Seattle, USA
Fertigstellung: 2015
Standort:
Masar-i-Scharif, Afghanistan
Bildnachweis: Nic Lehoux, Vancouver, Kanada; Farkhonda Rajaby, Sahar Education International

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