Konzerthaus Foro Boca bei Veracruz

Betonmonolith mit Holzverkleidung und Deckensegeln im Inneren

Außergewöhnliche Opernbauten direkt am Wasser gibt es nicht nur in Sydney, Oslo und Hamburg, sondern auch in Boca del Rio, einem südlichen Vorort der mexikanischen Hafenstadt Veracruz. In die prominente Aufstellung kann sich das markante Konzerthaus Foro Boca durchaus einreihen. Es entstand nach Plänen von Rojkind Arquitectos und ruht in exponierter Lage an der Flussmündung des Río Jamapa in den Golf von Mexiko.

Die Musik- und Kulturstätte bietet 5.410 Quadratmeter Fläche und ist der Auftakt für die infrastrukturelle Verbesserung des Ortes
Die Außenanlagen waren Bestandteil der Planung des „Wellenbrechers", der Vorplatz geht in die Mole über und neben Konzertbesuchern tummeln sich Flaneure, Skater oder Angler rund ums Kulturzentrum
Entworfen haben den markanten Betonmonolithen Rojkind Arquitectos aus Mexico City

Der massive Stahlbetonmonolith scheint aus vielen neben- und übereinander gewürfelten Quadern und Polyedern zusammengesetzt zu sein. Die wie zufällig angeordneten Volumen auf unregelmäßigem Grundriss haben unterschiedliche Höhen, kragen aus und zeigen sich mit rauer, diagonal strukturierter Sichtbetonoberfläche, die aus einer Schalung mit Bretterbeplanung resultiert. Als Inspiration dienten den Planern die im englischen Riprap genannten Gesteins- und Betonbrocken, die Küsten und Ufer vor Wellen und Erosion schützen. Passend trägt der 5.410 Quadratmeter große Neubau den Kosenamen „Wellenbrecher".

Das Konzerthaus ist als baulicher Auftakt für die Modernisierung und infrastrukturelle Verbesserung von Boca del Rio konzipiert. Das Viertel soll nach einem Masterplan revitalisiert werden; das Foro Boca durch seine Lage als Gelenk zwischen Innenstadt und Küstenstraße fungieren. Aus diesem Grund waren die Außenanlagen Bestandteil der Planung. Michel Rojkind und sein Team platzierten den Neubau auf einem weiten Vorplatz, der zum Eingang im Süden leitet und im Osten in eine ins Meer ragende Mole übergeht. So tummeln sich hier nicht nur Musiker und Konzertbesucher, sondern auch Flaneure, Skater, Trial Biker oder Angler. Abends bieten Projektoren zudem die Möglichkeit, Veranstaltungen auf die Fassade zu übertragen, was den öffentlichen Raum auch bei Dunkelheit belebt. Ein weit auskragender Quader im Südwesten bildet ein weites Dach und leitet zum Besuchereingang.

Ebenso imposant wie die äußere Erscheinung ist auch das verschachtelte Innere des Gebäudes. Auch hier sind die Oberflächen aus Sichtbeton, auch hier wurde durch eine leicht versetzte Bretterschalung eine diagonale, dreidimensionale Struktur erzeugt. Herzstück ist der große Konzertsaal für klassische, traditionelle und zeitgenössische Musik mit 966 Plätzen, der auch für Theater-, Tanz- und Filmvorführungen ausgelegt ist. Ein zweiter kleiner Saal bietet 150 Besuchern Platz und wird hauptsächlich für Kammerkonzerte und Proben des erst 2014 formierten „Orquesta Filarmónica Boca del Rio" genutzt. 

Den öffentlichen Bereich des Gebäudes nimmt ein über drei Geschosse reichendes Foyer ein. Treppen und Galerien erschließen auf mehreren Ebenen den großen Saal sowie die Cafeteria, eine Bar und die Dachterrasse, die eine weite Aussicht über den Fluss und das Meer bietet. Zudem gibt es einen Dachgarten auf der ersten Ebene. In den Luftraum des Foyers hineinragende Podien bieten zusätzliche Foren für Konzerte und Aufführungen. Daneben beherbergt das Haus diverse Probe- und Garderobenräume für die Musiker, ein Aufnahmestudio, eine Musikbibliothek und Büros. Das vielfältige Raumangebot bietet darüber hinaus Platz für Workshops und Kurse. Kinder aus sozial benachteiligten Familien können im Rahmen des Förderprogramms „Orquestrando Armonia" ein Instrument oder das Chorsingen erlernen.

Akustik

Bei der Innenraumgestaltung und technischen Ausstattung waren zahlreiche Fachplaner für Akustik, Aufführungs- und Bühnentechnik beteiligt. Im zentralen Foyer mit den Betonwänden und einem ebenfalls schallharten, teilweise aus Natursteinplatten bestehenden Bodenbelag, wurden funktionelle Maßnahmen mit gestalterischen eng verwoben. Die Decken blieben stellenweise unverkleidet; in Teilbereichen wurden sie mit weißem Akustikputz versehen. Geländer und Brüstungen sind aus Holz gefertigt. Sie dienen nicht nur der Absturzsicherung, sondern sind auch als mikroporöse Schallabsorber akustisch wirksam. Mit Holz wurden partiell auch die Betonwände verkleidet. Aus feinen Leisten zusammengesetzt, sind dahinter Akustikvliese angeordnet. Die Holzelemente verkürzen die Nachhallzeiten und sorgen für eine insgesamt hohe Aufenthaltsqualität. Das verwendete Parotaholz stammt von einem im nördlichen Teil von Südamerika wachsenden Baum.

Im Konzertsaal war eine Mischung aus Resonatoren und Absorbern erforderlich, um den unterschiedlichen akustischen Anforderungen von Konzerten und Theateraufführungen gerecht zu werden. Die Rück- und Seitenwände der Bühne sind geneigt und mit Holz verschalt, auch der Bodenbelag des Podiums besteht aus Holz. Darüber schwebt ein vierfach geschwungenes hölzernes Deckensegel mit integrierter Beleuchtung. Für die gute Akustik im Saal sind zudem die hölzernen Wandverkleidungen und Brüstungen verantwortlich. Die ansteigenden Ränge verteilen sich auf das Parkett und die Emporen. Auf den Stufen und Gängen zwischen den Stuhlreihen liegt schalldämpfender Teppichboden. Die textilen Bezüge der Bestuhlung wirken ebenfalls als Schallabsorber, auch dann, wenn nicht alle Plätze besetzt sind. Ihre verschiedenen Grautöne nehmen die Farbe der Betonoberflächen auf und harmonieren mit den Holzeinbauten. -jb

Bautafel

Architekten: Rojkind Arquitectos, Mexico City
Projektbeteiligte: EMRSA, Mexico City (Tragwerksplanung); Ingeniería y Desarrollo Arquitectónico, Veracruz (Bauunternehmer); Gralte, Mexico City (TGA-Planung); Artec3, Mexico City (Lichtplanung); Auerbach Poolock Friedlönder, (Bühnenplanung); Octavio Barragán/Christian Ezcurdia/Hugo Garduno (Akustikplanung);
Bauherr: Gemeinde Boca del Rio
Fertigstellung: 2017
Standort:
Boulevard Vicente Fox Quesada, Pescadores, Boca del Rio, Veracruz / Mexiko
Bildnachweis: © Iker Gill, Jaime Navarro, Paul Rivera, Ricardo del Rio Santiesteban / all courtesy of Rojkind Arquitectos

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