Hermetosphären und Biosphären

Klimahülle: Wardscher Kasten, Flaschengarten, geodätische Kuppel

Der britische Arzt und Botaniker Nathaniel Bagshaw Ward (1791-1868) entdeckte eher zufällig die Methode zur Schaffung künstlicher Mikro-Klima-Bedingungen. Er hatte eine Glasflasche mit etwas feuchter Erde auf seine Fensterbank gestellt, um eine Mottenlarve in ihrer Verpuppung zu beobachten. Erst entstand im Glas Kondensat, dann begannen Farn- und Grassamen zu sprießen. Die Pflanzen entwickelten sich über mehrere Jahre, ohne dass sie von ihm gegossen oder anderweitig gepflegt werden mussten. Er experimentierte weiter mit verschlossenen Glasflaschen und erfand 1829 den nach ihm benannten Wardschen Kasten, nämlich einen mobilen Miniatur-Wintergarten als Hermetosphäre. Dieser Begriff ist eine Wortkombination aus zwei griechischen Vokabeln, hermetisch für geschlossen und Sphäre für Hülle. Ein robuster Boden wird mit feuchter Erde gefüllt und dann mit einem gläsernen Aufsatz, der mit hölzernen Leisten ausgesteift wird, so dicht wie möglich geschlossen. An den Seiten dienen Schlaufen aus Tauen als Griffe für den Transport. Innerhalb des Kastens bildet sich ein nahezu autarkes Ökosystem als Kreislauf aus Feuchtigkeit bzw. Kondensat, Wärme durch Sonnenlicht, Sauerstoff und Kohlendioxid, das sogar mehrere Jahre stabil bleibt.

ein Gärtner bereitet einen Wardschen Kasten für den Transport vor, historische Fotografie im Archiv der Royal Botanical Gardens, Kew, London
ein Gärtner bestückt einen Wardschen Kasten, historische Fotografie
Originaler Wardscher Kasten im Archiv der Royal Botanic Gardens, Kew, London

Wards Erfindung hat neben der ökologischen eine enorme wirtschaftliche, finanzielle und soziokulturelle Bedeutung. Der Transport von Pflanzen, Samen und Früchten aus den Tropen und Subtropen, beispielsweise Ananas, Banane, Tee und Hanf, war seit dem 17. Jahrhundert nur mit Schiffen und teilweise monatelangen Fahrten möglich. Besonders lebende Pflanzen waren jedoch oft zu empfindlich für den Transport durch verschiedene Klimazonen mit Temperaturschwankungen und zu vielen oder fehlenden Niederschlägen. Sie verwelkten, vertrockneten, verfaulten, erfroren oder wurden durch salzhaltiges Meerwasser verätzt.

Ward hatte mit seinen gläsernen Kästen eine mobile Klima-Simulation erfunden und damit das Transportproblem gelöst. Dies war eine wesentliche Voraussetzung für das globale Logistik-Netzwerk, das wir heute kennen.

Indoor-Gewächshäuser, Flaschengärten und Pflanzenschränke

Viele Wardsche Kästen wurden als Indoor-Gewächshäuser weiterbenutzt und erhielten Verzierungen à la Miniatur-Pavillons, also dekorative Gestaltungen, die weit über die ursprüngliche Aufgabe als mobiles Transport-Gewächshaus hinausgingen. In Form von Flaschengärten sind diese Miniatur-Wintergärten heute wieder in Mode. Sie tauchen als grüne Dekoration in Design- und Interior-Blogs, auf Instagram und in Lifestyle-Shops auf.

Hinsichtlich des Indoor Farming weisen Flaschengärten Ähnlichkeiten auf zu mit LED-beleuchteten und sensorisch gesteuerten Pflanzenschränken, die unter Namen wie Plantcubes, Agrilution oder Seedbars vertrieben werden. Allerdings steht bei diesen gewächshausartigen Vitrinen eher die Vor-Ort- oder gar unmittelbare Selbstversorgung im Vordergrund. Für die Aufzucht und regelmäßige Ernte von frischen essbaren Pflanzen wie insbesondere Blattsalat und Küchenkräutern wird ein Stromanschluss und damit ständige Zufuhr von elektrischer Energie benötigt. Energetisch sind Wardsche Kästen und Flaschengärten nur auf Sonnenlicht angewiesen.

Schutzhülle und Klimaresilienz

1852 publizierte Ward seine Erkenntnisse in einem Buch On the Growth of Plants in Closely Glazed Cases. Einige der Kapitelüberschriften lesen sich wie die aktuelle Auseinandersetzung mit Stadtgrün und Klimaresilienz:

  • On the Natural Conditions of Plants (übersetzt: Zu den natürlichen Lebensbedingungen von Pflanzen)
  • On the Causes which interfere with the Natural Conditions of Plants in Large Towns (Zu den Ursachen, die die natürlichen Lebensbedingungen von Pflanzen in Großstädten stören)
  • On the Imitation of the Natural Condition of Plants in closely-glazed Cases (Zur Nachahmung der natürlichen Lebensbedingungen von Pflanzen in dicht verglasten Kästen)
Das Prinzip einer Haube, einer Hülle oder einer Kuppel, die als schützend über ein Habitat gestülpt wird, griff der amerikanische Architekt, Konstrukteur und Visionär Richard Buckminster Fuller (1895-1983) auf. Buckminster Fuller arbeitete bei diesen Klimahüllen jedoch in Dimensionen, in denen der Mensch Bestandteil des Inneren wird. Seine geodätischen Kuppeln und Kugeln sind transparente und transluzente Gitterschalen aus Dreiecken, bei denen er minimalen Materialeinsatz mit maximalem Volumen verknüpfte.

Biosphäre Expo 1967

Die Biosphäre auf der Expo 1967 in Montréal, Kanada, errichtet als US-amerikanischer Pavillon, gilt als seine berühmteste Kugelkuppel mit einer Höhe von 62 m und einem Durchmesser von 76 m. Mit der Biosphäre und seinem 1968 publizierten Buch Operating Manuel for the Spaceship Earth (Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde) forderte er ein Nachdenken über die Verantwortung von Zivilisation hinsichtlich Synergien und Material- und Energieeffizienz bei begrenzten Ressourcen. Die Biosphäre der Expo 67 wird heute als Wasser- und Umweltmuseum genutzt, in dem beispielsweise Photosynthese, Konservierungsmethoden und Umweltverschmutzung untersucht werden.

Biosphäre 2

Das US-amerikanische Forschungsprojekt Biosphäre 2 basiert auf den konzeptionellen Anregungen von Buckminster Fuller. Acht Forscher, nämlich vier Männer und vier Frauen, erprobten als sogenannte Bionauten von 1991 bis 1993 die Lebens- bzw. Überlebensfähigkeit innerhalb eines hermetisch geschlossenen Ökosystems. Dafür entstand in der Nähe von Tucson, Arizona, ein Ensemble aus überwiegend gläsernen Tonnengewölben, einer Stufen-Pyramide und Verbindungskorridoren mit einem Volumen von etwa 200.000 m³. Die Biosphäre 2 gilt als bisher finanziell anspruchsvollstes und inhaltlich ambitioniertestes Projekt zur Erprobung des Überlebens in einem künstlichen autarken Habitat. Das ursprünglich auf eine längere Dauer angelegte Experiment wurde aus mehreren Gründen abgebrochen, darunter Sauerstoff-Verlust, Parasiten-Befall und zwischenmenschliche Verhaltensweisen. Heute wird dieses experimentelle Biosphären-Ensemble von der University of Arizona für Forschungen zu Klimaresilienz genutzt und kann besichtigt werden.

Bios-3

An die Ursprünge der Wardschen Kästen als Transportbehälter über extreme Entfernungen erinnert das Bios-3-Projekt (БИОС-3) in der ehemaligen Sowjetunion Mitte der 1960er Jahre. In Krasnojarsk, Sibirien, wurden autarke und hermetisch versiegelte Habitats, sogenannte Controlled Ecological Life Support Systems (CELSS), mehrere Monate bewohnt, um die Voraussetzungen für bemannte Langstreckenflüge im Weltraum zu simulieren. Menschen, Algen, Weizen und Gemüse bildeten eine isolierte Ko-Existenz, die jedoch statt zu bioregenerativen Prozessen zu Vergiftungserscheinungen führte. Die Besatzung sollte solange in einer Art Kapsel-Gebilde bleiben, wie zeitlich für einen Flug zum Mars kalkuliert wurde. -sj

Fachwissen zum Thema

Neben den Schloss-, Volksparks, wissenschaftlich-botanischen und privaten Gärten sind in den letzten Jahren neue Formen entstanden, wie z. B. urban farming, urban gardening, guerilla gardening, Agritecture (im Bild: Vertikaler Garten von Patrick Blanc, Rue d'Aboukir, Paris).

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Wintergärten

Grün als urbaner Faktor

Die Pflanzen in einem Wintergarten leben nicht in ihrem natürlichen sondern in einem simulierten Habitat. Deshalb gelten besondere Kriterien für die Auswahl der Vegetation (im Bild: mehrgeschossige Verknüpfung von Vegetation, Glasräumen und Höfen, Naiipa Art Complex, Bangkok, Stu/D/O Architects)

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Wintergärten

Vegetation für Wintergärten

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