Firmenzentrale Alnatura in Darmstadt

Europaweit größtes Bürogebäude aus Lehm

Wo bis 2006 amerikanische Panzer für den Ernstfall übten, ist heute eine öffentlich zugängliche, parkähnliche Anlage mit Streuobstwiesen, Biogärten und einem Naturteich zu finden – der neue Alnatura Campus im Südwesten von Darmstadt. Anstelle einstiger Kasernengebäude steht dort die neue Firmenzentrale der Bio-Supermarktkette. Das Stuttgarter Architekturbüro haascookzemmrich Studio2050 hat die offene Bürolandschaft für 500 Mitarbeiter geplant. Die Lage und die Ausrichtung des Gebäudes optimieren die Tageslichtnutzung und berücksichtigen auch mikroklimatische Gesichtspunkte. Der Campus soll den Menschen aus der Region als Lern- und Begegnungsort dienen. Er bietet auch einem neuen, öffentlichen Waldorf-Kindergarten Platz. Das Gelände wurde umfassend renaturiert, neu gestaltet und das Abbruchmaterial nach Möglichkeit vor Ort verbaut, beispielsweise als Sitzstufen, Bachlaufkanten oder Füllkies.

Die Ausrichtung des Gebäudes nach Plänen von haascookzemmrich Studio2050 optimiert die Tageslichtversorgung der Innenräume.
Stege und Treppen vernetzen die Büroetagen.
Der Konferenzbereich im Erdgeschoss ist durch gläserne Wände abgetrennt.

Das Bürogebäude ist ein schlichter Baukörper mit rechteckigem Grundriss und asymmetrischem Satteldach. Während die Stirnseiten großflächige Glasfronten aufweisen, wechseln sich an den Längsfassaden geschlossene und gläserne Flächen rhythmisch ab. Die unverwechselbare Optik des für die Außenwände verwendeten Stampflehms prägt die Fassade des Gebäudes maßgeblich.

Architektur unterstützt Kommunikation

Der Haupteingang liegt auf der Ostseite des Hauses. Drinnen erwartet den Besucher ein lichtdurchflutetes Atrium mit Blick in die beiden oberen Geschosse, die sich mit geschwungenen Galerien zum Innenraum öffnen. Treppen und Stege verbinden die einzelnen Ebenen spielerisch. Die verglaste Westfassade eröffnet den Ausblick auf die ortstypischen, hohen Kiefernbäume des angrenzenden Waldes, die gleichzeitig dem Gebäude Schatten spenden. Auf der Südseite neben dem Haupteingang lädt ein vegetarisches Restaurant mit 200 Sitzplätzen ein. An der Nordseite befindet sich ein durch Glaswände abgegrenzter Konferenzbereich. Der Übergang zwischen öffentlichem und internem Raum ist fließend.

Die Bürozone selbst erstreckt sich ohne Trennwände vom Erdgeschoss bis unter das Dach und eröffnet die unterschiedlichsten Arbeitsplätze: Vom „Lümmelbrett“ entlang der Galerie bis hin zur eher privaten Sitznische in der Lehmwandfassade. Mit akustisch wirksamen Vorhängen lassen sich bei Bedarf Besprechungsbereiche abtrennen. Die offenen Teeküchen auf jeder Ebene können ebenfalls als Besprechungsort dienen. Oberflächen aus Holz, Lehm und unbehandeltem Beton geben dem Gebäude eine natürliche Anmutung und unterstützen durch ihre helle Farbe die Tageslichtnutzung.

Innovative Stampflehmfassade

An der Nord- und Südfassade wurden 3,50 x 1,00 m große Stampflehmblöcke zu zwölf Meter hohen Wandscheiben geschichtet. Diese sind selbsttragend und lediglich mit Ankern an den Geschossdecken fixiert. Alle Lehmelemente wurden vor Ort in den ehemaligen Fahrzeughallen des Stützpunkts gefertigt. Sie enthalten eine 17 cm starke Kerndämmung aus Schaumglasschotter. Mit einer Gesamtdicke von 69 cm erreicht der Aufbau einen U-Wert von 0,35W/(m²K). Für die Beheizung sind in die Lehmwände Heizschlangen eingestampft, die mit Warmwasser aus Geothermiesonden und aus der Abwärmerückgewinnung der Küche gespeist werden.

Der Stampflehm wirkt als thermische Speichermasse und reguliert auch die Raumluftfeuchte. Die Oberfläche der Fassade bleibt frei von Algen- oder Moosbildung und erfordert keinen Pflegeaufwand. Im Innenraum verbessert die poröse Oberfläche auch die Raumakustik der angrenzenden Bürofläche. Als weitere akustische Maßnahmen wurden Absorberstreifen in die Betondecke integriert. Auch die Holzlammellendecke im Dach wirkt schalldämmend.

Klimaanlage überflüssig

Für die natürliche Belüftung wird Frischluft über zwei Ansaugtürme am Waldrand in einen Erdkanal geleitet und von dort ins Gebäude geführt. Durch die so vorkonditionierte Zuluft ist der zusätzliche Heiz- und Kühlbedarf des Gebäudes sehr gering. Die Speichermassen der Lehmwände und der Betondecke sorgen für ein stabiles, ausgeglichenes Temperaturniveau. An heißen Sommertagen helfen die hohen Räume und die Verdunstungskühlung des Lehms, Wärmeinseln im Arbeitsbereich zu vermeiden. Eine Regenwasser-Zisterne sowie eine Photovoltaikanlage runden das ökologische Gesamtkonzept ab. -dg

Bautafel

Architekten: haascookzemmrich Studio2050, Stuttgart
Projektbeteiligte: BGG Grünzig Ingenieurgesellschaft, Bad Homburg (Ausschreibung und Objektüberwachung); Ramboll Studio Dreiseitl, Überlingen (Landschaftsarchitektur); Knippers Helbig, Stuttgart (Tragwerksplanung); Transsolar Energietechnik, Stuttgart (Energieberatung); Ingenieurbüro Werner Schwarz, Stuttgart (Elektroplanung); Henne & Walter, Reutlingen (HLS-Planung); knp.bauphysik Ingenieurgesellschaft, Köln (Bauphysik); TSB Ingenieurgesellschaft, Darmstadt (Brandschutz); Lehm Ton Erde Baukunst, Schlins, Österreich (Lehmbau); Grossmann Bau, Rosenheim (Holzbau)
Bauherrschaft: Campus 360, Bickenbach
Standort: Mahatma-Gandhi-Straße 7, 64295 Darmstadt
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Roland Halbe, Stuttgart; haascookzemmrich STUDIO2050, Stuttgart; Marc Doradzillo, Merzhausen

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