Fachhochschule in Vaduz/ FL

Umnutzung einer ehemaligen Baumwollspinnerei

Die ehemalige Baumwollspinnerei Jenny, Spoerry & Cie. stellte erst 1992 Ihren Betrieb ein, nachdem sie sich - wie andere Textilstandorte auch - gegen die Konkurrenz aus Asien nicht mehr behaupten konnte. Ursprünglich zählte die Fabrik zu den größten Arbeitgebern im Fürstentum Liechtenstein. Vielerlei Zubauten an die von nordwärts gerichteten Lichtsheds geprägte Halle zeugten von ihrer vitalen Geschichte. So verwundert es nicht, dass das für die Region bedeutendste Industriegebäude unter "Quasi"- Denkmalschutz gestellt wurde. Nach zahlreichen Diskussionen im Vorfeld kamen die zwei Bauherren, Land und Gemeinde, überein, das Gebäude gemeinsam zu nutzen und vielfältige Nutzungen unter ein Dach zu packen. Neben den Räumen für die Fachhochschule, die - zuvor über mehrere Standorte im Land verteilt- zu einem Hochschul-Campus zusammengefasst werden konnten, sollten Mehrzweckhallen und ein öffentlich zu nutzendes Auditorium, darüber hinaus auch ein Jugendtreff integriert werden. Durch den Umbau konnte die Fabrikanlage nicht nur erhalten, sondern auch wieder einer vitalen Nutzung zugeführt werden - das Optimal-Ziel allen denkmalpflegerischen Strebens.

Die Zäsur zwischen denkmalgeschützter Bausubstanz und neuem Atttribut macht die neue Schicht erlebbar und entlastet gleichzeitig das eng gesteckte Raumprogramm.
Der ehemalige Ballenraum, in dem früher die großen Spinngarnrollen vor ihrer Verarbeitung gelagert wurden, konnte als Ausstellungsraum umgenutzt werden.

Sanierung/Modernisierung
Um den Charakter der großen Hallen mit ihrer leichten und filgranen Tragwerken, die ihrem früheren Zweck gemäß optimiert worden waren, in die neue Planung zu transponieren, führten die Architekten nach Gewinn des international ausgeschriebenen Wettbewerbs zahlreiche Vorgespräche mit den beteiligten Nutzern und den Behörden. Es wurde versucht, die Hauptbauteile, inbesondere aber die markante Tragkonstruktion zu erhalten, was bis auf die Südhalle - deren Bausubstanz sich als allzu geschädigt erwies und damit zum Großteil abgebrochen werden musste - auch gelang. Gleichzeitig sollten die neuen Einbauten ihren Zeitbezug nicht verleugnen und auch als solche klar erkennbar bleiben. Nachträgliche Zubauten wurden abgebrochen um das ursprüngliche Kernbauwerk wieder freizulegen. Die neue Grundrissstruktur besteht in einer vierbündigen Anlage mit zwei Längsfluren, die senkrecht von einer Doppelspange aus zentralen Querfluren ausgehen: Das nördliche Foyer durchstößt das Gebäude etwa in Mitte seiner Länge und führt über einen schmalen Verbindungssteg aus dem Fabrikgebäude hinaus in einen ausgestelzten Glasvorbau, der die Cafeteria und die Bibliothek als ausgelagerte Nutzungen beinhaltet. Hinter diesem Zubau steckt eine brückenförmige Stahlfachwerk-Konstruktion, die es erlaubte, das Gebäude soweit möglich zu verglasen und so zum einen zu "entmaterialisieren" - was dem Hauptbau zu Gute kommt - und andererseits das großartige Alpenpanorama ins Gebäude erlebbar einzubeziehen. Wer einen Blick in die Cafeteria werfen will, kann dies mit der Live-Webcam tun. Als geradezu prädestiniert für eine Unterrichtsnutzung erwiesen sich die Oberlichtsheds für die internen Hörsäle und Seminarräume. Das gleichmäßige Nordlicht schafft optimale Lichtverhältnisse, weshalb die Nutzer auch gerne von ihrer Denkfabrik sprechen. Die verwendeten Materialien und Oberflächen wurden entsprechend der industriellen Aura des Bestands sehr einfach und nüchtern gehalten: Weiße Putzflächen, Sichtbeton, geschliffene Estrichböden und anthrazitfarbene Einbaumöbel und Hörsaalbestuhlungen. Betont wurden nur die roten Servicewürfel im Anbau und der Aufzug in der Mittelhalle, der mit Stein gefüllten Gabionen umhüllt wurde.

Zu erwähnen ist auch die ungewöhnliche Beheizung des Komplexes. Eine Hackschnitzelheizung trägt der waldreichen Umgebung Rechnung und verweist auf die Nachhaltigkeit des technischen Konzepts, mit nachwachsenden Rohstoffen das empfindliche Gleichgewicht alpiner Regionen zu schützen.

Bautafel

Architekten: Karl + Probst, München
Projektbeteiligte: Birgit Dierolf, Norbert Engelhardt, Sebastian Hrycyk, Ludwig Karl, Rafael Malenka , Markus Probst, Carolin Ruckdeschel, Carola Seifert (Architekten); Markus Sprenger Architektur und Raumplan AG (Bauleitung); Bau Data AG, Schaan (Projektcontrolling); Vogt Ingenieurbüro, Vaduz (Tragwerksplanung); Ospelt Haustechnik AG, Vaduz (Lüftungsplanung); Batliner + Hasler AG, Eschen (Heizungsplanung); Enoec Nigg AG, Vaduz (Sanitärplanung); Marquardt AG, Vaduz (Elektroplanung), Bau Dämm-Technik, Rugell (Bauphysik)
Bauherr: Gemeinde Vaduz und Land Liechtenstein
Fertigstellung: 2002
Standort: Vaduz
Bildnachweis: Studio Preute, Vaduz

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