Bürgerspital in Solothurn

Tageslicht als Medizin

Krankenhäuser sollen erkrankten Menschen die ideale Umgebung bieten, um zu genesen. Zugleich müssen die Gebäude sehr funktional in Anordnung und Ausstattung sein und muten daher zweckmäßig-technisch bis steril an. Welche Rolle natürliches Tageslicht für eine angenehme Raumathmosphäre und damit das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten spielt, zeigt der kürzlich eröffnete Neubau des Bürgerspitals in Solothurn: Die Fassade des Bettenblocks besteht aus einem Netz aus auskragenden Brise-Soleils vor großflächigen Verglasungen. Die Elemente stellen ein dem Sonnenstand angepasstes Gleichgewicht aus kühlender Verschattung, natürlichem Tageslicht und solarem Energiegewinn für die Patientenzimmer her. Verantwortlich für den Entwurf ist das Planungsbüro Silvia Gmür Reto Gmür Architekten aus Basel.

Je nach Blickwinkel erzeugen die auskragenden Brise-Soleils eine kristalline oder schuppenartige Netzstruktur.
Prägend am Bettenblock sind die charakteristisch geformten Brise-Soleils aus carbonfaserverstärktem Beton.
Auf dem Dach des Gebäudesockels ist ein Dachgarten angelegt.

Auf insgesamt 64.350 Quadratmetern und acht Geschossen (zuzüglich zwei Untergeschosse) hat das Krankenhaus 240 Betten und verfügt über Stationen für Operationen, Geburten, Intensivpflege, Tagesklinik, Radiologie, Ambulanz, Diagnostik und Notfall. Das Spital wird in zwei Etappen errichtet und bleibt während der Bauarbeiten durchgehend in Betrieb. So wurde der erste Bauabschnitt des Neubaus auf rechteckigem Grundriss dicht an den Bestand der 1970er-Jahre gebaut und war mit dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten im Mai 2021 abgeschlossen. Die zweite Bauphase sieht den Abriss des Bestands vor, an dessen Stelle sowohl ein Park tritt, als auch der zweite Bauabschnitt des Neubaus. Dieser erweitert den Grundriss des Spitals zu einer L-form und soll bis 2025 abgeschlossen sein.

Nachhaltigkeit durch hohe Lebensdauer

Die Nachhaltigkeit von Krankenhausarchitektur messen Silvia Gmür Reto Gmür Architekten an deren Lebensdauer. Damit dem Neubau des Bürgerspitals nicht dasselbe Schicksal droht wie seinem Vorgängerbau von 1974, setzten die Architekturschaffenden beim Entwurf auf eine robuste und rigide Grundstruktur, die sich den im medizinischen Bereich schnell veränderbaren Nutzungsanforderungen flexibel anpassen lässt. Je dauerhafter und anpassbarer diese Grundstruktur ist, desto länger kann ein Bauwerk genutzt werden. Diesem Ansatz folgend besteht die Tragstruktur aus Stahlbeton, der zwar als Baustoff ressourcenintensiv, jedoch langlebig ist. Um den CO2-Ausstoß dennoch gering zu halten, wurde die Konstruktion der Tragstruktur schlank entworfen und eine energiearme Betonmischung ausgewählt.

Der Baukörper besteht aus einem länglichen, zweigeschossigen Sockel und einem am östlichen Ende aufgesetzten sechsgeschossigen Quader auf nahezu quadratischem Grundriss, der sich durch seine gläserne Fassade mit vorgeblendeter kleinteiliger Sonnenschutzstruktur absetzt. Auch den Sockel prägen große, teils zurückspringende Fensterflächen, hier jedoch ohne Sonnenschutz und ergänzt durch massive Außenwände aus Beton. Der unbebaute Sockelbereich wird als Dachgarten genutzt. Zusätzlich hat das Gebäude zwei Untergeschosse.

Funktionstrennung über Erschließungskerne

In Krankenhäusern ist eine übersichtliche und großzügig dimensionierte Planung der Verkehrswege von großer Bedeutung, damit Abläufe reibungslos funktionieren. Das Bürgerspital in Solothurn verfügt über zwei Haupterschließungsbereiche mit Treppen und Aufzügen, über die eine funktionale Trennung organisiert wird: So ist der Erschließungskern in der südöstlichen Ecke des Bettenblocks den Patientinnen und Patienten vorbehalten, während der gegenüberliegende Erschließungsbereich nur für Personal, Betten und Material vorgesehen ist. Weitere Treppenhäuser befinden sich im westlich erweiterten Gebäudesockel.

Flure verlaufen vorwiegend an verglasten Hoffassaden entlang, sind also natürlich belichtet. Die einheitliche Verortung sowie die Möglichkeit des Ausblicks begünstigt die Orientierung im Gebäude. Die Verlagerung von infrastrukturellen Räumen aus dem Zentrum heraus in periphere Bereiche schafft große zusammenhängende und frei bespielbare Flächen von jeweils 5.700 Quadratmetern pro Geschoss. Hier befinden sich Untersuchungs- und Behandlungszimmer. Weitere Behandlungsräume, Operationssäle, die Notaufnahme sowie die Tagesklinik befinden sich im Sockel. Das Zentrallabor, die Zentralsterilisation, die Apotheke sowie Archiv und Technik- und Lagerräume sind im Untergeschoss untergebracht. Das zweite Untergeschoss dient als Tiefgarage.

Durchdachte Grundrisse für mehr Gleichberechtigung
Die Bettenzimmer befinden sich in den drei obersten Geschossen. Auffallend sind hier die unkonventionellen Grundrisse der Doppelzimmer: Sie reihen sich entlang der Außenfassaden aneinander, sind jedoch nicht rechteckig, sondern auf der fensterseitigen Hälfte leicht eingedreht, sodass im Zimmer ein Versatz entsteht, der den Raum in zwei Bereiche teilt. Die Planenden wollen damit das in Krankenhäusern übliche Problem lösen, dass Bettenplätze in Mehrbettzimmern nicht gleichwertig sind. Auch bei der Grundrisskonfiguration von Silvia Gmür Reto Gmür Architekten sind die Betten hintereinander angeordnet, allerdings nicht parallel, sondern perpendikular zueinander. So kann auch vom flurseitig angeordneten Bett ungehindert aus dem Fenster geblickt werden, selbst dann, wenn der für mehr Privatsphäre dienende Trennvorhang zwischen den Betten zugezogen ist.

Die Einrichtung der Zimmer ist funktional, soll den Patientinnen und Patienten durch die Materialien aber ein Gefühl von Behaglichkeit vermitteln. Bodentiefe Fenster in allen Zimmern ermöglichen Ausblicke auf die Hügelkette des Juras, die Solothurner Altstadt oder die sanft gewellte Landschaft im Süden. Böden und Möbel aus Holz werden durch Farbakzente an den Vorhängen und am Esstisch ergänzt, medizinisches Gerät ist nicht sichtbar in die Nachttischmöbel integriert.
 
Sonnenschutz: Brise Soleils aus Carbonfaserbeton und gefaltete Sonnenschutzelemente aus Metall
Drei verschiedene Systeme kommen als außen liegender Sonnenschutz zum Einsatz, die das Gebäude verschatten und passiv kühlen: Die Fensterflächen in den zwei Sockelgeschossen werden durch große Vordächer ausreichend verschattet. Das zweite System kommt im Innenhof des Sockels zur Anwendung. Es besteht aus gefalteten Metallelementen, die an Origami erinnern und die Fensterflächen vor den Fluren verschatten. Am augenfälligsten, gerade auch für die Fernwirkung des Bauwerks, sind die dem Bettenblock vorgeblendeten Brise-Soleils. Sie bestehen aus carbonfaserverstärktem Beton und sind hohl, wodurch die Materialstärke auf 30 mm minimiert werden konnte. Das Material gilt als recyclingfähig. Die Oberflächen haben durch den Zusatz von Titanoxydpigmenten einen selbstreinigenden Effekt, wodurch sich der Unterhaltsaufwand gegenüber Fassaden mit unbehandelten Betonoberflächen reduzieren soll.

Die Form der Brise-Soleils ist entsprechend des Sonnenverlaufs entwickelt worden, leitet sich aber auch aus dem Grundriss ab. So sind die vertikalen Auskragungen Fortführungen der charakteristisch eingedrehten Grundrissform der Bettenzimmer. Den außen liegenden, maßgeschneiderten Sonnenschutz entwickelten die Architekturschaffenden als Alternative zu häufig verwendeten Fenster- oder Senkrechtmarkisen oder Raffstoren. Diese Systeme, so das Baseler Architekturbüro, wirkten dem Tag-Nacht-Rhythmus und dem menschlichen Bedürfnis nach Tageslicht und dessen heilender Wirkung entgegen, denn sie verleiteten dazu, den Raum zu verdunkeln und „den Blick in Streifen zu schneiden“ sobald die Sonne blendet. 

Das feststehende außen liegende Sonnenschutzsystem in Solothurn funktioniert durch die Tiefe der Brise-Soleils sowohl als Überkopfverschattung, die die steil einfallende Mittagssonne abhält, als auch als seitlicher Sicht- und Sonnenschutz, der die flach einfallende Morgen- und Abendsonne vom Eindringen abhält und so eine Überhitzung des Raumes verhindert und Blendschutz bietet. Der Ausblick bleibt dabei frei. Außerdem wird so der Raum maximal natürlich belichtet.Zudem sind solare Gewinne im Winter möglich, weil die Sonne in dieser Zeit des Jahres im Süden flacher steht und somit tiefer in den Raum eindringen kann, um das Gebäude passiv zu wärmen.

Während der Planung wurde das Sonnenschutzsystem durch dynamische Simulationen auf seine Wirksamkeit geprüft. Dabei konnte errechnet werden, dass die Heiz- und Kühlenergie in den Bettengeschossen gegenüber einer Fassade mit automatisierten Raffstoren um etwa 15 Prozent verringert werden konnte. Mit dem Nachhaltigkeitskonzept wird eine Minergie-Eco-Zertifizierung angestrebt, wodurch das erneurte Bürgerspital in Solothurn schweizweit das erste Krankenhaus mit dieser Zertifizierung wäre. -sr

Bautafel

Architektur: Silvia Gmür Reto Gmür Architekten, Basel
Projektbeteiligte: Fürst Laffranchi, Wolfwil (Tragwerksplanung); Walter Dietsche Baumanagement, Chur (Baumangement); Dr Eicher + Pauli, Zürich (Haustechnik); August und Margrith Künzel Landschaftsarchitekten, Binningen (Landschatsarchitektur); Gido Wiederkehr (Farbgestaltung); Christoph Haerle, Katja Schenker, Lang Baumann (Kunst am Bau)
Bauherr/in: Hochbauamt des Kantons Solothurn 
Standort: Schöngrünstraße, Solothurn, Schweiz
Fertigstellung: erster Bauabschnitt 2021, zweiter Bauabschnitt geplant 2025
Bildnachweis: Ralph Feiner, Malans www.feinerfotografie.ch

Fachwissen zum Thema

Auskragende Balkone als Schattenspender an einem Berliner Mehrfamilienhaus.

Auskragende Balkone als Schattenspender an einem Berliner Mehrfamilienhaus.

Materialien

Beton und Mauerwerk

Brise-Soleil in Form von feststehenden, doppelgeschossigen Vertikallamellen aus Beton an der Unité d'habitation bzw. dem Corbusierhaus in Berlin

Brise-Soleil in Form von feststehenden, doppelgeschossigen Vertikallamellen aus Beton an der Unité d'habitation bzw. dem Corbusierhaus in Berlin

Arten und Formen

Feststehender Sonnenschutz außen

Kontakt Redaktion Baunetz Wissen: wissen@baunetz.de
Baunetz Wissen Sonnenschutz sponsored by:
MHZ Hachtel GmbH & Co. KG
Kontakt: 0711 / 9751-0 | info@mhz.de