Brauquartier Puntigam in Graz

Dezentrale Wärmeversorgung mit Abwärme einer Brauerei

Wärme zum Beheizen von Gebäuden oder für die Warmwasserbereitung ließe sich grundsätzlich aus zahlreichen Quellen gewinnen. Meist greift man jedoch auf Verbrennungs- oder Solarwärme zurück. Eine eher seltene, aber naheliegende Energiequelle wird im neuen Brauquartier Puntigam in Graz angezapft: die Abwärme der benachbarten, namensgebenden Brauerei. Genauer gesagt handelt es sich um die Energie, die bei der Vergärung entsteht. So entstand nach Plänen des Architekturbüros Scherr und Fürnschuss ein Wohnquartier für 2.000 Menschen, das zukunftsträchtig mit dezentral gewonnener Nahwärme versorgt wird.

Das Areal liegt in einem urbanen Spannungsfeld an einer vielbefahrenen Einfallstraße in die Grazer Innenstadt, zwischen Industrieflächen und einem Wohngebiet.
Insgesamt entstanden rund 800 Wohnungen, Büro- und Gewebeflächen mit 65.000 Quadratmetern Nutzfläche, die sich auf neun Gebäude unterschiedlicher Größe und Kubatur verteilen.
Der „Flying Garden“, eine über die gesamte Länge des Areals reichende, begrünte Ebene auf Höhe des dritten Obergeschosses, verbindet  die einzelnen Baukörper miteinander und bietet den Bewohnern viel Aufenthaltsqualität.

Der Stadtteil Puntigam, der jüngste Stadtbezirk im Süden von Graz, hat seinen Namen von jener Familie, die hier ab 1478 ein Gasthaus mit kleiner Brauerei betrieb, aus der im 19. Jahrhundert die Brauerei Puntigam hervorging. Heute produziert diese jährlich rund eine Million Hektoliter Bier, womit das Puntigamer das meistverkaufte Bier Österreichs ist.

Städtebauliche Situation

Entwickelt wurde das Projekt auf Initiative der Bauherrschaft C&P Immobilien, die im Jahr 2013 einen geladenen Wettbewerb ausschrieb. Direkt neben dem Brauereigelände sollte ein brachliegendes, rund 42.000 Quadratmeter großes Areal als Stadtlandschaft neu interpretiert werden. Dieses liegt an einer hochfrequentierten Straße zwischen Industrieflächen im Süden und Westen sowie einem Sportplatz und angrenzendem Wohngebiet im Nordosten. Für die verantwortlichen Architekten ging es also darum, in diesem Spannungsfeld zwischen Industrie und Wohnen zu vermitteln. Mit einer differenzierten Baukörpertypologie entwarfen sie eine Stadtlandschaft für ganz unterschiedliche Nutzungen, mit einer Vielzahl an Durchwegungen und Knotenpunkten zur Förderung der Kommunikation und Interaktion von Bewohnern und Nutzern. Insgesamt sind so rund 800 Wohnungen, Büro- und Gewebeflächen mit 65.000 Quadratmetern Nutzfläche entstanden, die sich auf neun Gebäude unterschiedlicher Größe und Kubatur verteilen.

Zentraler Baustein des Siegerentwurfs für das langgestreckte, tortenstückförmige Grundstück ist ein „Flying Garden“ – eine über die gesamte Länge des Areals reichende, begrünte Ebene auf Höhe des dritten Obergeschosses, welche die einzelnen Baukörper miteinander verbindet  und den Bewohnern einen Ort der Begegnung mit viel Aufenthaltsqualität bietet.

Wärme aus der Brauerei

Gemeinsam mit der Gesellschaft Kelag Wärme, dem größten Wärmedienstleister Österreichs, entwickelte die Bauherrschaft ein Konzept bei dem die Abwärme der benachbarten Brauerei zum Heizen und für die Warmwasserbereitung genutzt werden kann. Zusammengefasst wird dabei die Gärwärme der Bierherstellung über einen zweistufigen Prozess auf das Niveau gehoben, das für die Nutzung im Brauquartier Puntigam geeignet ist.

Beim Bierbrauen entsteht während der Gärung in den rund zehn Kubikmetern großen Tanks Wärmeenergie. Um die optimale Gärungstemperatur zu halten, werden die Tanks also mittels Industriekältemaschinen aktiv gekühlt. Bei diesem Kühlvorgang fällt wiederum Abwärme mit einer Temperatur  zwischen 20 und 25 °C an, die in diesem Fall über ein Glykol-Wasser-Gemisch zu Wärmepumpen geleitet wird. Diese stellen zwei verschiedene Temperaturniveaus bereit; 45 °C für die Heizung und 70 °C für die Warmwasserbereitung. Die Kälte, die auf der anderen Seite der Wärmepumpen produziert wird, kommt wiederum bei der Kühlung der Gärtanks zum Einsatz. So entsteht zwischen den Kältemaschinen und den Wärmepumpen ein perfekter Kreislauf. Der Strom für den Betrieb der Wärmepumpen stammt aus dem Brauereistromnetz, das teilweise von einem Blockheizkraftwerk betrieben wird.

Verteilung im Quartier

Die beiden Temperaturniveaus werden nun über ein Dreileiternetz, das aus den beiden Zuleitungen und einem Rücklauf besteht, mittels eines speziellen Fernwärmewassers zu den Objekten verteilt und dort mittels Wärmetauscher übergeben. Im Grunde funktioniert das wie bei einer gewöhnlichen Nah- oder auch Fernwärmeversorgung. In den Objekten wird fast ausschließlich mit Flächenheizungen geheizt (Fußboden und Wand), die dort mit ca. 35 °C warmem Wasser betrieben werden. Die Energie für die Warmwasserbereitung wird in Pufferspeichern in den Objekten zwischengelagert, damit sie jederzeit abrufbar ist. -tg

Bautafel

Architektur: Scherr + Fürnschuss Architekten, Graz
Projektbeteiligte: TB Köstenbauer & Sixl, Premstätten (Planung Haustechnikanlagen); Dr. Pfeiler, Graz (Bauphysik & TGA); Bad & Heiztechnik Kindermann, Leibnitz (HKLS), Kelag Wärme, Villach (Nahwärmeversorgung), Thomas Lorenz, Graz (Statik); Norbert Rabl, Graz (Brandschutzplanung); Studios c/o Groszstadt, Graz (Planung Außenanlagen Wettbewerb); Monsberger Gartenarchitektur, Graz (Planung Außenanlagen Ausführung)
Bauherrschaft: C&P Immobilien, Graz
Fertigstellung: bis einschließlich Bauabschnitt 8: 2019; Bauabschnitt 9: geplant für 2021
Standort: Brauquartier, 8010 Graz, Österreich
Bildnachweis: © Pierer.net (Gunhild und Helmut Pierer, Graz)

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