Bahnhofsumbau in Ostende

In farbiges Licht getaucht

Der historische Bahnhof Ostende ist über einhundert Jahre alt und aufgrund seiner Lage direkt am Meer ein besonderer Verkehrsknoten: Hier steigen täglich mehrere Tausend Passagiere zwischen Zügen, Straßenbahnen, Bussen, Fähren und Kreuzfahrtschiffen um. Aufgrund der vielen verschiedenen Beförderungsmittel hatte sich ein unübersichtliches Gefüge aus über Jahrzehnte gewachsenen Infrastrukturbauten gebildet, das die stetig wachsende Zahl an Umsteigenden bald nicht mehr komfortabel versorgen konnte. Den Wettbewerb zur Renovierung des denkmalgeschützten Bestands und der umfassenden Umstrukturierung sämtlicher Bereiche des Bahnhofs konnte das Architekturbüro Dietmar Feichtinger Architectes (DFA) für sich entscheiden. Nach seinen Plänen wurde ein alles überspannendes, Bahnhofsvordach errichtet, dessen transluzente Deckung aus Polycarbonatpaneelen das Bahnhofsareal in farbiges Licht taucht.

In unmittelbarer Nähe zur Nordseeküste gelegen, treffen am Bahnhof Reisende mit Zug, Tram, Bus, Fähre, Kreuzfahrtschiff, Fahrrad und Pkw aufeinander.
Unter dem neuen Vordach sind fast alle Verkehrsmittel vereint.
Der historische Bahnhof wurde denkmalgerecht restauriert, viele über Jahrzehnte gewachsene Verkehrsbauten abgerissen.

Abriss und Neuordnung mit Blickbeziehungen
Eines der übergeordneten Ziele des Umbaus war, freie Flächen zu erzeugen, um Blickbeziehungen zwischen den Bahnsteigen und dem historischen Bahnhofsgebäude sowie der Umgebung zu ermöglichen. So wurde etwa die alte Straßenbahnhaltestelle abgerissen und näher an den Bahnhof verlegt. Auch den Abriss des Straßenbahndepots veranlassten DFA; der Neubau besetzt ein ehemaliges Hafengebiet. Diverse Bauten am Ufer wurden entfernt, um Platz zu schaffen für einen Fußgängerübergang.

Fahrradstellplätze befinden sich nun zum großen Teil im Untergrund, der durch kreisrunde Bodenöffnungen belichtet und belüftet wird. Um dem gestiegenen Fahrgastaufkommen zu begegnen, ließ man zusätzliche Gleise bauen. Der Bahnhofsvorplatz wurde verschönert und vergrößert. Neben seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt bietet er nun Aufenthaltsqualität: Er öffnet das Areal zur Innenstadt und vermittelt zum industriellen Charakter des Hafens.

Auch sämtliche Pkw-Parkplätze mussten weichen. Das neue Parkhaus ist Teil eines leicht gekrümmten Baukörpers, der entlang der Bahnsteige errichtet wurde und den Bahnhof nach Westen abschließt. Eine Verbindungsbrücke, über die sämtliche Gleise der Fernbahn erschlossen werden, nimmt hier ihren Ausgang. In einem doppelgeschossigen Bereich des Erdgeschosses befinden sich die Bahnsteige der Straßenbahnen, im ersten, zweiten und halben dritten Stockwerk sind die Parkdecks mit 670 überdachten Stellplätzen untergebracht. Die oberste Etage nimmt zudem die um Innenhöfe angeordneten Büros für die Verwaltungsabteilung der Nationalen Gesellschaft der Belgischen Eisenbahnen SNCB auf.

Sonnenschutz: Überkopfverschattung mit farbigem Sonnenschutz
Das Dach vermittelt als neue Großform im Stadtgefüge zwischen dem historischen Bahnhofsgebäude, dem gegenüberliegenden Rathaus und dem sowohl industriell als auch touristisch geprägten Hafen. Es reagiert in Größe und Form auf den städtischen Maßstab: Es soll Schutz bieten, durch seinen transparenten Charakter die Reisenden aber auch durch seine Leichtigkeit und Eleganz für sich einnehmen und zum Verweilen einladen. Darüber hinaus bildet das Dach das Rückgrat des Bahnhofs – sowohl räumlich als auch konstruktiv: Unter ihm werden sämtliche Funktionen des Bahnhofs vereint. Treppen, Aufzüge und der Verbindungssteg zum Parkhaus sind an ihm abgehängt. Auch Schilder und Anzeigentafeln sind am Dach aufgehängt, sodass der Boden frei bleibt.

Das Stahldach wird von schlanken Stützen getragen. Sie bestehen aus jeweils vier Rohren, die sich über Schweißverbindungen an der Basis treffen und nach oben konisch öffnen. Dort sind sie in die Dachkonstruktion eingespannt. Weil die Dachkonstruktion mit der Verbindungsbrücke zwischen Parkhaus und Bahnsteigen fest verbunden ist, sind die Stützen an der Basis gelenkig gelagert. Somit sind Temperaturausdehnungen der Brückenkonstruktion in Längsrichtung möglich. Das Dach besteht aus Hauptträgern, die aus doppelten I-Profilen gebildet werden und die Integration von Leitungskanälen und elektrischen Versorgungsnetzen ermöglichen, und dazwischen angeordneten Querträgern.

Transluzentes Polycarbonat und Metallgewebefassade
Die Deckung aus lichtdurchlässigen Polycarbonatplatten erzeugt eine helle, einladende Atmosphäre. Sie sind in Sheds angeordnet, also halb offen, was die natürliche Belüftung begünstigt und einen flirrenden schuppenartigen optischen Effekt erzeugt. Durch die spezifische Anordnung und die Farbigkeit der Paneele in Grün, Gelb und Blau und in Abhängigkeit der Umgebungshelligkeit erzeugt die Bewegung der Sonne unzählige Lichtveränderungen über den Tag hinweg. Je nach Intensität und Farbton verringert farbiges Sonnenschutzglas bzw. -polycarbonat die direkte Sonnenlichteinstrahlung, darüber hinaus dient es als Blendschutz.

Der südliche Teil des Baukörpers mit dem Parkhaus ist vollständig mit Photovoltaikmodulen bedeckt. Zudem zeigt das Gebäude zur Stadt hin eine Fassade aus Metallgewebe. Die offene Bauweise sorgt für eine natürliche Belüftung der Stellplätze und filtert das direkt einfallende Sonnenlicht.

Bautafel

Architektur: Dietmar Feichtinger Architectes, Montreuil / Wien
Projektbeteiligte: Technum, Gent (Tragwerksplanung); Eurostation, Brüssel (Tragwerksplanung/Bauausführung) THV Roegiers-Depret, Kruibeke (Baufirma), Ferrokonstrukt NV, Meulebeke (Stahlbau); Atelier Roland Jéol, Caluire-et-Cuire (Licht); Verstraete Enterprises, Jabbeke (Elektro/Licht); Rodeca Systems, Muizen/Mechelen (Polycarbonat-Dach, Paneele)
Bauherr/in: Société nationale des chemins de fer belges (SNBC), Brüssel; De Lijn, Mecheln
Fertigstellung: 2019
Standort: Natiënkaai 1, 8400 Ostende, Belgien
Bildnachweis: David Boureau, Eva Bruhns

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