Ausstellungspavillon Blinde Kuh in Murten

Haus im Haus mit Kalksandstein

Für die Schweizer Landesausstellung Expo.02 entwickelten GXM Architekten ein temporäres Gebäude: Den Ausstellungspavillon Blindekuh in Murten, in dem sehende Besucher von blinden und sehbehinderten Menschen durch völlig dunkle Räume geführt wurden.

Nachtaufnahme
Küche
Konstruktiver Schnitt

Die Außenhülle war nach einer Vorgabe von Jean Nouvel/GIMM für das gesamte Ausstellungsgelände weitgehend festgelegt: Eine einfache Stahlstruktur mit Holzverkleidung und Wellblechdach, in direkter Anlehnung an die Landwirtschafts- oder Industriebauten der Umgebung. Der Grundgedanke des Innenausbaus ist ein „Haus im Haus“-Konzept - ein Baukörper mit monolithischem Charakter steht losgelöst von Dach und Fassade. Zwischen den einzelnen Brettern der Fassade bleibt jeweils eine Fuge in der Breite von 2 cm, so dass ein beschatteter und natürlich belüfteter Pufferraum zwischen der leichten Außen- und der schweren Innenfassade entsteht. Dieser Zwischenraum mit gedämpften Lichtverhältnissen dient auch als Eingangs- und Wartezone, als Übergangsbereich zwischen hell und dunkel.

Alle Wände des inneren Hauses sind aus Kalksandstein, die Zwischendecke aus Porenbeton-Platten. Für einen provisorischen Ausstellungsbau ist die Materialwahl auf den ersten Blick ungewöhnlich, sie setzte sich jedoch gegen Leichtbausysteme durch. Ausschlaggebend waren einerseits die bauphysikalischen Materialeigenschaften (Speichermasse, Schalldämmung, Brandschutz), zudem entfiel beim Mauerwerk ein Grundproblem des Elementbaus, die Lichtdurchlässigkeit der Fugen. Nicht zuletzt spielte auch die Kostenfrage eine entscheidende Rolle, nachdem das Budget im Laufe der Planung um ein Drittel gekürzt wurde. Die Bauzeit wurde durch diese Entscheidung nicht verlängert – im Gegenteil: Der lokale Bauunternehmer konnte innerhalb von wenigen Stunden aufgrund der Architektenpläne mit dem kurzfristig verfügbaren Material beginnen – es war keine Werkstattplanung, Materialbestellung und Vorfertigung wie beim Holzleichtbau notwendig. Auch der Rückbau (Abbruch und Entsorgung bzw. Recycling) war aufgrund der Verwendung eines einzigen Materials einfach. 

Über die technischen Aspekte hinaus überzeugt diese Bauart letztlich auch durch ihren "ehrlichen" Charakter, als direkte und passende Umsetzung einer Ausstellungsidee, die sich bewusst von den virtuell erzeugten „Erlebniswelten“ absetzen wollte. Die so genannte „Ehrlichkeit der Konstruktion“ bekam in diesem Kontext und im Zusammenhang mit dem ungewöhnlichen Wahrnehmungsvermögen der Bauherrschaft und der Benutzer eine spezielle Bedeutung.

Das Farbkonzept berücksichtigte die unterschiedlichen Bedingungen der Besucher- und Mitarbeiterbereiche. In der als Übergang zum lichtlosen Ausstellungsraum konzipierten öffentlichen Zone herrschten dunkle Farbtöne: Graubraun (Holzfassade), Schiefergrau und Moosgrün (Mauerwerk) sowie Rostbraun (Stahl). Im Personalbereich hingegen dienten die leuchtenden und kontrastreichen Farben der Ausbau- und Einrichtungselemente als Orientierungshilfe für die Sehbehinderten.

Mauerwerk
Die Außenwand des inneren Bauteils wurde zweischalig ausgeführt. Während die Innenschale die tragende Funktion übernahm, ermöglichte die zusätzliche Masse der Außenschale das Einhalten der bauphysikalischen Vorgaben. Diese nicht tragende Wand wurde aus so genannten Hardit-Steinen (Kalksandsteinen mit bruchroher Oberfläche) gemauert und in mehrschichtigem Verfahren dunkelgrau und moosgrün lasiert. Dabei wurden die Lagerfugen vertieft gemörtelt und die Stoßfugen trocken gestoßen ausgeführt. Die Materialtextur und die Betonung der Horizontalität verstärkten das optische Gewicht der Konstruktion und wurden für die sehbehinderten Mitarbeiter zum taktilen Leitfaden des Gebäudes. Innen wurde der Rohbau nur stellenweise verkleidet.

Der Pavillon erhielt den Kalksandstein Architekturpreis 2005.

Bautafel

Architekten: GXM Architekten, Alexandra Gübeli und Yves Milani, Zürich
Projektbeteiligte: Moor Hauser & Partner, Bern (Tragwerksplanung); Waldhauser Haustechnik, Münchenstein (Lüftungsplanung); Anton Riesen, Bern (Sanitärplanung); Theo Meyer, Stäfa (Elektroplanung); Wichser Akustik & Bauphysik, Zürich (Bauphysik/Akustik); Jürg Flück, Jürg Spielmann, Stefan Zappa (Initianten und Autoren des Ausstellungsprojektes)
Bauherrschaft: Verein Expo.02
Fertigstellung: 2002
Standort: Arteplage in Murten
Bildnachweis: Regula Bearth, Zürich

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